Wiener Schmäh und seine Seelenabgründe

Die Salzburger Festspiele präsentierten Musik wider den Bierernst der Avantgarde von Friedrich Cerha, Kurt Schwertsik und Nali Gruber.

„I hoid di / du hoids mi / ea hoid si / si hoid eam / so hoid ana / in aundan / aum schmee.“ Der Aphorismus Ernst Keins (1928–1985) hätte als Motto über dem Festspielkonzert im Mozarteum stehen können. Friedrich Cerha hat ihn, zusammen mit anderen Gedichten und Sprüchen des Autors, in seiner 1983 uraufgeführten „1. Keintate“ für Stimme und Ensemble doppelbödig vertont: beinah als eine Variation auf Schnitzlers „Reigen“. Mehrfach, in verschiedenen Tempi und tänzerisch beschwingt, scheint da bloß reihum jeder den anderen heiter, vielleicht sogar amourös zu fassen – bevor die Pointe erst den bösen Hintersinn offenbart: nur ein Häppchen inmitten eines gefundenen Fressens für den dirigierenden Chansonnier HK Gruber und das virtuose Österreichische Ensemble für Neue Musik (OENM).

Das „Am-Schmäh-Halten“ war tatsächlich eine Art Leitmotiv dieses Abends mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, die sich ihrer (auch) unterhaltenden Absicht nicht schämt – wobei es freilich nirgends darum geht, jemanden hinters Licht zu führen, schon gar nicht das Publikum, sondern um erfrischende (Selbst-)Ironie. Die strengen, von vielen dogmatisch und bierernst verstandenen Grundfesten der Nachkriegsavantgarde zu erschüttern, das leistete seinerzeit nicht nur John Cage, sondern in eigenständiger Manier auch der Schmäh Wiener Provenienz – von Kurt Schwertsik zum Beispiel, später auch von KH Gruber. Und Friedrich Cerha, der mit Schwertsik in den Fünfzigern das hierzulande bahnbrechende Ensemble „die reihe“ gegründet hat, zählt auf eigene, spezielle Weise zu diesem Kreis.

Cerhas Neunziger feiern die Salzburger Festspiele heuer in einigen Konzerten, so wie jenen von György Kurtág (etwa mit den „Kafka-Fragmenten“ und heute, Sonntag, mit einem verflochtenen Kurtág/Schumann-Programm). Zuvor aber nochmals Cerha: Großartig, wie er in der „Keintate“ das Atonale mit der Verve und den Trenzereien von Heurigenmusik verknotet – und wie einem dabei das Lachen mehrfach im Halse stecken bleiben kann. Zumal wenn Gruber die Pointen gleichsam lustvoll zerbeißt und sich das OENM ihm keck oder auch perfekt süßlich anschmiegt. Jubelstürme!

Vor der Pause ist zu hören gewesen, wie Cerha 1992 in „Quellen“ nochmals Neues, nämlich außereuropäische Rhythmen, in seine Musik eingebracht hat – und wie HK Gruber 2001 in seinen „Zeitfluren“, nach einer Art Trauermusik für H. C. Artmann, im zweiten Satz dann unbekümmert über alle denkbaren Stränge schlägt: Musikalischer Slapstick ohne Ende. Dazwischen Schwertsiks traurige Clownerie „Adieu Satie“ für Streichquartett und Bandoneon. Da misst sich Schwertsik, ohne jede Anmaßung, das Gewand des brillanten französischen Einzelgängers an, nur um es abzulegen – großteils jedenfalls. Ein wehmutsvoller Spaß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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