"Vielleicht alle Europäer nach China schicken"

(c) Katharina Fröschl-Roßboth
  • Drucken

Rückkehr des Nationalismus, der Brexit und der Vertrauensverlust in die Institutionen – eine europäische Identität liegt derzeit in weiter Ferne. Genau die müsste aber stärker gefördert werden, sagt Politologin Sonja Puntscher-Riekmann.

Es gibt dieses Wort von der Politikverdrossenheit. Je nach Auslegung ist auch von Demokratieverdrossenheit die Rede. Für Sonja Puntscher-Riekmann passen aber beide Begriffe nicht so recht in das Bild, das Europa derzeit bietet. „Es gibt eher eine Parteien- und Institutionenverdrossenheit“, sagt die Politologin und Forum-Vizepräsidentin. „Die Institutionen liefern nicht den Output, den man erwartet.“ Und so entstehe das Gefühl, dass sich nichts ändert, egal, wem man bei Wahlen seine Stimme gibt. Gerade in Richtung EU ist die Skepsis der Bevölkerung derzeit besonders ausgeprägt. „Es gibt Motivstudien zum Brexit – da war der Anti-Establishment-Reflex der größte, es ist aber nicht so, dass man die Demokratie abschaffen will.“

Natürlich, eine große Institution wie die EU wirkt nach außen gelegentlich schwerfällig. Und so kommt es immer wieder zum Wunsch nach dem starken Mann – der sich etwa in Bewunderung für Russlands Präsidenten Wladimir Putin oder den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán niederschlägt. Sie wirken im Vergleich mit dem bürokratischen Apparat der EU, als würden sie etwas weiterbringen. „Ein völliges Missverständnis“, meint Puntscher-Riekmann, „weil gerade die russische Bürokratie ein Wahnsinn ist“. Aber natürlich sei es richtig, dass sogenannte starke Männer den Eindruck der Tatkraft, der Entschiedenheit vermitteln. Und die Kritik der Menschen, dass das demokratische System ineffektiv ist, finde in diesen Männern Widerhall.

Dass derzeit nicht nur in Europa, sondern etwa mit Donald Trump auch in den USA Populisten an Zulauf gewinnen, führt die Politologin unter anderem auf die wirtschaftliche Situation zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg florierte die Wirtschaft. Und die Politik hatte Geld zur Verfügung, das sie umverteilen konnte. Spätestens seit der Finanzkrise ist dieses System schwer beschädigt. Genau darum sei derzeit auch die Sicherheitsfrage ein so großes Thema – „als Ersatzthema“, meint Puntscher-Riekmann. „Wobei man den Terrorismus sicher nicht kleinreden darf.“
In unsicheren Zeiten kann es zum Reflex kommen, dass man sich in einen wohligen Schoß flüchten will, der Sicherheit verspricht. Das ist bei vielen der Nationalstaat. Ein Gebilde, das man versteht und mit dem man sich identifizieren kann. Im Gegensatz zum Gebilde Europa, das oft als abstrakte Konstruktion gesehen wird. Ein Konstrukt, dem noch dazu unterstellt wird, zu bürokratisch zu sein. „Ich bin mir nicht sicher, ob jeder wahlberechtigte Österreicher weiß, was in unserer Verfassung steht“, sagt Puntscher-Riekmann. Wenn ihre Studenten über die Komplexität der EU zu klagen beginnen, frage sie deshalb immer, „ob wir nicht ein bisschen über den österreichischen Finanzausgleich reden wollen. Das ist auch nicht ohne.“

So simpel gestrickt, wie es für manchen Menschen wirkt, ist Österreich also auch wieder nicht aufgebaut. Und doch gibt es einen bedeutenden Unterschied zum Konstrukt Europa. Dass man sich eben leichter damit identifizieren kann. Es gibt eine gemeinsame Sprache, eine Identität, auf die man sich viel leichter verständigen kann als auf eine europäische. „Europa ist ein abstrakter Begriff, der über den Horizont vieler Menschen hinausgeht“, sagt die Politologin. Was aber auch viel damit zu tun hat, wie in der Öffentlichkeit über Österreich und die EU gesprochen wird. Nicht zuletzt sieht sie hier eine besondere Verantwortung bei den Medien. „Öffentlichkeit entsteht wesentlich durch die mediale Vermittlung. Je nachdem, wie berichtet wird, entsteht ein anderes Bild.“

