Viele, viele schöne Jahre

Tod durch Enthauptung wegen Vorbereitung zum Hochverrat, lautete das Urteil, das 1942 in Wien über Hans und Hedi Schneider gesprochen wurde. Deren „ganz einfache Ge- schichte“ zeichnet Wolfgang Fritz nach.

Wolfgang Fritz ist ein vielseitiger und in seiner Vielseitigkeit erstaunlich beständiger Schriftsteller. Es gibt nur wenige Autoren, die an ihren erfundenen oder realen Helden so wenig herumpfuschen wie der Ministerialbeamte im Ruhestand, der seinen Beruf von der Pike auf, als Karteihelfer im Finanzamt Feldkirch, gelernt hat und offenbar nie Gefahr lief, sein frühes Interesse an Menschen, deren Lebenswegen etwas Unerfülltes und Unberechenbares anhaftet, im Getriebe des eigenen Fortkommens zu verlieren. Fritz besitzt Humor, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und die seltene Tugend des Mitleids. Er recherchiert sorgfältig, und er versteht es, komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen. Deshalb könnte der Titel eines Romans aus dem Jahr 1983 auch über seinem bisherigen Gesamtwerk stehen: „Eine ganz einfache Geschichte“.

Nun legt Fritz tatsächlich „eine ganz einfache Geschichte“ vor, auf die er Ende der 1980er-Jahre gestoßen ist. Das junge Ehepaar Hans und Hedwig Schneider wurde im Dezember 1942 im Wiener Landesgericht enthauptet, nachdem es wegen Vorbereitung zum Hochverrat zur Höchststrafe verurteilt worden war. Hans war zum Zeitpunkt seines Todes 32, Hedi 31 Jahre alt. „Ihre Schuld bestand darin, Floridsdorfer Kommunisten die Aufstellung eines Vervielfältigungsgerätes in der Werkstätte ihres Gartenhäuschens gestattet zu haben. Weil der Apparat nicht funktionierte, kam es niemals zu jener Herstellung regimefeindlicher Flugblätter, die eigentlich inkriminiert war.“

Zugetragen wurde ihm der Fall von Hedis Schwester Cilli Planinger, seiner Nachbarin in einer Hütteldorfer Kleingartensiedlung, in der Hoffnung, er werde sich der Geschichte annehmen und damit Hedi und ihren Mann vor dem Vergessenwerden bewahren. Dass Frau Planinger die Buchveröffentlichung nicht mehr erlebt hat, ist der Quellenlage geschuldet: Wie Fritz schreibt, durfte er damals die Akten des Volksgerichtshofes nicht einsehen. Erst 2006 seien die Ergebnisse ihrer Auswertung durch Historiker des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes öffentlich zugänglich gemacht worden. Und ihn beschäftigte ja nicht nur das kurze Leben seiner Helden, sondern auch das Unrecht, das ihnen angetan wurde, der Ablauf des Verfahrens gegen sie und das Verhalten der in den Fall verwickelten Gestapobeamten und Juristen, letztlich also der Mörder. Er wollte in Erfahrung bringen, wer sie waren, wie sie hießen, ob es ihnen gelang, ihre Karrieren nach dem Ende des Naziregimes fortzusetzen.

Bedeutsam ist die Geschichte allerdings nur hinsichtlich der beiden Verurteilten, die

Wolfgang Fritz
Die Geschichte von Hans und Hedi
Chronik zweier Hinrichtungen. 140S., geb., €17,90 (Milena Verlag, Wien)

aus proletarischen Verhältnissen stammten und sich in der Erwerbslosensiedlung Leopoldau (jetzt Großfeldsiedlung) eine überaus bescheidene Existenz schufen, der doch – wie Hans einmal an seine Frau schrieb – „eine herrliche Zukunft“ leuchtet, „wo wir ohne jede Sorge viele, viele schöne Jahre verbringen werden“. Es ist bezeichnend für dieses Land, dass seinen Einwohnern zwar die heillose Kontinuität von Verbrechen und Opportunismus vor und nach 1945 eingebleut wird, nicht aber die Tatsache, dass sich hier auch erkennbarer wie erkennenswerter Widerstand gegen die NS-Herrschaft formiert hat. Ihn schreibend einzufordern, in einer Zeit, in der er als folgenlos verhöhnt wird, ist nicht das geringste Verdienst des Autors. Er verzichtet darauf, das gesammelte Material – die Gesprächsprotokolle mit Hedis Schwester und ihrem Schwager, die überlieferten Briefe und Kassiber des Ehepaares Schneider, die wenigen Fotos, die sie hinterlassen haben, die juristischen Dokumente und historischen Abhandlungen – durch eigene Vorstellungskraft zu verdichten.

