Berlin bleibt trotz Islamismus-Berichts auf Kuschelkurs mit Türkei

Erdogan-Anhänger demonstrieren in Deutschland.
Erdogan-Anhänger demonstrieren in Deutschland.APA/AFP/DPA/HENNING KAISER
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Ankara bezeichnet die Vorwürfe, jahrelang Islamisten unterstützt zu haben, als "verdrehte Einstellung", um die türkische Regierung "ins Visier zu nehmen".

Die deutsche Regierung hält an ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise und im Kampf gegen den Terror fest - trotz der jüngsten Irritationen über Geheimdokumente im deutschen Bundestag: Darin hatte die Regierung der türkischen Regierungspartei AKP und Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen, jahrelang Islamisten unterstützt zu haben.

Die türkische Regierung zeigte sich erbost. Die unter Berufung auf einen Bericht des Bundesnachrichtendienstes (BND) aufgestellten Behauptungen seien "ein neuer Beweis für die verdrehte Einstellung, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden", teilte das türkische Außenministerium am Mittwoch in Ankara mit.

Offensichtlich mit Blick auf die Linkspartei, die die Anfrage im Bundestag gestellt hatte, erklärte das türkische Außenministerium, es sei ganz offensichtlich, dass "bestimmte politische Kreise" in Deutschland hinter den aufgestellten Behauptungen stünden. Diese seien für ihre "doppelten Standards" in Bezug auf den Anti-Terror-Kampf bekannt, vornehmlich bezüglich der "gegen die Türkei gerichteten blutigen Attacken" der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Wegen des Berichts werde man die "bundesdeutschen Instanzen" um Aufklärung ersuchen, heißt es in der Erklärung. Die Türkei sei ein Land, "das den Terror welcher Herkunft auch immer aufrichtig bekämpft". Dies erwarte sie auch von ihren Partnern und Verbündeten.

Berlin versucht zu beschwichtigen

In der vertraulichen Stellungnahme der deutschen Regierung, die am Dienstag zuerst vom TV-Sender ARD publik gemacht worden war, heißt es unter anderem, die Türkei habe sich seit 2011 schrittweise "zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens" entwickelt. Genannt werden darin die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas, die Muslimbruderschaft in Ägypten und die "Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien".

Zugleich stellte Berlin in dem Bericht erstmals eine direkte Verbindung zwischen Erdogan und einer Terrororganisation her - als solche wird zumindest die Hamas seit 2003 in der Europäischen Union eingestuft.

Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte am Mittwoch zu beschwichtigen: "Die Türkei ist aus unserer Sicht ein Partner im Kampf gegen den IS (Islamischer Staat)." Zur Kooperation in der Flüchtlingsfrage erklärte er, Deutschland habe keinen Anlass, "dieses sinnvolle Abkommen infrage zu stellen".

Außenministerium distanziert sich

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs warf dem Innenministerium vor, das Auswärtige Amt absichtlich nicht in die brisante Türkei-Bewertung einbezogen zu haben. Denn das Innenressort bearbeitete die Anfrage ohne Rücksprache mit dem deutschen Außenministerium. "Fehler passieren, hier wirkt es halt eher gewollt", sagte er dem "Handelsblatt". Das Innenministerium hatte im Zusammenhang mit der Einschätzung von einer Kommunikationspanne gesprochen und die Nicht-Einbeziehung des Auswärtigen Amts ein "Büroversehen" genannt.

Das deutsche Außenministerium distanzierte sich am Mittwoch dann auch von der Einschätzung des Innenressorts. Das Ministerium mache sich die von Medien berichteten Aussagen "in dieser Pauschalität" nicht zu eigen, sagte eine Sprecherin von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Die Türkei bleibe in der NATO und auch beim Konflikt in Syrien ein wichtiger Partner. Auf die Inhalte der Bewertung ging sie mit dem Hinweis nicht im Detail ein, dass diese teilweise als vertraulich eingestuft seien.

(APA/dpa/Reuters)

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