Ortstafelstreit: „Wir müssen im 21. Jahrhundert ankommen“

(c) APA (Gert Eggenberger)
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Janko Ferk, Richter, Literat und Kärntner Slowene, hält den Ortstafelstreit für eine Frage, die rechtlich zu lösen ist. Die Politik sollte einen Mediator einsetzen. Ein Gespräch über Kärnten und den Rest der Welt.

„Die Presse“: Herr Dr. Ferk, Sie sind Schriftsteller, Richter am Landesgericht in Klagenfurt und Kärntner Slowene. Sind Sie vor Gericht schon einmal angepöbelt worden?

Janko Ferk: Nein, noch nie. Ich denke, dass ich genug Autorität habe, damit solche Dinge in keiner Weise geschehen können. Außerdem glaube ich, dass jeder, der mit der Justiz zu tun hat, genug Anstand hat, die Würde des Gerichts zu wahren.

Wie geht es Ihnen angesichts der x-ten Auflage des Ortstafelstreits?

Ferk: Man muss hier zwei Komponenten unterscheiden. Mich als Juristen und auch als Schriftsteller interessiert die rechtliche viel mehr als die politische, zumal es Normen gibt, die uns die Lösung vorgeben. Es scheitert nur daran, dass die Leute, die sie zu exekutieren hätten, derzeit nicht willens dazu sind.

Also liegt Justizministerin Claudia Bandion-Ortner falsch, wenn sie sagt, es könne nur eine politische Lösung geben.

Ferk: Es liegt wahrscheinlich jeder falsch, der das glaubt. Für mich als Juristen ist eines wichtig: Über allen juristischen und nichtjuristischen Diskussionen darf aus Rechtslehre nicht Rechtsleere werden. Die Ortstafelerkenntnis beruht auf einem Verfassungsgesetz, das die Lösung vorgibt. Die politische Frage hat sich damit zu beschäftigen, wie die Volksgruppen in Kärnten angenähert werden können.

Was schlagen Sie vor?

Ferk: Man könnte einen Mediator einsetzen, der versucht, die Konflikte auszuräumen.

Wer wäre ein geeigneter Mediator?

Ferk: Ein absolut geeigneter Mann wäre der Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch – ein Kärntner, der schon Konflikte in der Welt gelöst hat, der beide Kärntner Sprachen spricht und der mit Menschen umgehen kann. Sehr gut vorstellen könnte ich mir auch Eugen Freund. Ich denke, dass beide die Kraft hätten, die Mehrheit und die Wenigerheit zusammenzubringen.

Die Wenigerheit?

Ferk: Es ist sehr wichtig, die richtigen Begriffe zu gebrauchen. Die Kärntner Slowenen sind mit Sicherheit keine Minderheit, sondern eine Wenigerheit. Sie sind weniger als die deutschsprachigen Kärntner, aber nicht minder. Wir müssen schon bei der Sprache abrüsten.

Sie würden die Ortstafeln also einfach aufstellen lassen und einen Mediator einsetzen. Aber ist die Lösung wirklich so einfach? Immerhin sind mehrere Regierungen daran gescheitert.

Ferk: Der letzte Kanzler, der ein wirkliches Interesse an einer Lösung hatte, war Bruno Kreisky. Er hat explizit gesagt, dass einer Wenigerheit nicht die gleichen Rechten zukommen, sondern dass sie das Recht auf Bevorrechtung hat, damit sie in ihrem Bestand nicht gefährdet ist.

Das Gegenargument lautet immer wieder: Die Kärntner Mehrheitsbevölkerung ist noch nicht so weit.

Ferk: Das ist eine Bildungsfrage. Ich bin immer so weit, wie ich es selbst sein will. Wenn die Kärntner ihre eigene Geschichte kennen würden, würden sie sich nicht gegen Konsequenzen daraus verschließen: Wem tut es weh, wenn Sankt Kanzian auch ?kocijan heißt?

Vielen offenbar. Sind die Ortstafeln mehr als ein Symbol?

