Die Welt und ich: Frauen auf Soloreise

Marisa Mühlböck ist selbst eine geübte Alleinreiserin. Sie will mit Sue met Lin (siehe Logo auf dem Koffer) alleinreisende Frauen untereinander vernetzen. Das Foto entstand in der Pure Living Bakery in Wien Neubau.
Marisa Mühlböck ist selbst eine geübte Alleinreiserin. Sie will mit Sue met Lin (siehe Logo auf dem Koffer) alleinreisende Frauen untereinander vernetzen. Das Foto entstand in der Pure Living Bakery in Wien Neubau.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das Reisen war lange eine Männerdomäne. Frauen, die ohne Begleitung die Welt entdeckten, wurden kritisiert. Heute gehen Frauen selbstverständlich allein auf Reisen.

Eigentlich hatten wir gedacht, dass die Zeiten vorüber seien. In denen Frauen, die allein reisen, für verrückt oder egozentrisch erklärt werden. Jahrhundertelang waren Abenteurerinnen eine Ausnahmeerscheinung. Wenn Frauen doch allein unterwegs waren, wurden sie insbesondere von Männern diffamiert. Vor allem im späten 19. Jahrhundert, als im Zuge des europäischen Kolonialismus Forschungsreisen in Mode kamen, begannen immer mehr Frauen, wie die Österreicherin Ida Pfeiffer, die Welt zu entdecken. Aber noch Anfang der 1990er-Jahre zeigten filmische Geschichten wie das Roadmovie „Thelma und Louise“, dass es kein gutes Ende nimmt, wenn Frauen auf Reisen gehen, wie die US-amerikanische Feministin Gloria Steinem in ihrem soeben erschienen Buch „My Life on the Road“ erläutert.

Heute sind Frauen, die allein reisen, nicht die Ausnahme, sondern beinahe die Regel. Vielreisende und Weltenbummler sind es gewohnt, an den ausgefallensten Plätzen der Erde Frauen auf Solopfaden zu begegnen. Zahlen bestätigen das: Frauen sind heute sogar öfter allein unterwegs als Männer. So hat der Reiseanbieter G Adventures festgestellt, dass die Anzahl an Soloreisenden seit 2008 insgesamt enorm gestiegen ist, angeblich um 134 Prozent. Und mit 65 Prozent aller Soloreisenden sind Frauen sogar in der Überzahl. Das entspricht einem Anstieg von 150 Prozent in fünf Jahren.

Boarding: Ladies only! Der Wienerin Marisa Mühlböck, selbst passionierte Alleinreisende, ist diese Entwicklung in den vergangenen Jahren aufgefallen. Die 38-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftlerin war Beraterin in der PR-Agentur Pleon Publico und leitete die Julius-Raab-Stiftung in Wien. Nun macht sie sich mit einem Digitalprojekt selbstständig. Sie will Frauen, die allein reisen, auf der Internetplattform Sue met Lin vernetzen. Der Name verrät erst beim genauerem Hinhören, worum es geht: Zwei Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen (Sue und Lin) treffen oder trafen (met) einander irgendwo auf der Welt.

Noch ist das Produkt in der Testphase, Interessierte können sich aber auf der Webseite www.suemetlin.com bereits registrieren und das Angebot testen. Dort prangt gut sichtbar ein Hinweis mit der Aufschrift: „Boarding: Ladies only“, und das kommt so: „Die Plattform soll wirklich nur reisende Frauen vernetzen. Nicht weil Männer nicht lustig sind, sondern weil es sonst wieder auf Dating hinausläuft“, erklärt Mühlböck. Genau darum soll es nicht gehen, dafür gibt es Angebote wie Tinder. Derzeit werden solche Dating-Apps zwar gerade auch von Reisenden genutzt, um in fremden Gegenden Gleichgesinnte oder Einheimische zu finden, aber niemand garantiert einem, dass das Gegenüber die Kontaktanbahnung nicht doch wieder für einen Flirt oder mehr nützen will.

Wer allein reist, will eben keine Kompromisse mehr eingehen, so wie man das mit einem Reisepartner tun würde. Dennoch sind manche Dinge einfacher, günstiger und sicherer zu zweit. Sue met Lin soll dabei helfen, Mitfahrgelegenheiten zu finden, jemanden, der mit einem die Surflehrerstunde teilt oder Einheimische, die einem bei der Suche nach dem richtigen Arzt oder der besten Bar helfen.

Das S-Wort. Wenn man über alleinreisende Frauen spricht, streift man sehr schnell das berühmte S-Wort. S wie Sicherheit. Obwohl auch Solomänner unterwegs nicht vor Diebstählen oder anderen Verbrechen gefeit sind, gelten Frauen immer noch als schutzbedürftiger. In gewissen Ländern und Städten ist natürlich vor allem für Frauen mehr Vorsicht geboten, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen sind dann genauso unerlässlich wie die richtigen Impfungen. Dennoch überrascht es, wie weitverbreitet veraltete Denkmuster immer noch sind. Wenn Frauen selten, aber doch auf Reisen etwas passiert, werden sie immer noch häufig selbst dafür verantwortlich gemacht. Das ist wie mit dem zu kurzen Rock bei sexuellen Übergriffen. Erst Mitte Juni wurde der Fall einer 22-jährigen Niederländerin bekannt, die sich plötzlich in Katar im Gefängnis wiederfand. Sie hatte eine Vergewaltigung angezeigt und fand sich schließlich, wie der mutmaßliche Täter auch, in Haft wieder. Der Vorwurf: außerehelicher Geschlechtsverkehr.

