Deborah Sengl: Tierischer Tiefgang

(c) Christine Pichler
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Für ihre neueste Arbeit blickt Deborah Sengl unter die Oberfläche von niedlichem Nippes und findet dort animalische Gestalten.

Erfreulich hat die Erfolgsgeschichte von europäischem Porzellan nicht begonnen, zumindest nicht für den Erfinder selbst. Johann Friedrich Böttger nämlich, Apothekergeselle und, wichtiger noch, Alchemist, war angehalten, unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts für den Herzog von Sachsen nach einer Formel für die Herstellung von Gold zu suchen. Diese Unternehmung stellte sich mit der Zeit – aus heutiger Perspektive ist das verständlich – als nicht zu bewältigende Aufgabe heraus. Dass Böttger schließlich diverse Verfahren für die Fertigung von weißem und rotem Porzellan „à la chinoise“ fand, verbesserte die Lebensqualität des unter Hausarrest arbeitenden Goldsuchers zwar nicht unbedingt, ließ ihn aber immerhin in die Annalen des Kunsthandwerks eingehen.

Von Hand. Fast ein Jahr brauchte die Entwicklung der ­finalen Figuren.
Von Hand. Fast ein Jahr brauchte die Entwicklung der ­finalen Figuren.(c) Christine Pichler

„In lächerliche Figuren geformt“. Obendrein bescherte sein Eifer dem bereits erwähnten Herzog, August dem Starken, eine willkommene Befeuerung seiner „Porzellankrankheit“. In einem auf Französisch, einst wie heute favorisiertem Aristo-Idiom, verfassten Brief teilte August einem Korrespondenzpartner nämlich hinsichtlich seiner „maladie de porcelaine“ mit, dass es sich ganz ähnlich wie mit dem Lüsten nach vergleichbar seltenen Orangen verhalte: „Wenn man nur einmal beginnt, an der Krankheit des einen oder anderen (also Porzellan oder Orangen, Anm. der Redaktion) zu leiden, wird man seiner nie satt werden und immer mehr davon haben wollen.“ Mit dieser Begeisterung entsprach Orangennarr August, der für das Japanische Palais in Dresden sogar von einer hundertprozentig porzellanenen Inneneinrichtung träumte, ganz und gar dem Zeitgeist seines Jahrhunderts. Besonders die Porzellanmanufaktur im sächsischen Meißen tat sich unter ihresgleichen hervor, und zu ihren beliebtesten Erzeugnissen zählten bald auch kunstvoll ausgeführte Figuren in Tier-, Pflanzen- oder Menschengestalt, die die große, weite Welt ins Häuslich-Heimelige holte.

Reine Dekoration waren die kostbaren Kabinettfigürlein im Zeitalter der Aufklärung also nicht, sondern sie fungierten auch als Botschafter aus der weiten Welt und als Wissenstransferleister in Miniaturform. Eine 1753 von Johann Joachim Kändler für die Meißner Manufaktur geschaffene Affenkapelle etwa sollte nicht nur unterhaltsam anmuten, sondern zugleich das Ideal des freigeistig lebenden und denkenden Menschen allegorisch aufgreifen. Gleichwohl existierten auch derivative Produkte, oder diese Kreationen entsprachen nicht jedermanns Geschmack. Klassizist Johann Joachim Winckelmann etwa urteilte hart: „Das mehrste Porzellan ist in lächerliche Figuren geformt.“

Teamwork. Das Fachwissen kam von Keramiker Hermann Seiser.
Teamwork. Das Fachwissen kam von Keramiker Hermann Seiser.(c) Christine Pichler

