Auf der Suche nach einer neuen Formel für Europa

European Council President Donald Tusk attends a news conference at the Delegation of the European Union to China in Beijing
European Council President Donald Tusk attends a news conference at the Delegation of the European Union to China in BeijingREUTERS
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Die Vorbereitungen für Sondergipfel über Zukunft der Union nach dem Brexit laufen an.

Brüssel/Wien. Normalerweise macht die EU im August Sommerferien, doch für Donald Tusk geht die Siesta dieses Jahr bereits kommende Woche definitiv zu Ende. Am Donnerstag trifft sich der Ratspräsident mit der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, zu einem Arbeitsabendessen, um den informellen Gipfel in Bratislava am 16. September vorzubereiten. Die abendliche Sitzung mit Merkel ist nur der Auftakt eines europapolitischen Reigens – weitere Treffen sind mit Frankreichs Staatschef, François Hollande, dem Luxemburger Premier, Xavier Bettel, sowie Theresa May (Großbritannien), Enda Kenny (Irland), Stefan Löfven (Schweden), Mariano Rajoy (Spanien), Joseph Muscat (Malta) sowie den drei baltischen Staats- und Regierungschefs geplant. Ein Tête-à-Tête mit Bundeskanzler Christian Kern steht – zumindest vorerst – nicht auf der Agenda, wobei Tusk die Absicht hat, sich vor Bratislava mit allen EU-Hauptstädten zu koordinieren.

Merkel, Hollande laden ein

Bilaterale Treffen sind aber beileibe nicht das einzige Gesprächsformat. Dem Vernehmen nach will Merkel am letzten August-Wochenende eine ausgewählte Gruppe von EU-Staats- und Regierungschefs zu Beratungen nach Berlin einladen, ein ähnliches Treffen im kleinen Kreis plant für Anfang September offenbar auch der französische Staatspräsident. Die Entscheidungsträger der EU wollen vermeiden, mit leeren Händen nach Bratislava zu reisen. Denn das Treffen der EU-27 (Großbritannien ist nicht eingeladen) soll erstens Entschlossenheit signalisieren und zweitens die Weichen für eine kleinere, aber besser funktionierende Union stellen. Über welche Reformvorschläge im September beraten wird, ist noch offen – im Bundeskanzleramt ist man gerade dabei, eine Liste österreichischer Anliegen auszuarbeiten. Nach Kerns jüngsten Aussagen zu urteilen, dürfte die Zukunft der Beziehungen zur Türkei ganz oben stehen.

Ein weiterer Fixstarter für die Gespräche in Bratislava sind die ursprünglichen Zugeständnisse der Europäer an Großbritannien. Das Angebot, das die EU-27 Premier David Cameron im Februar gemacht haben, um die Briten in der Union zu halten, ist zwar mit dem Austrittsvotum hinfällig geworden, doch mehrere Mitgliedstaaten wollen an den damals formulierten Ideen festhalten. Dabei geht es in erster Linie um das Management der Personenfreizügigkeit: Das Kompromissangebot an Cameron umfasste unter anderem unterschiedliche Kindergeld-Bemessungsgrundlagen für eigene Staatsbürger und EU-Ausländer sowie die Möglichkeit, Neuankömmlinge für die Dauer von maximal vier Jahren von Sozialleistungen auszuschließen.

Themenkomplex Nummer drei ist die Sicherheit – die Stichworte dazu lauten Flüchtlingskrise und Terrorgefahr. Bereits wenige Tage nach dem Brexit-Votum wurde kolportiert, dass Deutschland und Frankreich als Reaktion auf den britischen EU-Austritt die Kooperation in Sicherheitsfragen intensivieren wollen. An einem europäischen Grenzschutz wird bereits gearbeitet, und die Schaffung eines EU-Kommissarspostens für Sicherheit (der von einem Briten bekleidet wird) ist ein weiteres Indiz dafür, dass die EU als Reaktion auf den Brexit das subjektive Sicherheitsgefühl ihrer Bürger stärken will.

Und gehen Tusk und Co. einmal die Ideen aus, gibt es immer noch den sogenannten Fünf-Präsidenten-Bericht, der in Brüssel seit gut einem Jahr in einer fest verschlossenen Schublade schlummert und zahlreiche Vorschläge zur verstärkten wirtschaftlichen Kooperation in der Eurozone (etwa ein eigenes Budget für die Währungsunion) enthält. (la)

AUF EINEN BLICK

Die Slowakei lädt als derzeitige Vorsitzende der EU am 16. September zu einem informellen Gipfel nach Bratislava ein. Informell ist das Treffen deswegen, weil es unter Ausschluss der britischen Premierministerin, Theresa May, stattfindet – bei einem „echten“ EU-Gipfel müssen alle 28 Mitgliedstaaten vertreten sein. Die EU-27 wollen in Bratislava darüber beraten, wie die Union ohne die Briten aussehen soll. Aber auch über die Türkei dürfte gesprochen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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