Oder die Geschichte der argentinischen Freundinnen María José Coni und Marina Menegazzo. Sie reisten im vergangenen Winter durch Südamerika und wurden Ende Februar in Ecuador tot an einem Strand gefunden. Zwei Männer hatten ihnen offenbar einen Schlafplatz angeboten, sie dann aber sexuell missbraucht und erstochen. Die Öffentlichkeit warf schließlich den Toten vor, sich überhaupt auf die Reise begeben zu haben. Eine Studentin aus Paraguay trat daraufhin mit einem offenen Brief im Namen der getöteten Mädchen („Gestern wurde ich umgebracht. (...) Aber schlimmer als der Tod war die Demütigung danach.“) eine große Welle der Solidarität los. Tausende junge Frauen, aber auch Männer posten seither ihre Reiseerfahrungen unter dem Hashtag #viajosola – #Ichreisealleine in sozialen Netzwerken.

Auch Marisa Mühlböck ist aufgefallen, dass die Berichterstattung über alleinreisende Frauen schnell hämisch-kritisch wird. „Eine Frau allein auf Reisen wird oftmals als defizitär dargestellt.“ Sie hat gemeinsam mit dem Zukunftsinstitut ein Studienprojekt initiiert, für das sie Dutzende Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 60 über ihre Reisemotivation befragt hat.

Soloreise als Kompromiss. Mühlböck sagt, dass man heute nicht mehr von bestimmten Reisetypen sprechen kann, sondern von Lebensphasen. Vier davon hat sie ausgemacht: In der Phase der Postadoleszenz, zwischen Anfang 20 und Anfang 30, reisen junge Frauen, um sich vom Elternhaus zu emanzipieren und die Welt zu entdecken. „Das Alleinreisen wird hier zu einem Medium für einen Reifungsprozess.“ Zwischen Anfang 30 und bis Anfang 50 wird Alleinreisen als Entschleunigung oder Belohnung nach Phasen intensiver Arbeits- und/oder Kindererziehungszeit genutzt. Oder die Soloreise entsteht aus einem Kompromiss: Der Partner ist weg, die gemeinsam geplante Reise muss umdisponiert werden. Manche machen das Beste daraus. So wie die frisch verheiratete Huma Mobin aus Pakistan. Weil ihr Ehemann nicht mehr rechtzeitig ein Visum bekam, verbrachte sie die geplanten Flitterwochen in Griechenland allein – und postete täglich mehrere Fotos von sich auf Instagram. Mit traurigem Schmollmund und ausgestrecktem Arm, unter dem ihr Mann ihr fehlte. Der Applaus im Netz war ihr sicher.

Von der Phase des zweiten Aufbruchs spricht Mühlböck bei Frauen zwischen Anfang 50 und Anfang 60. Auch hier sind die Gründe für den Reisedrang vielfältig: Entweder die Kinder haben gerade das Haus verlassen, die Eltern sind nach langer Pflege gestorben, es gab eine Scheidung oder der Lebenspartner ist wegen des großen Altersunterschieds oder einer Krankheit nicht so fit wie man selbst. „Der Freiraum für das Reisen ist wieder größer, aber die Familienmitglieder stehen als Reisepartner seltener zur Verfügung.“ Die vierte Phase nennt Mühlböck den „(Un-)Ruhestand“. Denn auch Menschen Ende 60 oder älter begeben sich heute allein auf Reisen.

Mühlböck ist es wichtig, zu zeigen, dass das Alleinreisen eine besondere Qualität hat – und nicht automatisch etwas mit einsam sein zu tun hat. Dabei sei genau diese Angst vor Einsamkeit die zweitgrößte mentale Barriere für den Reiseaufbruch bei Frauen. Und die größte? Das sind auch bei Frauen die Sicherheitsbedenken. Da können noch so viele über ihr Soloabenteuer schreiben, wie die Journalistin Waltraud Hable (siehe re.) oder ihre deutsche Kollegin Meike Winnemuth, die 2012 über ihre Jahrestour durch zwölf Länder berichtete. Viele Frauen träumen nur vom Abenteuer. Sie sollten der heute 82-jährigen Feministin Gloria Steinem zuhören, die sagt: „Für eine Frau ist vielleicht nichts so revolutionär, wie selbstbestimmt auf Reisen zu gehen.“

Info

Literatur-Tipps: Frauen unterwegs

Gloria Steinem: „My Life on the Road“ (btb Verlag, 384 Seiten, 2016). Soeben erschien die spannende autobiografische Erzählung der US-amerikanischen Feministin Steinem, in der sie von ihrem Leben auf Reisen berichtet.

Katrin Zita: „Die Kunst, allein zu reisen . . . und bei sich selbst anzukommen“ (Goldegg, 2014). Die Österreicherin trägt Tipps für Soloreisen - für Männer wie Frauen - zusammen.

Martha Gellhorn: Sie war eine der Frauen von Ernest Hemingway und Kriegsreporterin. Es gibt unzählige Texte und Reisereportagen von ihr.

Julia Keay: „Mehr Mut als Kleider im Gepäck“: Porträts von sieben Frauen unterschiedlicher Herkunft und Weltanschauung – unter ihnen Anna Leonowens, Gertrude Bell und Alexandra David-Néel –, die im 19. Jahrhundert die Welt bereisten.

Ida Pfeiffer (1797 − 1858) war eine der ersten österreichischen Frauen, die allein die Welt bereisten, und unter anderem die erste europäische Frau, die das Innere der Insel Borneo durchquerte. Sie schrieb 13 Bücher, die in sieben Sprachen übersetzt wurden. Ihr Buch „Eine Frauenfahrt um die Welt“ wurde mehrfach neu aufgelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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