Mit digitalen Medien lässt sich das Lernen gut individualisieren, sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel. Einige Herausforderungen gibt es.
Es ist eines der Zauberworte in der Bildungsdebatte: individualisiertes Lernen. Das heißt: jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin innerhalb einer Klasse dort abzuholen, wo er oder sie steht. Würden digitale Medien stärker (und besser) genutzt, ließe sich das um einiges leichter umsetzen, meint Bildungspsychologin Christiane Spiel, die heute bei den Technologiegesprächen diskutiert (siehe Veranstaltungstipp oben). „Für die Individualisierung sind digitale Medien ein wunderbares Instrument“, sagt sie im Gespräch mit der „Presse“.
„Der klassische Frontalunterricht richtet sich ja an die fiktive Mitte, also an den Durchschnittsschüler, den es kaum gibt.“ Wie Individualisierung mittels digitaler Medien aussehen kann, dafür gibt es international interessante Beispiele. Eines ist die School of One in New York, ein Mathematiklernprogramm, das der deutsche Bildungsexperte Jörg Dräger gern in seinen Plädoyers für mehr digitale Bildung erwähnt. Ein Zentralrechner erstellt dort für jeden Schüler über Nacht ein individualisiertes Curriculum. 90 Schüler sitzen dann im Mathematikunterricht und üben unter anderem mithilfe von 10.000 digitalisierten Lerneinheiten den Stoff. Ein Ampelsystem am Lehrercomputer zeigt an, wenn einer der Schüler Hilfe braucht.
Spiel denkt grundsätzlich daran, dass sich Schüler das, was üblicherweise vom Lehrer frontal vorgetragen wird, selbst erarbeiten – etwa mit digitalen Medien wie Videos, Lernspielen und ähnlichem. „Das kann, es muss aber nicht digital sein.“ Und der Lehrer hat dadurch mehr Zeit, um Fragen zu beantworten und Unklares zu erklären. Grob gesagt könnte das so aussehen: Während einer in der Freiarbeitszeit das Video, das den Satz des Pythagoras erklärt, fünf Mal ansieht, braucht ein anderer nur ein Mal. Es müssen auch nicht alle gleichzeitig Mathematik machen. Sondern das, was sie sich an dem Tag als Ziel gesteckt haben, was ihnen Probleme bereitet oder was sie noch zusätzlich lernen wollen.
Es braucht viel gutes Material
Eine der Herausforderungen dabei ist, dass es Zeit kostet, wenn Lehrer das fundiert und gut machen wollen. Und – das hängt damit zusammen – dass mehr digitale Lernmaterialien nötig sind. „Wir brauchen viele gute lernpsychologisch fundierte digitale Materialien inklusive Vorschlägen zur didaktischen Einbettung in den Unterricht“, sagt die Bildungspsychologin. Die digitalen Schulbücher, die manche Schulen ab Herbst ausprobieren, seien nur ein symbolischer Schritt in diese Richtung. Es handelt sich praktisch nur um digitalisierte Versionen der gedruckten Bücher. Materialien, mit denen man – im Hinblick auf Individualisierung – wirklich arbeiten könnte, seien echte interaktive Lernprogramme, Übungen, Lernspiele. Allerdings könne man den Schülern so etwas nicht einfach vorsetzen. „Man muss die Schüler gut auf das Lernen mit digitalen Medien vorbereiten. Sie brauchen die Fähigkeit zur Selbstorganisation, Selbstdisziplin und sie müssen lernen, sich Lernziele zu setzen und diese zu erfüllen.“
Dabei könnte wieder die Technik helfen. In einem Projekt mit der Fakultät für Informatik der Uni Wien hat die Arbeitsgruppe um Spiel eine Smartphone-App entwickelt, die den Lernprozess begleitet. Es beginnt mit der Dokumentation, dann können Studenten ans Lernen erinnert werden. Mithilfe von Rückmeldungen und kleinen Belohnungen soll auch ihr Selbstvertrauen gestärkt werden. „Das ist eine App, die das Lernen an sich unterstützt“, sagt Spiel. Ab Herbst soll sie in einem Forschungsprojekt ausprobiert werden. Und es spreche nichts dagegen, dass irgendwann auch Schüler sie verwenden.