Champagnertod

Ein Mann liegt tot im Wohnzimmer. Er wurde erschossen. Der Tathergang gleicht der Handlung eines "Tatort"-Krimis.

Lösen Sie den Fall
Wer war der Mörder?


Fast hätte Franz Enter bei die sem Anblick laut aufgelacht. Stattdessen verbot er sich sogar ein Grinsen. Nein, das hier war wirklich nicht lustig, rief sich der Kriminalinspektor zur Ordnung und biss sich auf die Lippen. Schließlich war der Mann, der mit heruntergelassener Hose bäuchlings auf dem Hochflorteppich vor ihm lag, tot. Aus seinem Allerwertesten ragte eine Flasche. Blut konnte Enter auf den ersten Blick keines ausmachen, weder an der Leiche noch auf dem Teppich, was an dessen dunkelroter Farbe liegen mochte.

Die Champagnerflasche sei leer, bestätigte der Kollege der Tatortgruppe und stellte sie mit spitzen Vinylfingern sicher. Enter betrachtete die Asservate im Plastikbeutel. Vom Discounter stammte diese Marke jedenfalls nicht. Das hier war ein sündhaft teurer Tropfen gewesen, noch dazu in Rosé gehalten. Entweder der Tote hatte zu Lebzeiten über einen guten Geschmack verfügt oder aber sein Mörder. Womöglich sogar beide. Die Entsorgungsmethode des Leergebindes zeugte allerdings vom Gegenteil. Nun ja, über Geschmack ließ sich bekanntlich nicht streiten. "Habt ihr Gläser gefunden, aus denen der Champagner getrunken wurde?" Der Kollege schüttelte den Kopf. "Entweder der Täter hat sie mitgenommen - wie die Tatwaffe - oder er hat die Gläser feinsäuberlich abgewaschen und in die Vitrine zurückgestellt."


"Tatwaffe? Womit wurde er denn getötet?", erkundigte sich der Inspektor. Die Gerichtsmedizinerin schob die dunklen Locken der Leiche beiseite und deutete auf das Einschussloch. "Pistole. Kleines Kaliber", antwortete der Kriminaltechniker, während Enter mühsam, aber doch in die Knie ging. Die Stanzmarke auf der Schläfe der Leiche wies darauf hin, dass die Mündung der Tatwaffe beim Abfeuern Kontakt mit der Haut gehabt hatte. "Aufgesetzter Schuss", merkte er an. Bei näherer Betrachtung des Teppichs stellte Enter fest, dass doch einiges an Blut und Gehirnmasse in die Fasern gesickert war. "Ich würde ja auf Suizid tippen, wenn er nicht . . . na, wenn da nicht die Flasche wäre . . ."


Frau Doktor zuckte mit den Schultern. Richtig. Ein autoerotischer Unfall war ebenso unwahrscheinlich. "Was sagt man dazu?", murmelte Enter und erhob sich ächzend. "Dass der Mörder den Tatort gesehen hat", meinte die Gerichtsmedizinerin. "Anzunehmen, wenn er nicht blind war", ätzte Enter. Seit wann gab die Frau Doktor derlei Binsenweisheiten von sich?


Sie grinste und stand ebenfalls auf. "Nein, ich meine den Krimi, der Sonntagabend im Fernsehen gelaufen ist. Die ,Tatort'-Reihe kennst du doch bestimmt." "Ach so, ja." Hatte die attraktive Ärztin abends wirklich nichts Besseres zu tun, als sich Krimis im Fernsehen anzuschauen? Als ob das Leben nicht kurz genug wäre und sich in ihrem nicht schon genügend echte Leichen getummelt hätten. Die Frau war offenbar unersättlich. Vermutlich war sie doch nicht die Richtige für ihn, obwohl er ja schon länger ein heimliches Faible für sie hatte. "Und im Film gab es einen solchen Leichenfund?", fragte er nach. "Einen ähnlichen. Männliche Leiche bäuchlings auf dem Boden liegend, heruntergelassene Hose, Champagnerflasche im Anus. Nur, dass das Opfer im Fernsehen nicht erschossen wurde." "Sondern?" "Betäubt mit GHB und erstickt." "K.-o.-Tropfen, aha . . . Und die Flasche?" "Hat ihm die Täterin ante mortem eingeführt, um ihn sexuell zu missbrauchen, wie er es zuvor mit ihr getan hat. Sicherheitshalber habe ich ihm schon Blut abgenommen, die Droge verflüchtigt sich ja bekanntlich recht schnell." "Ein Fernsehkrimi als Vorbild? Wenn das Schule macht, können wir uns vor Mordfällen bald nimmer retten . . . Gibt ja Krimis zum Saufüttern." "Kann aber genauso gut ein Zufall sein", räumte die Ärztin ein. "Er ist keine zwei Stunden tot." "Wer hat die Leiche denn gefunden?", fragte Enter. "Meinst du diese hier oder die im Fernsehen?", fragte der Kriminaltechniker.


