Wenn die Demokratie auf Abwege gerät

John Keane
John Keane(c) Forum Alpbach
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Das demokratische System zeigt Auflösungserscheinungen. Die Symptome sind Populismus und ein Hang zu autoritären, charismatischen Führern. Die Krankheit aber ist eine Lähmung, die vor vielen Jahren eingesetzt hat.

Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Griechenlandkrise, Flüchtlingskrise – ob nun auch die Demokratie in einer Krise steckt, woher das rührt – oder ob der Begriff der Krise einfach überstrapaziert wird, das wurde am Sonntagabend in Alpbach diskutiert. Um es vorweg zu nehmen: Ja, es gibt auch eine Krise des demokratischen Systems, darüber waren sich alle Teilnehmer einig. Aber die Ursachen dafür liegen oft schon Jahrzehnte zurück. Populismus und autoritäre Tendenzen sind Symptome des heutigen Zustands unserer westlichen Demokratie.
Die Globalisierung, einzelne demokratische Umbrüche in der internationalen Staatengemeinschaft haben das System des Parlamentarismus und des Rechtsstaats durchaus verbreitet. Aber diese positive Entwicklung läuft mittlerweile mit einer inneren Zersetzung der Demokratie einher.

Dynamik wurde eingebremst

John Keane, Autor und Politikwissenschaftler an der Universität Sydney, ging mit dem aktuellen Zustand der Demokratie hart ins Gericht. Aus seiner Sicht haben Politiker wie US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump nicht nur der Weiterentwicklung der Demokratie ein Ende gesetzt. Mittlerweile gebe es eine „Konfusität“ über den Sinn und Inhalt von Demokratie auch in der Bevölkerung. Demokratie bedeute nicht nur freie Wahlen, sondern mehr.

Sie müsse als Multiplikator wirken, sich ständig weiterentwickeln. Aber das geschehe nicht mehr. Zu einem ähnlichen Schluss kam Ulrike Lunacek, grüne Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europaparlaments. Die Demokratie habe sich lange weiterentwickelt. Als Beispiel nannte sie das Frauenwahlrecht, das vor 40 Jahren noch keine Selbstverständlichkeit in Europa war. „Es gab zwar ein gemeinsames Verständnis von Demokratie. Doch dies wird nun durch eine Vertrauenskrise überlagert.“ Lunacek nannte Polen und Ungarn als aktuelle Beispiele, in denen Demokratie nicht mehr funktioniere. Doch bereits zuvor seien ähnliche Entwicklungen beispielsweise unter Silvio Berlusconi in Italien festzustellen gewesen. Der konstruktive Weg, Demokratie für die gesamte Gesellschaft zu nutzen, sei durch eine Polarisierung und Ausgrenzung von Teilen der Gesellschaft unterwandert worden.

Soziale Antworten notwendig

„Wir erleben eine Zersetzung von Demokratie“, zeigte sich die Politikwissenschaftlerin und Vizepräsidentin des Forum Alpbach, Sonja Puntscher Riekmann, überzeugt. Sie erinnerte in ihrer Analyse daran, dass es nicht um einen Wahrheitsanspruch gehe, sondern lediglich um Entscheidungen einer Mehrheit, die auch revidiert werden können. Insoweit ist das politische Ergebnis nicht für immer festgeschrieben.

Puntscher Riekmann rief zur Verteidigung der Demokratie auf. Demokratie brauche vor allem eine soziale Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Denn wer immer nur um seine Existenz fürchte, werde immer weniger Interesse an Demokratie haben. Das habe letztlich Folgen für die Balance in den demokratischen Systemen: „Parlamente werden immer machtloser, während Regierungen an Macht gewinnen.“

Fabrice Larat, Wissenschaftlicher Direktor der französischen Verwaltungsakademie ENA, verglich die Entwicklung mit der „Entzauberung“, wie sie Max Weber beschrieben hat. „Wir haben lange eine starke Rationalisierung der Gesellschaft erlebt.“ Während die Verwaltung des Staats weiter rational agiere, wünsche sich die Bevölkerung aber zunehmend charismatische, auf Emotionen ausgerichtete Führer. Die Expertise, Wissen und Verantwortung treten in den Hintergrund. Als Beispiel nannte Larat die Brexit-Debatte, bei der von Austrittsbefürwortern rationale Elemente diskreditiert wurden.

Ist die Demokratie noch zu retten und wie? Dazu gab es an diesem Abend wenig Antworten. Die Rettung liegt, zumindest soviel wurde klar, letztlich in der Übernahme von Verantwortung jedes einzelnen, das System des Ausgleichs und des Rechtsstaats zu verteidigen. Ein Fehler wäre es, wie Keane betonte, sich den zunehmend autoritär regierenden Machthabern hinzugeben. Keane: „Diese Regierungen verteufeln Demokratie nicht, behaupten nicht, dass sie in Frage gestellt werden muss. Aber in der Realität unterwandern sie diese.“ Sie würden gegen Regimekritiker vorgehen, während eine große Mehrheit der Bevölkerung gar nicht begreife, dass sie hintergangen werde.

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