Ferk: Es ist zweifellos so, dass Recht mit Symbolik zu tun hat. Es geht darum, ob man jemanden in seiner Würde, seinem Menschsein, seinen Rechten akzeptiert. Jeder Kärntner Slowene muss seiner Schulpflicht nachkommen, den Militärdienst ableisten, Steuern zahlen. Also hat der Staat auch die unbestreitbare Pflicht, seine Rechte zu erfüllen.

Im Burgenland hat er das längst getan – und es gibt keine Probleme. Warum funktioniert dort, was in Kärnten nicht funktioniert?

Ferk: Das Burgenland hat nicht nur zwei, sondern mehrere Wenigerheiten: neben den deutschsprachigen Burgenländern die burgenländischen Kroaten, die Ungarn, die Roma. Bei mehreren Gruppen kommt es nicht zu einer Polarisierung. Meine Idee wäre, in Kärnten komplett neu zu beginnen.

Woran denken Sie?

Ferk: Man könnte die Dynamik aus den Diskussionen herausnehmen und sich dazu entschließen, in einem Grenzland wie Kärnten dreisprachig zu unterrichten: In Deutsch, Slowenisch und Italienisch. Das würde ohne Weiteres gehen, man muss es nur wollen.

Soll man Ihnen jetzt viel Glück wünschen? Denn realistisch ist das nicht.

Ferk: Nein, leider nicht. Eine Sprachenfeindlichkeit, wie sie in Kärnten herrscht, muss man in der Welt suchen. Im slowenischen Piran an der Adria etwa kann jeder dritte Kellner von links mehr Sprachen als ein gebildeter Kärntner.

Sind Sie für eine Wenigerheitenfeststellung in Kärnten?

Ferk: Ich bin dagegen, weil das keine Feststellung wäre, sondern ein Wegzählen. Eine solche Erhebung wird nie korrekt sein, weil die Leute, wenn sie explizit in die Wahlzelle gehen müssen, derartig verschüchtert sind, dass sie nie korrekt angeben werden, was sie sind.

Es gibt auch den Vorschlag, dass das im Rahmen einer Wahl passiert.

Ferk: Man sollte diese Dinge nicht mit einer Wahl verquicken. Ich bin dafür, dass der Staat alle zehn Jahre im Rahmen seiner Volkszählung die Muttersprache erhebt. Das steht ihm zu. Übrigens schätze ich die Gruppe der Kärntner Slowenen auf rund 50.000 Sprecher.

Die offiziellen Zahlen gehen von 5000 bis 6000 aus. Die Diskrepanz zur Ihrer Schätzung würde bedeuten, dass das Gros der Kärntner Slowenen nicht zu seiner Identität steht.

Ferk: Sie haben vollkommen recht. Die Ränder werden immer mehr abgeschärft, die Assimilation ist nicht aufzuhalten. Natürlich kann ich in 100 Jahren auch noch über Ortstafeln diskutieren, aber dann muss ich wahrscheinlich nur mehr fünf aufstellen.

Ist Kärnten anders?

Ferk (lacht): Ja, ich glaube schon. Kärnten ist vielleicht schöner als andere Bundesländer. Das muss ich jetzt ganz patriotisch sagen.

Sie haben einmal gesagt: „Manchmal ist das Kärntner Land zu schön für die Kärntner Wirklichkeit.“

Ferk: Das stimmt natürlich auch. Die Kärntner Wirklichkeit ist oft unschön, weil der Rechtsstaat in seiner Funktion behindert wird. Wir müssen demnächst im 21.Jahrhundert ankommen.

Politisch ist Kärnten tatsächlich anders, weil es als einziges Land vom BZÖ regiert wird. Hat das Bündnis Zukunft Österreich ohne Jörg Haider überhaupt Zukunft?

Ferk: Verzeihen Sie, aber zur Tagespolitik will ich mich nicht äußern.

Glauben Sie, dass eine Partei überleben kann, wenn sie de facto nur in einem Bundesland existent ist?

Ferk: Das deutsch-bayrische CDU/CSU-Modell ist sicher auch auf österreichische Verhältnisse verschiebbar.

Parteichef Josef Bucher will das BZÖ neuerdings in eine Art österreichische FDP verwandeln – also in eine vor allem wirtschaftsliberale Partei. Kann dieser Plan aufgehen?

Ferk: Ich mache mir öffentlich keine Gedanken darüber, wie erfolgreich eine Partei sein kann – oder auch nicht.