Hier hält sie vor allem den Boulevard für problematisch, der konterkariere und kampagnisiere. Gerade in Großbritannien könne man das beobachten, wo die Boulevardzeitungen besonders heftig agierten. Aber nicht nur der Boulevard, auch die Politik trägt dazu bei, wie in der Öffentlichkeit über Europa gedacht wird. Gerade beim Brexit sei mit Lügen Politik gemacht worden. „Boris Johnson hat bei einer Podiumsdiskussion behauptet, dass die EU eine Verordnung über den Umgang mit Teebeuteln erlassen hat. Im Publikum hat sich dann jemand gemeldet, dass das keine EU-Verordnung ist, sondern eine britische. Johnson hat dann gesagt: ,Da sieht man, wie unsere Bürokratie durch das Vorbild der europäischen Bürokratie verdorben ist.‘“

Doch es sind nicht nur die Medien und die Politik, denen man die Verantwortung zuschieben darf. Auch die Bürger müssen ihren Teil dazu beitragen. „Demokratie braucht Demokraten“, sagt Puntscher-Riekmann. „Es gibt ein Minimum an Holschuld. Aber im Gegenzug muss den Menschen auch Information gegeben werden.“

In Sachen europäische Identität hieße das etwa, dass Politiker daheim nicht nur das Bild erzeugen, dass sie etwas gegen Europa und für ihr Land durchgesetzt hätten. Und nein, man müsse nicht Europa ständig loben und das Bild des Kontinents verklären. „Es geht darum, Europa möglichst unaufgeregt darzustellen. Es geht nicht immer um Sein oder Nichtsein.“ Und man sollte das Narrativ ändern – „man sollte diesen Kontinent als einen der innovativsten in der Geschichte darstellen. Warum sind wir so wenig stolz auf ihn?“ Und sie bezieht sich auf die Eröffnungsrunde von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Alpbach – er hatte gesagt, dass sich Europäer vor allem außerhalb Europas besonders als Europäer fühlen würden. „Vielleicht sollte man einfach einmal alle Europäer nach China schicken“, meint Puntscher-Riekmann.

Abstrakte Symbole auf Euroscheinen

Selbst eine der großen Errungenschaften der EU, der Euro, trage nichts zum Stolz auf den Kontinent bei. „Es ist fatal, dass auf dem Euroschein nur abstrakte Symbole zu sehen sind. Da sind Gebäude, die irgendwie an die Gotik erinnern oder an ein römisches Aquädukt.“ Warum nicht Europäer, auf die man stolz sein könne? „Bei den Münzen haben wir ja auch viele in der Hand, die nicht österreichisch sind.“ Und dennoch sieht die Politologin nicht schwarz für eine europäische Identität. Beim Blick auf den Eurobarometer steige zwar der Euroskeptizismus, „aber wenn man die Befürworter und die Neutralen summiert, hat man eine deutliche Mehrheit gegen jene, die Europa furchtbar finden“. Vielleicht sei schon diese Normalisierung ein Fortschritt, „dass wir eben nicht dauernd sagen, wie furchtbar alles ist“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Karin Kneissl
Home

Der Wohlfahrtsstaat als Hindernis für Integration

Bei einer Breakout Session wurden Rezepte für das Zusammenleben mit Zuwanderern diskutiert – und eine Standortbestimmung versucht.
Fritz Jergitsch
Home

Die Politikerin und der "Tagespresse"-Hofnarr

Worüber darf man lachen – worüber nicht? "Tagespresse"-Macher Fritz Jergitsch traf auf die Europa-Abgeordnete Elisabeth Köstinger.
Zeichen der Solidarität
Home

Ohne Werte ist Europa wertlos

Die Europäische Union steht vor großen Hürden, daran zerbrechen wird sie aber nicht, sagt Michael O'Flaherty, Direktor der EU-Grundrechteagentur. Dank der Menschenrechte.
Home

Lederhose, Dirndl und Politik auf der Bischoferalm

Längst gehört er zum Alpbacher Gesellschaftsprogramm: Die Wien Holding lud auf die Alm zu ihrem traditionellen Empfang.
Migrationsexperte Arnon Mantver
Home

"Die entscheidende Frage ist nicht die Burka"

Integration muss in den Gemeinden stattfinden und kann nicht auf nationaler Ebene entschieden werden, sagt der israelische Migrationsexperte Arnon Mantver. Die Gesellschaften müssten lernen, Unterschiede auszuhalten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.