"Am wichtigsten wäre ein Ende der Kämpfe"

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Die NGO Verantwortungsvolle Bürger kritisiert die Untätigkeit der Behörden im Konfliktgebiet.

Die Nichtregierungsorganisation Verantwortungsvolle Bürger war seit Beginn des Konflikts im abtrünnigen Donezker Gebiet tätig, in der sogenannten Donezker Volksrepublik (DNR). Nunmehr helfen Sie auf der ukrainisch kontrollierten Seite Bürgern. Unterscheiden sich die humanitären Bedürfnisse der Menschen auf beiden Seiten?

Olga Kosse: Die Bedürfnisse und Probleme der Menschen, die auf beiden Seiten der Linie leben, sind faktisch gleich. Am wichtigsten wäre für sie ein Ende der Kampfhandlungen. Der Wiederaufbau kann nicht in Gang kommen, in einem Gebiet, das regelmäßig beschossen wird. Die humanitären Organisationen decken Basisbedürfnisse ab, die das Überleben erlauben. Doch die grundlegenden Probleme der Menschen werden damit nicht gelöst.

Was sind die drängendsten Probleme?

Gegenwärtig gibt es in den frontnahen Gebieten Probleme mit der Trinkwasserversorgung. Es gibt Dutzende Orte, wo nur Nutzwasser verfügbar ist. In der Siedlung Wodjanoe hatten die Menschen eineinhalb Jahre nur Nutzwasser zur Verfügung; erst seit einigen Monaten liefert eine Hilfsorganisation Trinkwasser dorthin. Bei den Einwohnern sind Erkrankungen des Magens und der Haut aufgetaucht. Apotheken und Krankenhäuser sind oft weit weg. Die Menschen müssen 30 Kilometer oder mehr fahren, um simple Medizin zu kaufen. Notärzte müssen aus den großen nahen Städten in diese Regionen fahren. Das Gelände ist dort mittlerweile sehr unwegsam. Deshalb kommen sie nicht an oder kommen zu spät.

Wie fühlen sich die Menschen in den frontnahen Gebieten? Wo sehen sie ihre Zukunft?

Die Menschen in diesen Zonen haben das Gefühl, dass der Staat sie aufgegeben hat. Seit Beginn des Krieges vor zwei Jahren werden fast keine Wiederaufbauarbeiten durchgeführt. Im Ort Kamenka im Bezirk Wolnowacha ist eine Schule seit eineinhalb Jahren ohne Fenster. Kampfhandlungen gibt es dort schon lange keine mehr. Versuche, neue Fenster einzubauen, werden dennoch nicht unternommen, obwohl dort 78 Kinder unterrichtet werden.

Woran liegt das?

Die Anwohner glauben, dass die ukrainischen Behörden bereit sind, das Gebiet an die Donezker Volksrepublik auszuliefern, sollte plötzlich eine Offensive beginnen – warum also Wiederaufbauarbeiten in diesen instabilen Gebieten in Angriff nehmen? Vielen ist es schon egal, welche Fahne auf den Verwaltungsgebäuden weht. Sie wollen ihr früheres Leben zurück.

Die Separatistenbehörden haben Ihrer NGO im Februar die Arbeitserlaubnis entzogen, mehrere Mitarbeiter wurden ausgewiesen. Wo arbeiten Sie jetzt?

Wir sind seit April in Kramatorsk (von Regierungskräften kontrollierte Stadt am Rande des Konfliktgebiets, Anm.). Wir arbeiten hauptsächlich in den frontnahen Gebieten, wohin andere Hilfsorganisationen nicht fahren oder wo es keine funktionierenden Lokalbehörden gibt. Unsere NGO funktioniert einerseits als Freiwilligengruppe – wir fahren Hilfspakete an Hilfsbedürftige aus. Zudem realisieren wir Projekte, die Beschäftigungsalternativen für die Lokalbevölkerung entwickeln.

Hoffen Sie auf eine Rückkehr?

Natürlich wollen wir nach Donezk zurückkehren und dort unsere Arbeit aufnehmen. Dort ist unser Zuhause. Wir empfinden unsere Ausweisung als ungerecht. Gegenwärtig fehlen aber die Voraussetzungen für unsere Rückkehr. Sechs Vertreter unserer Organisation dürfen das Territorium der DNR nicht betreten. Solange sich die politische Situation nicht ändert, werden wir wohl kaum zurückkehren können.

Olga Kosse
engagiert sich in der Gruppe Verantwortungsvolle Bürger.
Die 24-Jährige stammt aus Donezk und hat ursprünglich Journalismus studiert.

Die Hilfsorganisation
wurde von jungen Donezker Bürgern gegründet, um der örtlichen Bevölkerung unabhängig von politischen Gesichtspunkten zu helfen. Sie wurde im Juli 2014 gegründet. Mittlerweile kann die NGO in Donezk nicht mehr tätig sein.
Infos im Internet: responsiblecitizens.
org/en/

Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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