Burkini-Krise: Wenn ein Badegewand zur Provokation wird

Badevergnügen im Burkini.
Badevergnügen im Burkini.(c) REUTERS (STRINGER)
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In Frankreich wird der Ganzkörperbadeanzug für muslimische Frauen vielerorts verboten.

Es ist ein Damenkleidungsstück, das im Grunde seit 1993 unter dem Namen Haşema in der Türkei erzeugt und von dort aus vertrieben wird. Ein Gewand, das in einfacherer Form etwa 2000 in Ägypten als „Sharia Swimsuit“ auf den Markt kam und letztlich 2003 von einer Designerin aus dem Libanon in Sydney, Australien, perfektioniert wurde und von dieser den heutigen Markennamen bekam: Burkini bzw. Burqini – als Mischung von Burka und Bikini.

Diese anzugähnlichen Zweiteiler aus wasserabweisenden Textilien, bei denen eine Kapuze mit dem Oberteil verbunden ist und die es der Trägerin erlauben, den islamischen Vorgaben folgend sittlich verhüllt baden zu gehen, sorgen derzeit vor allem in Frankreich für ungewöhnlich heftige Auseinandersetzungen. In Cannes an der Côte d'Azur etwa verbot die Stadtverwaltung bereits Ende Juli das Tragen von Burkinis am Strand. Später folgte der nahe Badeort Villeneuve-Loubet. Weitere Orte schlossen sich in den vergangenen Tagen an, etwa Leucate nahe Narbonne in Südwestfrankreich sowie Le Touquet und Oye-Plage nahe Calais in Nordfrankreich.

Prügeleien auf Korsika

Besonders heftig war es am Wochenende am Strand der Ortschaft Sisco nahe Bastia im Norden Korsikas zugegangen: Dort gab es Schlägereien zwischen korsischen Jugendlichen und Touristen mit Familien nordafrikanischer Herkunft. Grund: Touristen hatten Frauen fotografiert, die im Burkini badeten. Fünf Menschen wurden verletzt, rund 100 Polizisten rückten an. Der Gemeinderat verbot wenig später ebenfalls das Tragen von Burkinis am Strand.

Unschuldiges Kleidungsstück oder Provokation von Fundamentalisten? Zwischen Rhein und Pyrenäen wird nun heftig über die muslimischen Ganzkörperbadeanzüge gestritten. Was nach Sommerlochthema klingt, hat aber eine wirklich brisante Dimension: Die Debatte findet in einer von islamistischem Terror und hoher Kriminalität in Zuwandererbezirken heimgesuchten Nation statt, die um den „richtigen“ Umgang mit ihrer muslimischen Bevölkerung ringt und wo mehr Muslime leben als in jedem anderen europäischen Land: etwa sechs bis elf Prozent der Bevölkerung; genaue Zahlen gibt es nicht, weil man bei Volkszählungen nicht nach der Religion fragt.

„Symbol des Extremismus“

Viele „echte“ Franzosen fürchten, ja konstatieren die Bildung von Parallelgesellschaften und sehen die Würde muslimischer Frauen verletzt. Viele stießen sich schon lang an demonstrativ muslimischen Bekleidungstücken und Sitten. Immer mehr sehen Burkinis in einem westlichen Umfeld nicht nur als „unnatürlich“ oder „lächerlich“ an, sondern als „Provokation“ und „Symbol des islamistischen Fundamentalismus“, als „Badeversion der Vollverschleierung“, wie etwa Kommentatoren in den Regionalzeitungen „Le Journal de la Haute-Marne“ und „Dernières Nouvelles d'Alsace“ schreiben. Mit Religionsfreiheit hätten Burkinis nichts am Hut.

Der sozialistische Bürgermeister von Sisco, Ange-Pierre Vivoni, sagte, das Verbot sei nicht gegen den Islam gerichtet, sondern solle verhindern, dass sich Fundamentalismus verbreite. „Ich bin kein Rassist: Ich will die Bevölkerung schützen, und zwar auch die muslimische, denn sie sind die ersten Opfer extremistischer Provokationen.“ Der konservative Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, meint, dass Strandbekleidung, die religiöse Zugehörigkeit zeige, in Zeiten der terroristischen Bedrohung die öffentliche Ordnung gefährde. Im Übrigen sei der Burkini als „Uniform ein Symbol des islamistischen Extremismus“. Also drohen in Cannes Frauen in Burkinis nun 38 Euro Strafe.

Premierminister Manuel Valls sagte, Burkinis seien nicht bloß neue Mode, sondern „Übersetzung eines politischen Vorhabens, einer Gegengesellschaft, die sich insbesondere auf die Unterwerfung der Frau stützt“. Eine nationale Gesetzgebung wider Burkinis, die man de facto bisher aber auch nur sehr selten an Frankreichs Stränden gesehen hat, lehnt Valls ab, erinnerte aber an die 2004 eingeführte Null-Toleranz-Linie gegen auffällige religiöse Symbole an Schulen und das seit fünf Jahren geltende Burkaverbot, das angeblich zu wenig befolgt werde.

Der eingangs erwähnte Begriff Haşema ist übrigens ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der türkischen Wörter für „echte Scharia-Badekleidung“, eine Haşema ist sogar vierteilig (Hose, Jacke, Badekappe samt unter dem Kinn verschließbarer Haube).

Sittlich baden ohne Spott

Die Libanesin Aheda Zanetti, eine Tochter von Flüchtlingen, die 2003 in Sydney mit Anfang 30 den Burkini erfand, wollte damit, wie sie 2006 in einem Interview mit dem Deutschlandradio sagte, Musliminnen ein sittliches Badevergnügen erlauben, ohne verlacht zu werden: Bis dahin seien sie und andere tatsächlich dick in Burkas verpackt ins Wasser gegangen, der Stoff habe sich vollgesogen. Wer das nicht wollte, durfte nicht ins Wasser, also hätten wohl 90 Prozent der Musliminnen das Wasser gescheut.

Die Gewänder aus den neuen Materialen aber blieben auch im Wasser leicht und beweglich. Australiens oberster Mufti erklärte sie auch flugs für islamkonform. „Ich habe mich an der westlichen Mode orientiert“, sagte Zanetti. „Obwohl darin eine Frau verhüllt ist, zeigt niemand auf sie und sagt: ,Da, eine Muslimin!‘“ (wg/DPA/AFP)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2016)

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