Moskau hat Kampfflugzeuge in den Iran verlegt. Die Mittelstreckenbomber Tu-22M3 "Backfire" haben samt Begleitjägern bereits mehrere Ziele in Syrien angegriffen, sagt das Verteidigungministerium.
Russland hat im Zusammenhang mit dem Syrienkrieg erstmals Kampfflugzeuge in den Iran verlegt und fliegt von dort aus Angriffe gegen islamistische Milizen in Syrien: Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte am Dienstag mit, Mittelstreckenbomber hätten Waffen- und Munitionslager, Trainingscamps und Kommandozentralen der Jihadistenmiliz Islamischer Staat und des al-Qaida-Ablegers al-Nusra-Front in Syrien angegriffen, darunter in Aleppo.
Russische Medien berichteten, Bomber vom Typ Tupolew Tu-22M3 "Backfire" sowie Suchoi Su-34 "Fullback"-Jagdbomber seien auf eine Luftwaffenbasis nördlich der westiranischen Stadt Hamadan verlegt worden. Ein Sender zeigte Bilder von mindestens drei nebeneinander geparkten Backfires und einem russischen Militärtransportflugzeug, ohne allerdings anzugeben, wann und wo die Bilder aufgenommen wurden.
Im Gespräch mit der "Presse" sagt Georg Mader, Korrespondent des internationalen Militärfachmagazins "IHS Jane's Defence", dass es sich um die Basis "Noje" bzw. "Shahrokhi" nördlich von Hamadan handle. Dass die Russen von dort aus längerfristig Kampfflugzeuge betreiben können, sei in technischer Hinsicht wenig problematisch, schließlich rühre die Infrastruktur der iranischen Luftwaffe sanktionsbedingt aus demselben Zeitraum, also den 1970ern und 1980ern, in dem die Backfires einst konzipiert und gebaut worden waren. Und was vor Ort an Technik und Material nicht vorhanden sei, würden die Russen eben einfliegen.
Die Backfire wurde ab etwa 1972 bis 1993 in mehreren Varianten gebaut, darunter als erwähnte Tu-22M3 (eigentlich Backfire-C). Sie fliegt maximal etwa Mach 2,2, hat im Kampfeinsatz einen Einsatzradius von etwa 2400 Kilometern und kann bis zu 24 Tonnen Waffen mitführen, von gewöhnlichen Freifallbomben bis hin zu Marschflugkörpern, ist allerdings in der Normalversion nicht für präzisionsgelenkte (etwa per GPS, Laser) Bomben ausgelegt, weshalb westliche Beobachter im Grunde von Flächenbombardements sprechen. Der Streukreis beim Abwurf ungelenkter Bomben habe in etwa die Größe von zwei bis vier Fußballfeldern, heißt es, was eine punktgenaue Bekämpfung mit möglichst wenig Kollateralschaden fast unmöglich mache und, rein vom Prinzip her, eher an den Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg oder über Vietnam erinnere.
Der vorrangige operative Zweck dieses Schwenkflügelbombers in der Zeit des Kalten Krieges war es allerdings, im Ernstfall eines großen Kriegs in Europa mit Anti-Schiff-Raketen, Marschflugkörpern und weitreichenden Luft-Luft-Raketen die aus Nordamerika nach Europa fahrenden Nachschubkonvois der Nato und die Luftbrücke über den Nordatlantik anzugreifen.
Neues nahöstliches Standbein der Russen
Moskau hat zuvor keine anderen Territorien im Nahen Osten außer Syrien für seine Operationen in dem Bürgerkriegsland genutzt. Die iranisch-russische Kooperation erfolge im Kampf gegen den Terrorismus, begründete der Vorsitzende des iranischen Sicherheitsrats den Schritt am Dienstag. Dazu ist die Stationierung näher am Einsatzraum auch technisch-operativ von Nutzen: Bisher benutzten die Backfires für ihre Syrien-Einsätze das Aerodrom bei Mosdok im Nordkaukasus; von dort aus via Iran und Irak sind es etwa nach Aleppo (Nordsyrien) rund 2100 Kilometer. Von Hamadan nach Aleppo sind es nur rund 1000 Kilometer. Die kürzere Distanz spart Treibstoff, ermöglicht ein Mehrfaches an Bombenlast und angeblich auch eine höhere Präzision bei der Zielbekämpfung.
