Putin und Erdoğan schließen Frieden

Erdogan und Putin in St. Petersburg. Ein Händedruck nach eher unterkühlten letzten Jahren.
Erdogan und Putin in St. Petersburg. Ein Händedruck nach eher unterkühlten letzten Jahren.APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV
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Die beiden Staatschefs kündigen die Erneuerung der diplomatischen Beziehungen an. „Schrittweise“ will Moskau die verhängten Handelssanktionen abbauen.

Die achtmonatige Eiszeit zwischen Russland und der Türkei ist seit Dienstag offiziell vorüber. Im Konstantinpalast bei Sankt Petersburg schüttelten die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan in betont freundlicher Atmosphäre einander die Hände, Erdoğan nannte Putin wiederholt seinen „lieben Freund“, Putin tat das nicht. Dafür kündigte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz die vollständige Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen an: „Wir wollen das und werden das machen.“ Russlands Präsident betonte, eine Zusammenarbeit habe nicht nur pragmatische Gründe, sondern sei im Interesse beider Völker und des Friedens.

Nach der eineinhalbstündigen Unterredung der Staatschefs fand ein Treffen mit Wirtschaftsvertretern statt. Begleitet wurde Putin von Außenminister Sergej Lawrow und Präsidentenberater Jurij Uschakow. Erdoğan hatte unter anderem Außenminister Mevlüt ?avuşoğlu und den Präsidialamtsleiter Ibrahim Kalin mitgebracht.
Ausgelöst hatte die türkisch-russische Krise der Abschuss eines russischen Kampfjets über syrisch-türkischem Grenzgebiet durch die Türkei im November 2015. Der Kreml reagierte hart und fror gemeinsame Energieprojekte ein, verbot die Einfuhr von türkischem Gemüse und Obst und stoppte Pauschalreisen für russische Touristen an die türkischen Urlaubsstrände.

„Gegen Verfassungsfeinde“

Erdoğan, wirtschaftlich unter Druck und international isoliert, reichte Ende Juni die vom Kreml geforderte Entschuldigung nach. Dann ging alles ganz schnell: Als zwei Tage später Terroristen auf dem Istanbuler Airport eine Attacke verübten, rief Putin Erdoğan an und sicherte ihm Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus zu. Noch deutlicher war seine Reaktion nach dem Putschversuch Mitte Juli. Putin war einer der Ersten, die dem türkischen Staatschef Unterstützung zusicherten, als dieser um sein politisches Überleben kämpfte. Putin bekräftigte am Dienstag seine „prinzipielle Position, stets gegen verfassungsfeindliche Handlungen“ einzutreten. Erdoğan nannte den Anruf „psychologisch wichtig“. Die Abwehr äußerer Kritiker hat die beiden Streithähne zusammengeschweißt. Als „Union der Gekränkten“ bezeichnete das Magazin „Slon“ ironisch die Versöhnung.

In der Realität müssen die beiden erst einmal die in den letzten Monaten verstreuten Scherben aufsammeln. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht war das Zerwürfnis schmerzhaft. „Schrittweise“ und in den nächsten Wochen sollen die von Russland eingeführten Schranken nun abgebaut werden.

Ein Hauptthema am Dienstag war der eingebrochene Tourismus. Hier musste die Türkei aufgrund des Fernbleibens russischer Touristen empfindliche Einbußen hinnehmen. Im ersten Halbjahr reisten 1,5 Millionen Russen an türkische Strände. Im Vergleichszeitraum 2016 waren es nur 184.000. Für die aktuelle Saison kommt der Friedensschluss zu spät, auch wenn das russische Staats-TV bereits wieder gefällige Berichte über die Türkei sendet – nachdem es monatelang gegen den heimtückischen „Sultan“ gewettert hatte. Moskau forderte Sicherheitsgarantien für seine Gäste – und bekam sie. „Wir unternehmen alle notwendigen Maßnahmen im Sicherheitsbereich“, hatte der türkische Präsident in einem Tass-Interview zuvor zugesichert. Nun sollen bald wieder Charterflüge in die Türkei starten. Moskau kündigte außerdem die Abschaffung der Visumpflicht für Türken an.

Im Bereich der Wirtschaft geht es vor allem um das Voranbringen zweier prestigeträchtiger Projekte, die ebenfalls auf Eis lagen. Einerseits das mit russischer Technologie geplante Atomkraftwerk Akkuyu, das Erdoğan als „wichtigsten Vertrag“ mit Russland im Bereich der ökonomischen Kooperation bezeichnete. Andererseits die Pipeline Turkish Stream, die russisches Erdgas durch das Schwarze Meer über die Türkei nach Südeuropa leiten soll.

Kein Kommentar zu Syrien

Einen kleinen Erfolg gab es am Dienstag zu vermelden: Bereits früher geplante Projekte zwischen dem russischen Staatsfonds RDIF und dem türkischen Baukonzern Rönesans im Bereich Gesundheit und Infrastruktur mit einem Volumen von bis zu 360 Millionen Euro werden wieder aufgenommen. Auf das Ende des Obst- und Gemüse-Boykotts muss Ankara noch hoffen.
Zum Bürgerkrieg in Syrien, einem Thema, bei dem die Positionen der beiden Staatsmänner am weitesten auseinandergehen, wollten sich Erdoğan und Putin vor Publikum nicht äußern. Es sollte erst am Abend gemeinsam mit den beiden Außenministern besprochen werden. So stellte man sicher, dass es vor der Kamera zu keiner unangenehmen Situation kam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2016)

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