Notstand nur in der Regierung: Wie sich SPÖ und ÖVP verschätzen

Eine gute Verwaltung und Exekutive reichen aus, um in Asyl- und Flüchtlingspolitik vorbereitet zu sein. Ein Schnellschussgesetz ist weniger mühsam. Gefährlich!

Irgendetwas kann hier nicht stimmen. Österreich erlebt – im Inneren wenigstens – gerade den Sommer seines Wohlbehagens. Ganz im Gegensatz zu 2015. Dennoch reden jetzt alle von Notstand. Haben Sie ihn heuer gesehen? Auf der Fahrt durchs Land, auf dem Gang durch D"undefined", Pörfer und Städte?

Wo herrscht Notstand? In Traiskirchen? Das Flüchtlingslager und der umliegende Park wirken an einem Sommerabend dieser Woche ruhig, fast verschlafen. Wären da nicht die Erinnerungen an das Vorjahr. Damals gab es dort einen realen Notstand. Allein, die Regierung wollte ihn lang gar nicht zur Kenntnis nehmen.

Jetzt ist alles anders. Die Koalition soll am 6. September ein Notstandsgesetz beschließen. Es heißt, man müsse auf die nächste große Flüchtlingswelle oder das Erreichen der Obergrenze bei den Asylanträgen vorbereitet sein. Was soll in beiden Fällen mit einem Notstandsgesetz erreicht werden, was Exekutive und Verwaltung nicht auch bewältigen können? In ihre Qualität und in ihr Funktionieren sollte die politische Energie fließen. Vorbereitung erfordert keinen fiktiven Notstand.

Ein Notstandsgesetz – so sieht es auch die EU – dient der Garantie des „Schutzes der inneren Sicherheit und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Sind beide durch eine drohende Überlastung des Arbeitsmarkts, Anspannung auf dem Wohnungsmarkt, Überforderung des Bildungs- und Gesundheitswesens und schwierige Integration der Asylanten gefährdet? Das sind nämlich die Argumente, die vorgebracht werden.

Wer aber bestimmt das? All diese Bereiche sind Sache der ganz normalen Verwaltung. Ein Notstandsgesetz darf doch nicht die Antwort auf Versäumnisse der vergangenen Jahre sein. Wenn es also einen Notstand gibt, dann in der Regierung. Noch schlimmer wird die Situation, wenn für das Innenministerium schon eine „Polarisierung der Gesellschaft“ ausreichend wäre. Damit ließe sich die Anwendung von Notstandsgesetzen auch für Bereiche rechtfertigen, die mit der Asylsituation nicht das Geringste zu tun haben. Wer verhindert dann, dass auf diese Weise Rechtsstaat und Demokratie gefährdet werden?

Österreich sollte besonders sensibel sein: Das einzige Notstandsgesetz gab es bisher 1933. Es bedeutete die Zerstörung der Demokratie. Sektionschef Robert Hecht, Berater von Engelbert Dollfuß, hatte ein vergessenes, aber nach wie vor wirksames „Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz“ aus dem Jahr 1917 als Legitimation ausgegraben.

Ein Notstandsgesetz soll vor allem das „Überleben der Bevölkerung“ sicherstellen. Österreich sollte es zu denken geben, dass keine der funktionierenden Demokratien, kein EU-Staat ein solches Gesetz erlassen hat. Um eine Frage an dieser Stelle zu wiederholen: Ist denn die österreichische Bevölkerung gefährdet? Die Rechtswissenschaft verschweigt sich bei diesem Thema recht auffällig. Verfassungsrechtler müssten eigentlich ihre „Expertise“ täglich an die Öffentlichkeit bringen. Vielleicht werden auch sie ihr Schweigen einmal bereuen.

Wem also nützt das ganz Geschrei um einen fiktiven Notstand? Warum gibt es das Stakkato an Vorschlägen von Außenminister Sebastian Kurz, Innenminister Wolfgang Sobotka und Freunden, mit denen eine vermeintlich vor Angst zitternde Bevölkerung beruhigt werden soll? Warum schreit in der SPÖ niemand in Erinnerung an Ständestaat und Gesetzesmissbrauch täglich auf?

Es liegt offenbar eine krasse Fehleinschätzung von SPÖ und ÖVP vor: Sie wollen der FPÖ das Wasser abgraben, während sie in Wahrheit Wasser auf ihre Mühlen lenken. Sie machen sich mit dem Notstandsgeschrei zu Handlangern der FPÖ. Eine Taktik, die das Gegenteil des Beabsichtigten bewirkt, ist einfach genial!

Das stimmt hier nicht: Bürger sollen sich vor Flüchtlingen fürchten, die dann als Ausrede verwendet werden. Das Land ist in diesem Sommer des Wohlgefühls nicht im Notstand, die Regierung schon.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

(Print-Ausgabe, 20.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.