"Hast du den Krimi etwa auch gesehen?" Der Beamte nickte. Enter schüttelte den Kopf und seufzte. "Bleiben wir mal bei unserer Leiche. Also?" "Ein Freund." "Ein Freund oder sein Freund?" Der Kollege zuckte mit den Schultern und deutete zum Nebenraum.


Weder sei sein Freund homosexuell gewesen, noch hätten sie etwas miteinander gehabt, beteuerte der junge Mann in der Küche. Wenigstens sei ihm nie etwas Diesbezügliches aufgefallen. "Wir waren nur Arbeitskollegen und haben uns gut verstanden." "Aber Sie haben zusammen Champagner getrunken?" "Wir hatten ein erfolgreiches Projekt zu feiern." "Und danach?" "Bin ich in den Supermarkt gefahren, um Weißwein zu holen. Wolfi hatte nur Rotwein zu Hause, aber ich vertrage kein Histamin." Er öffnete den Kühlschrank, der zwei gut gekühlte Flaschen Riesling enthielt. "Von wann bis wann waren Sie denn genau weg?" "Von kurz nach sieben bis halb acht. Ich musste mir noch einen neuen Parkplatz suchen. Ich hab den Wolfi dann im Wohnzimmer gefunden." "Und wie sind Sie in die Wohnung hineingekommen, wo er doch schon tot war?" "Ich hatte den Schlüssel zum Einkaufen mitgenommen." "Und die Gläser?" "Muss Wolfi in der Zwischenzeit abgewaschen haben." "Haben Sie den letzten ,Tatort' im Fernsehen gesehen?" "Wie? Nein, ich hab ihn doch nicht umgebracht." "Irgendeinen Verdacht, wer es getan haben könnte?"

Der Mann schüttelte den Kopf. "Hatte Ihr Freund nahe Angehörige, die wir verständigen müssen?" "Die Nummer seiner Mutter ist in seinem Handy eingespeichert. Sie heißt Jankovics wie der Wolfi. Sonst hatte er ziemlich viele Freunde. Er war sehr beliebt. Kann ich jetzt gehen?" "Wir gehen jetzt zusammen ins Kommissariat, und Sie erzählen mir, was hier wirklich vorgefallen ist. Aber zuvor geben Sie mir noch die Tatwaffe." Der junge Mann sah Enter erschrocken an. "Was? Wieso?" Rosafarbenen Champagner zu trinken war zwar kein Verbrechen, dennoch war Enter überzeugt davon, dass der Mann, der vor ihm stand, eines begangen hatte. Warum sonst hatte er ihm ein solches Märchen aufgetischt?


Warum glaubt Enter, den Mörder vor sich zu haben?

DIE AUTORIN

Claudia Rossbacher hat als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie Kurzkrimis und Kriminalromane. Ihr erster Alpenkrimi, "Steirerblut", wurde verfilmt, "Steirerkreuz" 2014 mit dem "Buchliebling" ausgezeichnet. Auch ihr aktuelles Werk, "Steirerland", hält sich seit Monaten in den österreichischen Bestsellerlisten.

www.krimiautoren.at

Lösung der vergangenen Woche:

Doblhofer überlegt, dass sich auf Marcs Pullover nicht nur Essensflecken, sondern auch ein frischer Farbfleck befunden hat. Und Willi hat das Vorzimmer frisch ausgemalt! Doblhofer vermutet daher, dass Rudi bei Willi war und Willi ihn getötet hat.

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