Spanien und Portugal kommen davon

Athen oder Berlin? Frankreichs Staatschef, François Hollande (l.), und sein italienischer Kollege, Matteo Renzi, müssen sich entscheiden, ob sie gemeinsam mit Griechenland eine Front gegen Deutschland bilden wollen.
Athen oder Berlin? Frankreichs Staatschef, François Hollande (l.), und sein italienischer Kollege, Matteo Renzi, müssen sich entscheiden, ob sie gemeinsam mit Griechenland eine Front gegen Deutschland bilden wollen. (c) REUTERS (ALESSANDRO BIANCHI)
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Mitgliedstaaten der Union sprechen sich gegen Strafen wegen Überschreitung der Defizitvorgaben aus. Unklar ist, ob Madrid und Lissabon mit weniger EU-Strukturfonds auskommen müssen.

Brüssel/Wien. Spanien und Portugal können aufatmen: Am Dienstag sprachen sich die Vertreter der EU-Mitglieder in Brüssel dafür aus, die beiden südeuropäischen Mitgliedstaaten nicht für Vergehen gegen den Stabilitätspakt zu bestrafen. Der Rat folgt damit der Empfehlung der EU-Kommission, die als Hüterin der europäischen Verträge über die Einhaltung der vereinbarten Spielregeln wacht. Die Brüsseler Behörde hat im Juli zwar die Nichteinhaltung des Stabilitätspakts bestätigt, aber für eine Suspendierung der Strafen plädiert – das letzte Wort in dieser Frage hat das Gremium der EU-28.

Theoretisch hätten Lissabon und Madrid mit einer Höchststrafe im Gegenwert von 0,2 Prozent der jeweiligen nationalen Wirtschaftsleistung bedacht werden können – diese Pönale ist seit Dienstag definitiv vom Tisch. Unklar ist noch, wie es um die zweite Komponente des Sanktionsregimes steht – die Kürzung von EU-Strukturfonds. Zur möglichen Aussetzung der Zahlungen aus Brüssel machte die Kommission bis dato keine Vorschläge, die Entscheidung darüber dürfte nach dem Ende der EU-Sommerpause im September fallen.

Für Nachsicht gegenüber den Defizitsündern sprachen mehrere Faktoren. Bei Portugal war es die Tatsache, dass das Budgetdefizit nur im Vorjahr über den Vorgaben aus Brüssel gelegen war – statt eines Fehlbetrags von 2,7 Prozent des BIPs waren es 4,4 Prozent. Bereits heuer soll das Defizit unter die Drei-Prozent-Marke fallen: Die Kommission erwartet 2,5 BIP-Prozent (sowie zusätzliche Sparmaßnahmen im Umfang von einem Viertelprozentpunkt des BIPs), die Regierung in Lissabon ist optimistischer und peilt für 2016 einen Fehlbetrag von rund 2,2 Prozent an.

Spanien hat zuletzt zwar schwerer als Portugal gesündigt – auch heuer wird das spanische Defizit deutlich über der Drei-Prozent-Marke liegen, dieser Grenzwert soll erst im Jahr 2018 unterschritten werden. Angesichts der Tatsache, dass die Spanier seit Dezember de facto über keine politisch handlungsfähige Regierung verfügen – in Madrid wird derzeit über mögliche Koalitionen gefeilscht –, wollte man in Brüssel offenbar vermeiden, mit einer Pönale innerspanische Konflikte anzufachen.

Diese Vorsicht gilt übrigens nicht nur gegenüber den Südeuropäern: Wie EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici Ende Juli unumwunden zugegeben hat, will die Brüsseler Behörde Populisten in den Mitgliedsstaaten keine zusätzliche Munition liefern: „Sanktionen sind nicht die beste Herangehensweise in Zeiten, wenn es weitgehende Zweifel an Europa gibt“, sagte Moscovici, stattdessen will man das Regelwerk der Union „intelligent anwenden“. Für ein Umdenken sprechen auch Berichte, wonach es ausgerechnet der für seine Regeltreue bekannte deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, war, der von Sanktionen nichts wissen wollte und fiskalpolitischen „Falken“ in EU-Kommission und einigen europäischen Hauptstädten den Strafvollzug ausgeredet hat.

Inwieweit Schäubles Nachsicht ernst gemeint war, muss sich noch weisen. Tatsache ist, dass der deutsche Finanzminister und seine Bundeskanzlerin, Angela Merkel, in der Defensive sind: Die Schuldenkrise in Griechenland ist noch lang nicht ausgestanden, in Italien gibt es Probleme mit dem Bankensektor, und in Frankreich ist angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahlen die Lust auf weitere Strukturreformen und Sparmaßnahmen enden wollend. Das deutsche Verständnis für die spanischen und portugiesischen Probleme könnte also ein taktischer Rückzug gewesen sein, um moralisch gestärkt den Kampf um ausgeglichene Budgets weiterzuführen.

Einladung nach Athen

Daran, dass weitergekämpft wird, gibt es wenige Zweifel. Die jüngste Front wurde in Athen eröffnet: Premierminister Alexis Tsipras will seine südeuropäischen Kollegen am 9. September zu einem Treffen nach Athen einladen. Auf der Gästeliste stehen dem Vernehmen nach auch Frankreichs Staatschef, François Hollande, sowie der italienische Ministerpräsident, Matteo Renzi. Medienberichten zufolge soll das Treffen unter dem Motto „Mehr Wachstum statt Austerität“ stehen – was nach einer Kampfansage an Deutschland klingt.

Die EU-Kommission wollte am Dienstag das geplante Treffen nicht kommentieren und auch nicht über die Liste der Teilnehmer spekulieren – eine Kritik an dem exklusiven Format wäre aber insofern problematisch, als Deutschland immer wieder ein selektiver Gastgeber ist. So hat der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, unmittelbar nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien Ende Juni die Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg) zu einem Treffen nach Berlin eingeladen – was in den anderen EU-Hauptstädten für Irritation gesorgt hat.

Unklar ist, ob Hollande und Renzi gemeinsam mit Tsipras gegen die Austerität kämpfen wollen und die Einladung nach Athen annehmen werden. Frankreich hat stets darauf geachtet, nicht als südeuropäisches EU-Mitglied wahrgenommen zu werden. Und Italien könnte schon bald auf deutsche Unterstützung bei der Sanierung seiner Banken angewiesen sein – kein guter Zeitpunkt für Warnschüsse in Richtung Berlin.

Auf einen Blick

Budgetdefizite. Portugal hat 2015 sein Defizitziel verfehlt: Statt eines Fehlbetrags von 2,7 Prozent des BIPs wurden 4,4 Prozent vermeldet. Heuer soll das portugiesische Defizit deutlich unter der Drei-Prozent-Marke liegen. Auch Spanien erfüllte 2015 seine Vorgaben nicht und fuhrt statt der vereinbarten 4,2 BIP-Prozent ein Budgetdefizit von 5,1 Prozent ein. Brüssel geht davon aus, dass das spanische Defizit erst 2018 weniger als drei BIP-Prozent betragen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2016)

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