Für eine liberale Partei scheint in Österreich kein Platz zu sein. Siehe Liberales Forum.

Ferk: Wir haben in Österreich, historisch gesehen, keine liberale Tradition – im Gegensatz zu Deutschland, wo es sie seit 1848 gibt. Deutschland hat viel mehr urbane Bereiche, und eine liberale Idee wird immer nur in einem universitären Bereich Erfolg haben. In Österreich gibt es im Prinzip nur zwei urbane Gebiete: Wien und Graz. Dort könnte so etwas fruchten. Aber das ist insgesamt zu wenig.

In Ihrem „Brief an den Staatsanwalt“, Ihrem jüngsten Werk, beschäftigen Sie sich mit der Frage nach Schuld. Was würde in Ihrem Brief an den Bundeskanzler stehen?

Ferk: Dass er in den nächsten Monaten vielleicht einige wenige Prozente seiner Arbeitskraft in die Ortstafelfrage investieren sollte...

Und wofür sollte Werner Faymann die restlichen Prozente aufbringen?

Ferk: Die Regierung muss dafür sorgen, dass es genug Arbeitsplätze gibt und dass vor allem junge Leute nicht arbeitslos werden.

Kommt die Regierung diesem Ihrem Anspruch nach?

Ferk: Ich denke, dass die Wirtschaftszahlen in Österreich nicht die schlechtesten in Europa sind. Die Bemühungen sind da – ob sie ausreichen, wird man wahrscheinlich erst im nächsten Jahr sehen.

Das Weisungsrecht der Justizministerin gegenüber der Staatsanwaltschaft ist seit dem Fall Dörfler heiß umfehdet. Für die Idee eines weisungsfreien Bundesstaatsanwaltes zeigt sogar Bundespräsident Heinz Fischer Sympathien. Zu Recht?

Ferk: Ich wäre für einen Obersten Staatsanwalt, der einem Minister gleichgestellt wird und die Arbeit der Staatsanwaltschaften kontrolliert. Mit den Weisungen ist offensichtlich niemand mehr wirklich glücklich.

Weil gemeinhin parteipolitische Einflussnahmen befürchtet werden?

Ferk: Ein Bundesstaatsanwalt wäre ein Organ des Rechtsstaats, er müsste unabsetzbar, unversetzbar und unabhängig sein. Dann wären auch alle, die mit Strafjustiz zu tun haben, in ihrer Kritik eingebremst.

Und wer kontrolliert dann den Bundesstaatsanwalt?

Ferk: Er könnte entweder dem Verfassungsgerichtshof oder dem Parlament verantwortlich sein.

Wieso ist das jetzt erst ein Thema?

Ferk: Der Mensch war früher autoritätsgläubiger. Heute wird, was richtig ist, alles infrage gestellt. Die Gesellschaft ändert sich, die Hierarchien verschwimmen, deshalb müssen wir neue Ausformungen des Rechts finden.

Haben Sie für den Bundesstaatsanwalt auch schon einen Vorschlag?

Ferk (lacht): Nein, der steht mir nicht zu.

Bisher erschienen: Gustav Peichl, 13.7., Barbara Helige, 17.7., Jazz Gitti, 25.7., Reinhard Haller, 29.7., Werner Lampert, 5.8., Christoph Badelt, 6.8., Fatima Ferreira, 8.8., Kurt Palm, 10.8., Abt Bruno Hubl, 14.8., Nina Katschnig, 22.8., Susanne Trauneck, 26.8, Anton Zeilinger 29.8, Helmut Brandstätter 3.9., Kathryn List, 7.9.

AUF EINEN BLICK

Janko Ferk, 50, ist Richter am Landesgericht Klagenfurt, Honorarprofessor der Universität Klagenfurt, Schriftsteller und Kärntner Slowene. Bisher hat er mehr als 20 Bücher veröffentlicht, etwa die Monografie „Recht ist ein ,Prozess‘. Über Kafkas Rechtsphilosophie“. Seine jüngste Veröffentlichung ist die forensische Novelle „Brief an den Staatsanwalt“. Ferk lebt im Kärntner Ludmannsdorf/Bil?ovs, ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2009)

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