Austrotürken: „Sie wissen nicht, wohin sie gehören“

Engin Alkan
Engin AlkanDie Presse/Clemens Fabry
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Wie sehen Politiker mit türkischen Wurzeln die aktuelle Türkei-Debatte? Und die eigene Partei?

In Wien leben derzeit 70.000 bis 80.000 Österreicher, die in der Türkei geboren sind oder einen Elternteil haben, der dort geboren wurde. Etwa noch einmal so viele, die hier wohnen, haben einen türkischen Pass. Blickt man in den Wiener Gemeinderat, wird die Zahl überschaubarer. Es gibt gerade eine Abgeordnete, deren Familie aus der Türkei stammt: Safak Akcay von der SPÖ. Erst auf Bezirksebene finden sich weitere. Wie sehen sie die aktuelle Türkei-Debatte? „Die Presse“ hat mit türkischstämmigen Funktionären aller Wiener Parteien gesprochen – mit Ausnahme der FPÖ. Dort gibt es laut eigener Auskunft keine.

Ilkim Erdost (SPÖ)

„Ich bin früh politisiert worden. Ich komme aus einer Familie, in der Politik jeden Tag ein Thema war“, erzählt Ilkim Erdost. Ihre Mutter Nurten Yilmaz (SPÖ) hat es über den Wiener Gemeinderat bis ins Parlament geschafft, die 36-jährige Ilkim Erdost ist SPÖ-Bezirksrätin in Ottakring. Sind Menschen mit türkischstämmigen Migrationshintergrund zu wenig in der Politik vertreten? „Ich würde mir generell mehr politisches Engagement in der Gesellschaft wünschen. Die Nationalität ist dabei egal“, sagt Erdost. Und zum Österreich-Türkei-Konflikt: Dass es in der Türkei zu einem versuchten Militärputsch kam, stelle dem Land ein schlechtes Zeugnis aus – die Schuld dafür könne man aber nicht Präsident Recep Tayyip Erdoğan allein anlasten. „Die Situation in der Türkei ist so komplex, dass sie sich nicht auf eine Person reduzieren lässt.“ Nachsatz: „Es wäre wichtig, die Demokratiebewegung in der Türkei zu stärken.“ Die Demos mit den türkischen Fahnen in der Putschnacht haben ihr aber nicht gefallen: „Für mich ist klar, dass ich mich in der österreichischen Politik engagiere. Ich bin mit der Türkei zwar verbunden, aber Nationalismus schreckt mich ab.“

Zerife Yaktin und Bora Akcay (Grüne)

Politisch aktiv und „links“ war Zerife Yaktin, die als Teil der arabischen Minderheit in der Südtürkei aufwuchs, „immer schon“. Den Ausschlag dafür, warum sie sich auch in Österreich engagierte, gab unter anderem das AMS. Sie spreche vier Sprachen, sagt Yaktin, „aber sie haben zu mir gesagt: Gehen Sie doch putzen. Das fand ich ungerecht.“ Nach einem Abstecher bei der SPÖ landete Yaktin bei den Grünen. Als Hernalser Bezirksrätin ist sie zwar nicht mit Österreichs Außenpolitik befasst. Sie verfolgt diese natürlich trotzdem und hat den Eindruck, dass die heimischen Politiker „quer durch alle Parteien“ nicht immer genau wissen, wovon sie reden, wenn sie über die Türkei sprechen. Gleichzeitig hat sie den Eindruck, dass Input von Migranten bei den Funktionärskollegen nicht uneingeschränkt willkommen ist. „Ich habe schon vor zehn Jahren vor radikalen Vereinen und Indoktrination in den Kindergärten gewarnt.“ Aber man habe ihr nicht geglaubt – oder nicht glauben wollen, „aus Angst, dass man der FPÖ in die Hände spielt“. Nun wird die Wiener Partei zwar mit Maria Vassilakou von einer geborenen Griechin geführt, doch generell sieht Yaktin den Umgang mit Migranten kritisch: Sie würden im Wahlkampf als „Vorzugsstimmenmagnet“ genutzt, aber meist so weit hinten auf der Liste platziert, dass sie keine Chance auf ein Mandat hätten. „Migranten und Migrantinnen stoßen in der Politik an eine gläserne Decke.“ Für Bora Akcay ist das nicht so eindeutig: Akcay ist Bezirksrat der Grünen im dritten Bezirk und hat oft Absagen kassiert, wenn er Bekannte mit türkischen Wurzeln für die Politik gewinnen wollte. „Das Bewusstsein, dass man Teil dieser Gesellschaft ist und etwas für sein Umfeld machen sollte, fehlt oft.“ Der Fokus liege bei vielen noch immer auf der alten Heimat. Was die Außenpolitik betrifft, ist der aus Istanbul stammende Architekt derselben Meinung wie Yaktin: Beide sind strikt gegen den Putsch, sehen Erdoğan aber sehr kritisch (Yaktin nennt ihn einen „Wahnsinnigen“, Akcay „Demokrator“). Trotzdem finden sie, dass man die EU-Beitrittsverhandlungen nicht stoppen sollte. Auch wenn die Parteichefin der Grünen im Bund, Eva Glawischnig, das – wie alle Parteichefs – anders sieht.

