SPÖ und ÖVP sind bei der Notverordnung noch lang nicht einig. Die Pläne könnten aber auch an der praktischen Umsetzung – und Ungarn – scheitern.
Nun also der sechste September. Bis dahin könnte die Regierung den Text für die Notverordnung endgültig ausgearbeitet haben, meint Kanzler Christian Kern. Die nächsten Schritte auf der Agenda: Das Parlament schickt die Verschärfungen im Asylbereich in Begutachtung – und beschließt sie. Im Ernstfall kann sie die Koalition rasch anwenden.
Sind damit SPÖ und ÖVP bei der Notverordnung endgültig einer Meinung? Nein. Ist nun geklärt, wie die Notverordnung in der Praxis umgesetzt wird? Bei Weitem nicht. Man könnte sogar behaupten: Die Diskussion darüber fängt gerade erst so richtig an.
Aber der Reihe nach. Ende März einigte sich die Regierung – damals noch mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) – auf ein strikteres Gesetz im Asylbereich: Bevor die jährlich definierte Obergrenze überschritten wird, soll eine Notverordnung erlassen werden können. Dann werden die Grenzen de facto dicht gemacht: Asylanträge werden abgewiesen, die Flüchtlinge nicht ins Land gelassen. Eine Ausnahme gibt es nur für Flüchtlinge, deren enge Verwandte bereits in Österreich leben. Ob dies der Fall ist, wird in Polizeidienststellen im Grenzgebiet, sogenannten Registrierzentren, überprüft.
Die Regierung beruft sich dabei auf eine Notstandsklausel (Artikel 72) des EU-Vertrags: Sie besagt, dass Staaten von den Asylregeln abweichen dürfen – und zwar „zum Schutz der inneren Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“.
Uneinigkeit bei der Argumentation
Und hier liegt bereits die erste Hürde: Wer definiert, wann Sicherheit und Ordnung gefährdet sind? Wie wird das begründet? Im Innenministerium will man sich auf die Überlastung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, aber auch die Herausforderungen bei der Integration beziehen. Dafür sammelt man Stellungnahmen aus den Bundesländern und Ministerien ein. Die Ressorts haben bereits ihre Berichte eingereicht. Säumig unter den Ländern sind noch Salzburg, Tirol und die Steiermark. Teile der SPÖ – unter anderem Sozialminister Alois Stöger – wehren sich allerdings dagegen, dass Notstand herrsche. Welche Argumentation man für die Verordnung dann akzeptieren würde? „Eine, die rechtlich hält“, heißt es aus der Partei. Im Bereich Arbeitsmarkt sei die Lage zwar sehr problematisch. Aber es sei international schwer zu argumentieren, dass Österreich eine Verordnung brauche – und Länder wie Italien nicht.
Der Hintergrund: Die Anwendung der Notstandsklausel ist EU-weit rechtliches Neuland. Man befürchtet, dass der Europäische Gerichtshof die Regelung kippen könnte. Doch selbst wenn sich die beiden Parteien auf eine Begründung einigen könnten: Scheitern könnte die Notverordnung auch an der praktischen Umsetzung. Denn wie viele Registrierzentren es geben soll, weiß man derzeit im Innenministerium noch nicht. Auch nicht, was an der Grenze mit den abgewiesenen Flüchtlingen geschehen soll. Ungarn etwa weigert sich derzeit noch, Menschen aus Österreich zurückzunehmen. Die ÖVP will diese Pläne im Ernstfall aber auch ohne Deal mit Budapest durchziehen. Was dann an der Grenze passiert? Man weiß es nicht.
Kern forderte daher Innenminister Wolfgang Sobotka bereits auf, sich mit Ungarn auf eine Vorgangsweise zu einigen. Erst dann könne man die Notverordnung beschließen. Im Innenressort ist man anderer Meinung: Zuerst müsse man den Text ausarbeiten. Erst dann könne man mit Ungarn verhandeln.
Wie gesagt: Die Debatte über die Notverordnung fängt erst richtig an.
Auf einen Blick
Notverordnung. Wer in Österreich einen Antrag auf Asyl stellt, hat auch ein Recht auf ein Asylverfahren. Das soll sich durch die Notverordnung der Regierung (für einen unbestimmten Zeitraum) ändern. SPÖ und ÖVP berufen sich auf eine Notstandsklausel (Artikel 72) des EU-Vertrags: Sie besagt, dass Staaten von den Asylregeln abweichen dürfen, und zwar „zum Schutz der inneren Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Flüchtlinge sollen an der Grenze abgewiesen werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2016)