Der Krankenanstaltenverbund wirft der Ärztekammer vor, Wahlkampf zu betreiben und bewusst zu provozieren. Für Kammerpräsident Thomas Szekeres „eine verzweifelte Argumentation“.
Wien. Im seit Monaten anhaltenden Konflikt um die Umsetzung des neuen Arbeitszeitgesetzes wird der Ton zwischen dem Krankenanstaltenverbund (KAV) und der Wiener Ärztekammer immer rauer. KAV-Generaldirektor Udo Janßen ortet bei Kammerpräsident Thomas Szekeres „einen Wahlkampfmodus“ mit bewussten Provokationen.
Der KAV werde als Feindbild aufgebaut, um sich als Funktionär wählbar zu machen. Dieses Vorgehen sei in Wahlkampfzeiten wohl attraktiver, als den Ärzten ein konsensuales Miteinander zu präsentieren. Für Szekeres sind diese Vorwürfe „verzweifelte Argumentationen einer unprofessionellen KAV-Führung“. Die Ärztekammerwahl finde erst im März 2017 statt und spiele in seiner Vertretung der Ärzteschaft keine Rolle. Auch die bis 21. August dauernde Befragung der Ärzte nach ihrer Streikbereitschaft habe keinerlei Zusammenhang mit den Wahlen.
„Arbeitskampf-Instrument“
Ein Streik sei zwar als Instrument des Arbeitskampfes berechtigt, aber er sehe angesichts der Millionen Euro, die den Ärzten als Gehalt gezahlt würden, keinen Grund dazu, sagte Janßen bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten am Dienstagabend. Ein Streik zum Nachteil von Patienten sei unethisch und unmoralisch, dafür gebe es in der Bevölkerung kein Verständnis.
Zwar könne er nachvollziehen, dass die Ärzte ihre bisherigen Gewohnheiten in Sachen Arbeitszeiten und Schichtdiensten nicht ändern wollten („Jede Veränderung führt zu Unbehagen“), aber aus Gründen der Effizienz seien Umstrukturierungen unausweichlich. Gemeint ist damit unter anderem, dass in den Wiener Gemeindespitälern mit 1. September 40 Nachtdiensträder (von insgesamt 350) ersatzlos gestrichen und rund die Hälfte der restlichen Dienste in 12,5-Stunden-Schichtdienste (statt der 25-Stunden-Dienste) umgewandelt werden. Die Kammer hat dieses Vorgehen scharf kritisiert, man habe die Maßnahmen nicht mit der Ärzteschaft abgestimmt und ohne vorherige Evaluation beschlossen. Zudem wurden die Ärzte angewiesen, auf Überstunden nach Möglichkeit zu verzichten und eine strikte 40-Stunden-Woche einzuhalten. Derzeit machen Ärzte im Schnitt zwischen 30 und 50 Überstunden pro Monat.
„Mangelversorgung droht“
„Sprachlos über die verzweifelte, unlogische Argumentation“ von Janßen zeigt sich Szekeres im „Presse“-Gespräch. Die Reduktion der Dienstpläne auf 40 Wochenstunden bedeute eine Reduktion der Arbeitszeit um rund ein Drittel. Auch die Streichung von 40 Nachtdiensträdern habe dramatische Leistungsreduktionen zur Folge und werde zu einer Mangelversorgung der Patienten führen. „Ich verstehe einfach nicht, wie bei derart weitreichenden Reduktionen der Arbeitszeit und Diensträder weiterhin dieselben Leistungen erbracht werden sollen“, sagt Szekeres. „Das würde ja bedeuten, dass bisher grundlos Nachtdienste und Überstunden angeordnet wurden. Die Realität sieht aber so aus, dass jetzt schon eine Mangelversorgung der Patienten mit langen Wartezeiten in Ambulanzen und für Operationen besteht.“ Auch das Argument von Janßen, wonach die meisten Patienten in der Nacht schlafen würden und daher die Ärztepräsenz reduziert werden könne, sei nicht nachvollziehbar. „In einem Krankenhaus schlafen die Patienten nicht die ganze Nacht. Sie haben Schmerzen, bluten und werden zu Notfällen.“
Geradezu zynisch sei es, einen möglichen Streik als unethisch und unmoralisch zu bezeichnen. Szekeres: „Für mich ist es unethisch und unmoralisch, die Versorgung der Bevölkerung leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“
Auf einen Blick
Streit. Dem Krankenanstaltenverbund (KAV) zufolge befindet sich die Ärztekammer im Wahlkampfmodus und provoziert absichtlich Konflikte. Die Kammer wirft dem KAV ihrerseits vor, ohne Absprache mit der Ärzteschaft Leistungsreduktionen zu beschließen, und droht mit einem Ärztestreik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18. August 2016)