Mit der Stationierung der russischen Militärjets im Iran vertiefen Moskau und Teheran aber neben ihren wirtschaftlichen Beziehungen auch ihre politischen Bande: Moskau und Teheran verfolgen im syrischen Bürgerkrieg ähnliche Interessen. Beide Staaten unterstützen den amtierenden Präsidenten Bashar al-Assad. Während Teheran an Assad als Person festhält, dürfte für Moskau der Erhalt staatlicher Strukturen entscheidend sein. Im Krieg kämpfen Russland und der Iran mit verteilten Rollen und kommen sich deshalb nicht in die Quere: Während der Iran reguläre Truppen im Land hat und als Hauptunterstützer schiitischer Milizen agiert, führt Russland größtenteils Luftschläge durch.
Lage in Aleppo ist katastrophal
Weiterhin beschuldigen Kritiker Moskau, mit seiner Offensive nicht nur gegen den IS und andere Rebellengruppen vorzugehen, sondern damit insgeheim die Machtbasis Assads zu stärken. So drängen die Vereinten Nationen und auch Deutschland seit Wochen darauf, in der von Regierungstruppen und Rebellen hart umkämpften Stadt Aleppo eine fortwährende Feuerpause durchzusetzen. Moskau hatte zuletzt eine dreistündige Feuerpause pro Tag sowie Fluchtkorridore für Aleppo angekündigt. Selbst diese halte jedoch nicht, meinen örtliche Beobachter.
Die Situation in der Stadt ist katastrophal: Nachdem die Regierungstruppen Mitte Juli die Kontrolle über die letzte Zufahrtstraße in die Rebellenviertel übernommen hatten, verschlechterte sich die Lage der dort lebenden 250.000 Zivilisten dramatisch. Insgesamt leben in Aleppo noch rund 1,5 Millionen Zivilisten - teils ohne Elektrizität und sauberes Trinkwasser.
Bei dem Krieg sind bislang mindestens 300 000 Menschen getötet worden, einzelne Schätzungen schließen selbst 450 000 Todesopfer nicht aus. 12 Millionen Syrer sollen auf der Flucht sein, das ist die Hälfte der syrischen Bevölkerung. 80 Prozent sind auf humanitäre Unterstützung angewiesen.
Iran hebt IS-Zelle aus
Der Iran selbst hat auch immer mehr mit den Terrorgefahren durch den IS zu kämpfen. Iranische Sicherheitskräfte haben nach Regierungsangaben am Dienstag eine Gruppe von drei Extremisten ausgehoben, die in Verbindung zur Miliz Islamischer Staat (IS) gestanden haben sollen. Die Männer seien in der Stadt Kermanshah getötet worden, sagte der Gouverneur der gleichnamigen Provinz, Asadollah Razani.
Außerdem seien ein Waffenlager und mehrere Sprengstoffgürtel gefunden worden. Bei einer Aktion in einer anderen Stadt der Provinz sei am Montag ein ranghohes IS-Mitglied getötet worden, sagte Razani. Außerdem seien dort mehrere IS-Unterstützer festgenommen worden.
Kermanshah ist rund 100 Kilometer von der irakischen Grenze entfernt. In der Stadt leben viele Sunniten. Sie haben sich in der Vergangenheit mehrfach gegen die von Schiiten dominierte Islamische Republik aufgelehnt. Bereits im Juni soll der iranische Geheimdienst zehn IS-Mitglieder festgenommen und rund 100 Kilogramm Sprengstoff konfisziert haben, der bei Autobomben- und Selbstmordanschlägen eingesetzt werden sollte.
(wg/APA/Reuters)