Okan Yerit (ÖVP)

Okan Yerit, ÖVP-Bezirksrat auf der Wieden, kommt aus einer politischen Familie. Die Eltern, die in Istanbul aufwuchsen, gingen nach Vorarlberg. Der Vater engagierte sich bei der SPÖ-Gewerkschaft, „wo er sich stark um die türkische Community gekümmert hat“, so der PR- und Marketingmanager. „Er hat viele soziale Initiativen gesetzt. Ich mache das in Wien im christlich-sozialen Rahmen.“ Menschen mit türkischem Migrationshintergrund seien politisch „sicher“ zu wenig vertreten. Aber man könne nicht klagen, unterrepräsentiert zu sein, und dieses Engagement aber gleichzeitig anderen überlassen. „Man muss selbst mitmachen. Sonst funktioniert es nicht.“ Ausschließlich die türkische Community politisch zu vertreten lehnt Yerit ab: „Ich habe kein Amt als Bezirksrat, damit ich mich nur auf eine gesellschaftliche Schicht konzentriere. Ich bin für alle da – ich mache keine Klientelpolitik.“ Die Aufregung in Österreich nach den Demos sieht er so: „Ich sehe hier nur eine absolute Minderheit.“ Diese versuche, Aufsehen zu erregen, „was mir persönlich nicht gefällt“. Die Demonstranten mit türkischen Fahnen in Wien „haben kein Problem mit dem österreichischen Staat, sondern mit ihrer eigenen Identität. Sie wissen nicht, wohin sie gehören.“

Engin Alkan (Unos – Neos in WKW)

Engin Alkan ist als Unternehmer oft in der Türkei. Mit der dortigen Politik hat der Austrotürke nichts am Hut. Er hat aber viele Freunde, die AKP-Anhänger sind – „auch wenn in der Türkei schon länger keine Rechtsstaatlichkeit existiert“. Er selbst verstehe zwar nicht, sagt Alkan, warum man als Österreicher für Erdoğan demonstriere, aber: „Ausgrenzen darf man diese Menschen nicht.“ Die österreichischen Politiker verstünden leider nicht, dass „wir zwischen zwei Kulturen leben. Man kann den Menschen nicht sagen: ,Entweder – oder‘.“ Zumal Österreich leider nicht Kanada sei: „Migranten sind hier geduldet, in der Führungsebene will man sie aber nicht.“ Eine Migrantenliste wie jene von Turgay Taşkiran sei, so Alkan, aber der falsche Weg. Er selbst war, bevor er zu den Neos wechselte – er ist bei den Unos in der Wirtschaftskammer und betreut den Themenbereich Integration –, kurz bei der SPÖ. „Aber das war mir zu hierarchisch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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