Die tote Stadt: Wie die ÖVP die Wähler und die Wirtschaft quält

Seit 30 Jahren stellt die Volkspartei den Wirtschaftsminister, seit acht Jahren hat Reinhold Mitterlehner Zeit, Rahmenbedingungen zu verbessern. Und nun das!

Eines kann man der ÖVP wirklich nicht vorwerfen: Klientelpolitik – jedenfalls nicht, wenn Wähler die eigentliche Klientel einer politischen Partei sind. Erst diese Woche lieferte sie den jüngsten Beweis, wie man mit vollem Elan eine Wählervertreibungsaktion durchziehen kann: Die Mieten für Wiener Schanigärten werden ab der kommenden Saison verdreifacht und dem neuen Bezirksvorsteher des Ersten Wiener Bezirks, Markus Figl von der ÖVP, ist diese Aktion noch zu schwach. Er will noch höhere Mieten.

Das muss man sich einmal vor Augen führen: In der Wiener Innenstadt sperren Traditionsgeschäfte reihenweise zu, weil sich das Mieten einfach nicht mehr rechnet. Mit anderen Worten, weil nichts mehr zu verdienen ist. Die Antwort darauf: noch höhere Mieten! Jetzt hat es die Wirtschaftspartei ÖVP auf die Gastronomie abgesehen.

Die Logik muss man erst einmal nachvollziehen können: Man erhöht die Abgaben um das Dreifache (20 Euro statt 7,50 pro Quadratmeter) und glaubt, dass eine solche Erhöhung unbegrenzt auf die Kunden abgewälzt werden kann. Wirtschaftswunderwuzzi Figl ist überhaupt bei Erhöhungen entfesselt. Je höher die Preise, desto mehr Kunden? Bestimmt! Wenn sich dann derIrrtum herausstellt, gehen reihenweise Arbeitsplätze verloren.

Nachdem die Wiener Wirtschaftskammer Gesetz und Erhöhung bejubelt hat und ihr Präsident Walter Ruck „von einem guten Tag für den Wirtschaftsstandort Wien“ gesprochen hat, muss die Wirtschaftspartei ÖVP eine versteckte Agenda haben. Diese sieht offenbar so aus: Nur ein geschlossener Betrieb ist ein guter Betrieb. A Ruh' soll sein, und das geht in einer toten Stadt am besten.

Das muss einmal jemand verstehen können, zumal die Wiener Verwirrung in den ÖVP-Köpfen ja kein geistiger Betriebsunfall ist. Sie hat Methode. So wollte sich vor einigen Tagen Minister Andrä Rupprechter mit der Forderung nach Erhöhung der Steuer auf Diesel umweltbeliebt machen. Man erkennt den roten ÖVP-Wirtschaftsfaden, ja? Erhöhen, wo nur möglich. Ausgerechnet jetzt! Der Ärger der Autofahrer wäre ja weniger wirtschaftsrelevant, aber was ist mit der Transportbranche? Wenn dort das Abwälzen und Verkraften in dieser angespannten Situation nicht funktioniert, gehen auch Arbeitsplätze verloren.

Man sollte nicht kleinlich sein. Da die neue Wiener Schani-Regelung mit dem neuen Gesetz auch jede Menge Quadratmeterkontrollen und sonstige Schikanen vorsieht, wird man ein Heer von Kontrolloren brauchen. So wie beim Rauchergesetz. So wie beim Registrierkassengesetz. Da soll niemand sagen, dass nicht auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Kontrollore braucht die Wirtschaft zwecks Produktivitätssteigerung, nicht wahr?

Das muss man sich auch einmal in Erinnerung rufen: Seit 30 Jahren stellt die ÖVP den Wirtschaftsminister. Auf der aktuellen Website der Partei finden sich zurzeit fünfmal die Forderung nach Abbau der Bürokratie in verschiedenen Zusammenhängen und mehrere Hinweise, dass die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Wirtschaften verbessert werden müssen.

M

an muss ja nicht gleich so bösartig sein wie der erfolglose Präsidentschaftskandidat und Ex-Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der auf Fragen nach der Rekordarbeitslosigkeit immer auch auf Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner verwiesen hat, aber die Frage ist schon erlaubt: Er ist seit acht Jahren Ressortchef. Was oder wer hat ihn davon abgehalten, die Rahmenbedingungen ständig zu verbessern? Die SPÖ, natürlich, wäre die Antwort.

Wie aber die jüngsten Aktionen zeigen, benötigt die ÖVP den Koalitionspartner gar nicht. Sie hat im Verein mit der Wirtschaftskammer immer schon ganz allein genügend Fantasie gehabt, (Klein-)Unternehmen mit Bürokratie und Belastungen zu quälen. Es kann sein, dass die Schmerzgrenze beim Ver- und Behindern oder Abzocken erreicht ist. Dann wird die Partei wenigstens als Klientel/Wähler-Schreck erfolgreich gewesen sein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

(Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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