Kathryn List: „Der Freiraum hier ist sehr begrenzt“

Eine Amerikanerin in der Steiermark: Kathryn List, engagiert im AVL-List-Unternehmen, lobt Österreichs Generationenvertrag und wundert sich über die Bürokratie.

„Die Presse“: Bei den jährlichen Technologiegesprächen gestalten Sie „Junior Alpbach“. Haben Sie bei diesem Jugendforum eine optimistische Sicht?


Kathryn List: Sehr optimistisch. Erstens ist interessant, dass es das Angebot solcher Programme gibt. Die Jugendlichen sind in unserem Land breit interessiert, etwas anzugreifen oder durchzuführen. Es gibt in Österreich, in unserer Gesellschaft eine weitere Entwicklung der Technologie und Wissenschaft, und das interessiert hier in Alpbach.

Sie arbeiten mit Jugendlichen von zehn, zwölf bis zu 18 Jahren. Gibt es im Verständnis für die Technologie ein kritisches Alter?


List: Es gibt ein kritisches Alter. Es liegt sogar ein Forschungsprojekt aus den USA vor, und dabei stellte sich heraus: Man fragt ein zehnjähriges Kind über sein Lieblingsfach, und sehr oft sind es Mathematik oder eine Naturwissenschaft. Zwei Jahre später kommt diese Antwort nicht mehr vor. Was passiert nun, dass Elf- und Zwölfjährige sich von der Wissenschaft entfernen? Wir sehen, dass das Interesse schwindet, es ist aber nicht das Interesse des Kindes, sondern jenes, das wir als Erwachsene vorgeben und dahingehend interpretieren.

Sie kommen aus den USA, kann man die heranwachsende Generation in den USA und in Österreich vergleichen?


List: Ich kann nur über meine Erfahrung sprechen: Es gibt in Österreich mehr Möglichkeiten für junge Leute, etwas gemeinsam mit der älteren Generation zu tun, sei es bei einer Konferenz oder einer Ballveranstaltung. In den USA finden die Teenager wenige Möglichkeiten für derartige Gemeinsamkeiten mit den Älteren. Und das schadet sehr.

Also ist das ein gewisser Pluspunkt für Österreich.


List: Ein großer, ein sehr wichtiger Pluspunkt. Das muss man anerkennen und ausnützen.

Fühlen Sie sich eigentlich nach 23 Jahren in Österreich noch als Amerikanerin?


List: Ich habe die amerikanische Staatsbürgerschaft, und zwar nur diese. Ich bekenne mich zu einer neuen Gruppe von Leuten, die international sind. Mir ist auch wichtig, dass meine Kinder zum Studium ins Ausland gehen. Denn nur, wenn man weggeht, kann man wieder nach Hause kommen.

Was vermissen Sie in Österreich, bzw. was sollte in Österreich besser gemacht werden?


List: Ich bin sehr gerne in Österreich. Manchmal ist es aber mühselig, die täglichen Sachen zu erledigen. Ich finde, dass der Freiraum, in dem man das Leben selbst gestalten kann, hier sehr begrenzt ist.

Eine zu große Reglementierung?


List: Das betrifft alles, was von der öffentlichen Hand, von der Regierung kontrolliert wird, das betrifft die Öffnungszeiten, die Schulen und die fehlende Autonomie, die vielen kleinen Sachen, bei denen es nicht links und nichts rechts sein darf, sondern nur die Mitte erlaubt ist. Ich habe es nicht gern, wenn alles vorgeschrieben ist, zum Beispiel, wann ich meine Gartenarbeit machen darf und wann nicht. Das Leben ist nicht so flexibel in Österreich. Es ist auch schade, wenn unser Schulsystem sagt: Entweder lernt man Sprachen, oder man geht in eine technische Schule. Das ist sicher kein Vorteil. Der eine Schüler kann so nicht wirklich gut sein – ohne die andere Ausbildung. Österreich ist ein kleines Land, da müsste man die Möglichkeit haben, etwas schneller zu ändern.

Sollen die Österreicher ihre charakteristischen Eigenschaften beibehalten, oder sollen sie sich an dem American Way of Life orientieren?


List: Ich würde nie sagen, dass ein Volk die Eigenschaften eines anderen Volkes annehmen soll. Das heißt noch lange nicht, dass das österreichische Volk sich nicht ändern kann oder sollte. In der Zeit, seit ich hier bin, hat es sich schon geändert.

Ist Österreich moderner geworden?


List: Sei es modern oder nicht modern: Es ist anders geworden, und das ist gut so. Die jungen Leute jetzt erwarten, dass sie reisen können, dass sie Freunde in der ganzen Welt haben – das hat auch mit dem Internet zu tun –, sie haben das Selbstbewusstsein, dass sie sagen: Ja, ich verbringe ein Jahr in einem anderen Land. Das, glaube ich, ist erst seit 20, 25Jahren möglich. Man hat dann die ungeheure Möglichkeit, Kulturen zu erleben, und die jungen Leute nutzen das. Sie machen das intensiv, und zwar nicht nur als Tourist.

Sie befürworten das größere Europa. Zugleich steigt in Österreich aber die Skepsis zur EU.


List: Das heißt nicht, dass man nicht etwas hinterfragen soll. Aber man kann dabei immer noch sagen: Wir gehören zu Europa, wir sind ein Teil von Europa. Ich fühle mich als Europäerin, nicht unbedingt als Österreicherin.

Es gibt die sprichwörtliche österreichische Gemütlichkeit, ob beim Wiener Heurigen oder auf der steirischen Alm. Können Sie diese auch feststellen?


List: Gemütlichkeit? Ich finde, das ist ein Mythos. Man kann faul oder nicht faul sein, man kann bürgerlich sein oder nicht, man kann alles sein. Die Österreicher haben etwas Nettes, das sie anbieten können, und wenn sie das Gemütlichkeit nennen, ist es gut so. Und eine gewisse Großzügigkeit entspricht auch der österreichischen Mentalität.

Bisher erschienen: Gustav Peichl, 13.7., Barbara Helige, 17.7., Jazz Gitti, 25.7., Reinhard Haller, 29.7., Werner Lampert, 5.8., Christoph Badelt, 6.8., Fatima Ferreira, 8.8., Kurt Palm, 10.8., Abt Bruno Hubl, 14.8., Nina Katschnig, 22.8., Susanne Trauneck, 26.8, Anton Zeilinger 29. 8, Helmut Brandstätter 3.9.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2009)

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