Wolfgang Fritz überschreitet nie die imaginäre Linie zwischen Bericht und Erzählung und vermag den Leser trotzdem zu erschüttern, sodass dieser in Hans und Hedi und auch in den Angehörigen der Frau Zeitgenossen entdeckt und in ihren Empfindungen und Äußerungen Möglichkeiten des eigenen Daseins. Der Malergehilfe aus Wien,die aus Niederösterreich zugezogene Haushaltshilfe werden einem gerade durch ihre schriftlichen Mitteilungen vertraut, obwohl sie im Schreiben ungeübt und schon vor der Verhaftung gezwungen waren, Selbstzensur zu üben. Aber da ist ihre Liebe, die sich in den Briefen offenbart – so stark, dass nicht einmal das Sterbenmüssen gegen sie ankommt. Da äußert sich, inmitten des eigenen Unglücks, die Sorge um das kleine Glück der andern. Da bedauern sie nicht wirklich, sich durch einen Freundschaftsdienst an Widerstandskämpfern um Kopf und Kragen gebracht zu haben. Und da ist ihre volkstümliche Ausdrucksweise, die um Vieles anschaulicher ist als die Sprache, derer wir uns für gewöhnlich bedienen.

So bescheiden ihr Schulwissen, so prekär ihre materielle Lage auch war, in Sachen Herzensbildung eigneten sich Hans und Hedi Schneider als Vorbilder. Der eine schreibt, in der Todeszelle, Abschiedsbriefe an die Freunde und Verwandten, die in ihrer tröstenden Gefasstheit schon wieder zuversichtlich wirken, die andere bastelt für ihre Schwestern ein letztes Geschenk aus mehreren Lagen Stoff, den sie mit einem gestickten Herzen versieht, mit gestickten Blumen, winzigen Bildern von ihr und ihrem Gefährten, einem Haarbüschel und dem Schriftzug: „Euch, meinen lieben Schwestern, zum ewigen Gedenken an eure Hedi“. Fritz notiert an dieser Stelle lakonisch: „Cilli verwahrte das Geschenk in ihrer Geldbörse, sie hat es mir am 7.Mai 1988 gezeigt.“

Der heiße Wunsch des Ehepaares, vor der Hinrichtung noch einmal zusammenkommen zu dürfen, blieb unerfüllt. Hans und Hedi wurden, der Sterbeurkunde zufolge, im Abstand von sechs Minuten geköpft, am 2.Dezember 1942, abends kurz vor halb sieben. Hedwig Schneider, geborene Bock, war in Matzleinsdorf bei Melk aufgewachsen. Dort wäre es auch angebracht, sie zu würdigen, öffentlich, auch wenn die öffentliche Würdigung ermordeter Nazigegner in den schwarzen Gemeinden Niederösterreichs nicht opportun ist, wie uns der Bürgermeister der lieblich grauenvollen Ortschaft Hadersdorf/Kamp ein ums andere Mal beweist.

Cilli Planinger hatte ihren Eltern verschwiegen, dass Hans und Hedi nicht mehr am Leben waren. Sie schickte ihnen sogar eine Karte in deren Namen, „dass sie Weihnachten gut verbringen“. Irgendwann vermochte sie die Wahrheit nicht länger geheim zu halten und gestand dem Vater, was wirklich geschehen war. Er nahm ihr das Versprechen ab, der Mutter nichts zu sagen. „Es wäre ihr Tod, und du stehst dann allein da.“ Aber auch der Mutter gegenüber verwickelte sie sich in Widersprüche. Sie behauptete, dass Hans und Hedi zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden seien. Bei einem Fluchtversuch sei Hans erschossen, Hedi schwer verwundet worden. Zwei Jahre später, am Heiligen Abend des Jahres 1944,durchschaute Frau Bock die mildtätige Lüge. Sie starb noch am selben Tag. ■


„Die Geschichte von Hans und Hedi“ wird am 17.September, 18 Uhr, im Arbeiterheim am Merkurweg 15, Wien XIV, vorgestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2009)

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