Türkei: Feldzug gegen Kurdenpartei

The leader of Turkey's pro-Kurdish opposition Peoples' Democratic Party Demirtas, takes a selfie with supporters during a rally in Istanbul
The leader of Turkey's pro-Kurdish opposition Peoples' Democratic Party Demirtas, takes a selfie with supporters during a rally in IstanbulREUTERS
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Die Staatsanwaltschaft will fünf Jahre Haft für HDP-Chef Demirtaş wegen Terrorpropaganda. Ankara will die Oppositionspartei zerschlagen.

Wien/Ankara. Einen Tag nach einer groß angelegten Razzia gegen die prokurdische Partei HDP veröffentlichte die Staatsanwaltschaft Istanbul im Amtsblatt ihre Anklage gegen HDP-Chef Selahattin Demirtaş und den Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder: Wegen Terrorpropaganda verlangt die Anklage ein bis fünf Jahre Haft. Demirtaş und Önder wird vorgeworfen, während einer öffentlichen Parteiveranstaltung im März 2013 den inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan gepriesen zu haben.

Öcalans PKK versuche, durch Gewalt einen Teil des Landes zu spalten, und sei seit 1984 für zahlreiche im ganzen Land verantwortlich, heißt es in der Anklageschrift. Weiter: Die freie Meinungsäußerung habe dort Grenzen, wo Terrorpropaganda verbreitet werde oder die nationale Sicherheit gefährdet sei. Für Ermittlungen hat das türkische Parlament bereits im Mai die Immunität von etlichen HDP-Abgeordneten aufheben lassen, was international für Kritik gesorgt hat.

Die aktuelle Anklage gegen die HDP-Abgeordneten hängt nicht mit dem gescheiterten Putsch in der Nacht auf den 16. Juli zusammen; denn seither lässt die AKP-Regierung massenhaft mutmaßliche Putschisten und auch Regimekritiker entlassen und verhaften.

Vielmehr, so heißt es vonseiten der HDP, will die Regierung die linke, prokurdische Bewegung komplett zerschlagen. Die AKP sieht die Partei als politischen Arm der PKK, wiewohl sich Demirtaş mehrmals von deren Gewalttaten distanziert hat. „Wir akzeptieren nicht, dass die PKK den Krieg in die Städte tragen will“, sagte der HDP-Chef kürzlich. Im Südosten der Türkei detonieren nahezu täglich Bomben, immer öfter auch in Metropolregionen. Neben der PKK terrorisieren auch jihadistische Gruppen die krisengeschüttelte Region. Der Friedensprozess mit den Kurden, den die AKP selbst eingeleitet hat, ist seit vergangenem Jahr Makulatur.

Haftbefehl gegen Hakan Şükür

Was Öcalan betrifft, gibt es bereits seit geraumer Zeit keine neuen Informationen mehr, die Regierung hält sich bedeckt. Demirtaş und Önder haben – auch während der von der Staatsanwaltschaft genannten Parteiveranstaltung – die Aufnahme der Gespräche mit Öcalan verlangt, das würde die aufgeheizte Stimmung beruhigen. „Ist Öcalan lebendig, tot, verletzt; was ist in der Nacht passiert; wie ist sein Zustand?“, fragt Demirtaş und bezieht sich auf die Putschnacht, denn der Kurdenführer stand angeblich auch auf der Todesliste der Generäle.

Seit dem gescheiterten Putsch demonstriert die AKP ungewohnte Einigkeit mit der Opposition, zumindest mit der sozialdemokratischen CHP und der rechtsextremen MHP. Selbst Verfahren, die sich Vertreter der Parteien gegenseitig aufgehalst hatten, wurden symbolträchtig fallen gelassen. Die Post-Putsch-Harmonie gilt allerdings nicht für die HDP, die den gescheiterten Coup verurteilt, jedoch auch die darauffolgenden Massenverhaftungen scharf kritisiert hat.

Hinter dem Putsch steht der Regierung zufolge der islamische Prediger Fethullah Gülen. Jahrelang bildeten Gülen und die AKP eine fruchtbare Symbiose, davon ist freilich nichts mehr zu spüren. Mit jedem Tag werden neue Verhaftungen von tatsächlichen und vermeintlichen Gülen-Anhängern bekannt. So wird der bekannte Fußballer Hakan Şükür per Haftbefehl gesucht, Polizisten nahmen seinen Vater während des Freitagsgebets fest. Gülen war Şükürs Trauzeuge, die Trauung selbst führte der damalige Bürgermeister Istanbuls und nunmehrige Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, durch. Erdoğan und Gülen sind nun Erzfeinde.

Ankara verlangt erbittert die Auslieferung des Predigers, der seit den 1990ern in den USA lebt. Gülen selbst schrieb am Freitag in „Le Monde“: „Wenn nur ein Zehntel der Vorwürfe gegen mich stimmt, dann verspreche ich, in die Türkei zurückzukehren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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