Lieber Tiere als Menschen. Diesem Verdikt würde sich – und damit ein Schwenk ins hic et nunc – die Wiener Künstlerin Deborah Sengl wohl nicht anschließen, schließlich hat sie sich für eine Kooperation mit dem Stamm Concept Store nun des niedlich-unverfänglichen Genres angenommen. Die Initiative hatte Stamm-Geschäftsführer Marcus Fried ergriffen, und der Ausgangspunkt des Projekts mit dem Titel „Figure It Out“ war die Materialität. „Nachdem ich zwei Wochen über nichts anderes nachgedacht hatte als darüber, was sich überhaupt mit dem Material anstellen lässt, war mir klar, dass ich Porzellanfiguren machen wollte. Und auch dass ich eingreifen möchte in etwas Bestehendes, in genau diese Art von Kitsch.“ So entstand also das Figurenpärchen, bei dem Sengl sich – ein wiederkehrender Zug in ihrer Arbeit – einerseits für das Darunter und Dahinter interessiert, dabei in die Welt des Animalischen und womöglich gar Unheimlichen abtaucht, und andererseits in vorab Existierendes umgestalterisch eingreift: Mann und Frau im feierlichen Staat, in glasiertem, feinstem weißen Porzellan, wie sie herrschaftliche Kaminsimse trefflich zieren würden. Unter der stellenweise wie abgebröckelt verschwundenen Oberfläche blitzen freilich eine Schlange und ein Kater hervor. „Die Idee, die mir am besten gefallen hat, war, aus dieser höfischen Anmutung, dieser Dame und dem Herrn, das wahre Ich herauszuarbeiten und damit die Frage zu beantworten: Was ist hinter dieser lieblichen Fassade versteckt? In meiner Arbeit ist das ja meistens das Tier im Menschen oder auch: die Bestie“, fasst Deborah Sengl ihren Ansatz zusammen.

Mit Handwerkern, die sich auf hoch spezialisierte Arbeit verstehen, über einem Projekt zu tüfteln, bereite ihr stets Freude, meint Sengl, die sich häufig und so auch in diesem Projekt von den spezifischen Eigenschaften und Konnotationen einer bestimmten Stofflichkeit leiten lässt. Parallel zu ihrem Kunststudium hatte Deborah Sengl anfangs während einiger Semester Biologie inskribiert, motiviert durch ihre Begeisterung für die Fauna. „Privat interessieren mich die Tiere zwar mehr als Menschen, in meiner Arbeit stelle ich aber den Menschen metaphorisch durch Tiere dar. Das mache ich übrigens seit dem dritten Semester meines Studiums“, sagt sie. Darum war auch das erste Handwerk, das in Sengls künstlerische Arbeit Eingang gefunden hat, die Taxidermie: Über die Jahre ist eine enge Zusammenarbeit mit einem Tierpräparator entstanden, die Ergebnisse wie etwa die Ratteninszenierung von Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ im Essl-Museum zeitigte. „Es kommen aber immer neue Materialien dazu. Einerseits reizt mich das, und ich finde auch, dass man als Künstler weiter gehen muss, ich will ja nicht mein Leben lang noch ein ausgestopftes Tier und noch ein ausgestopftes Tier machen. Das wäre ja fad.“

(c) Sebastian Philipp

Engelsgleich. Für ihre zwei Kabinettfigürlein machte sich Deborah Sengl auf die Suche nach einem geeigneten Kooperationspartner, was im Wien des 21. Jahrhunderts – anzunehmenderweise – deutlich schwieriger war als im Dresden des 18. Fündig wurde sie schließlich in Währing, wo der gebürtige Steirer Hermann Seiser eine der letzten Keramikwerkstätten des Landes betreibt. „Ja, ich gehöre schon zu den Letzten“, bestätigt er. „Ich mache das ja schon ein Leben lang, dazu gehört auch das Bauen spezieller Formen, und ich habe schon oft mit Künstlern und Designern zusammengearbeitet.“ Es brauche zwar Fingerspitzengefühl und langjährige Erfahrung beim Erstellen der Modellformen, doch am Ende „ist eigentlich fast alles möglich“, ergänzt Seiser.

Deborah Sengl hat indessen schon ihre nächste Ap­pro­p­ri­a­ti­on eines Nippes-Genres zum Abschluss gebracht. Ende September wird sie eine Serie von Arbeiten präsentieren, in denen sie sich der putzigen Barockengelchen in Bronze angenommen hat und die ihre eigene Wahrnehmung der pausbäckigen Wonneproppen widerspiegeln. Allzu engelshaft sind, so viel sei jetzt schon verraten, Deborah Sengls Assoziationen nicht ausgefallen.

Tipp

Die Porzellanfigurenserie „Figure It Out“ von Deborah Sengl wird ab 14. September im Stamm Concept Store in Wien gezeigt. www.deborahsengl.com, www.stamm.at

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