Junge Dramatiker: So ein Theater

Anna Gschnitzer. Nach dem Sprachkunststudium an der Universität für angewandte Kunst zog es die Südtirolerin zum Stückeschreiben.
Anna Gschnitzer. Nach dem Sprachkunststudium an der Universität für angewandte Kunst zog es die Südtirolerin zum Stückeschreiben.(c) Christine Pichler
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Nicht nur zum Start der Spielsaison lechzt die Theaterwelt nach Nachwuchs. Zu Recht, denn neue Talente wie diese drei Dramatiker aus Österreich haben einiges zu bieten.
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In Wien wissen vom Taxifahrer bis zur Anwältin alle Bescheid, was gerade im Theater läuft. So zumindest das Klischee. Ob das (immer noch) stimmt, sei dahingestellt. Aber ja, viele wollen sehen, was auf den deutschsprachigen Bühnen geboten wird. Vor allem, was junge Autoren in ihren Theaterstücken zu sagen haben, denn es gilt die Devise „Neu ist hip“. Das steht in Verbindung mit der Tatsache, dass das Geflecht aus Stipendien, Ausbildungsmöglichkeiten und Preisen für den schreibenden Nachwuchs in den vergangenen zehn Jahren immer dichter wurde. Ob so mehr Talente entdeckt oder nur schneller verheizt werden, ob eigener Stil oder nur Marktkonformität gefördert wird und welche Strategien überhaupt sinnvoll sind, wird in den Feuilletons lebhaft debattiert.

In Österreich ist die Struktur relativ überschaubar. Einer der großen Akteure ist das in Graz angesiedelte Drama-Forum, das laut Eigendefiniton „die Produktion von relevanten, performativen Texten“ fördert und in Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz heuer erstmals das Dramatiker*innenfestival ins Leben gerufen hat. Die Organisation vergibt auch seit 2003 den Retzhofer Dramapreis. Die Nominierten haben ein Jahr Zeit, ihre Stücke fertigzustellen, Dramaturgen und Lektoren stehen mit Feedback zur Seite. Der Sieger erhält am Ende neben 4000 Euro auch garantierte Sichtbarkeit über die Landesgrenzen hinaus. Die Folgen? Gute Chancen, um an Aufführungen, Lesetermine und Angebote von Theaterverlagen zu kommen. Für heute bekannte Autoren wie Gerhild Steinbuch, Ewald Palmetshofer und Ferdinand Schmalz bedeutete der Gewinn den Auftakt zur Karriere. Auch Autoren, die nicht zu den Siegern zählten, gab die Nominierung Rückenwind.

Thomas Köck. Der vielseitige Autor erlebte 2014 seinen Durchbruch als Dramatiker. Im Herbst läuft „paradies hungern“ im Landestheater Linz an.
Thomas Köck. Der vielseitige Autor erlebte 2014 seinen Durchbruch als Dramatiker. Im Herbst läuft „paradies hungern“ im Landestheater Linz an.(c) Christine Pichler



Humor und Abstraktion. Letztes Jahr gab es mit Özlem Özgül Dündar und Miroslava Svolikova gleich zwei Gewinnerinnen. „Die Sprache ist von großer Entschiedenheit, von einer Wucht, die sich in der grafischen Anordnung, in quadratischen, gepressten Textblöcken niederschlägt“ und „von großem, sehr gekonntem Humor“ urteilte die Jury über Svolikovas „Die Hockenden“. Die Uraufführung dieses Stücks, das in der nun beginnenden Spielzeit weiterläuft, hat an einer guten Adresse stattgefunden, nämlich im Vestibül des Burgtheaters. Svolikova findet es spannend zu sehen, was andere aus ihren Stücken machen – in diesem Fall die junge katalanische Regisseurin Alia Luque. Dramatische Texte sieht sie zwar als Literatur, aber dass der Text durch die Münder, Gesten und Bilder vieler Menschen verschiedenartige Gestalt annimmt, ist eine konkrete Motivation der 30-jährigen Wienerin, für das Theater zu schreiben. Dazu kommt, dass sie hier mehr Freiheiten als in Prosatexten sieht. „Man muss für Prosa immer ein erzählerisches Genre bedienen. Für das Theater kann man viel experimenteller schreiben“, sagt sie. Für „Die Hockenden“ machte sie es sich zur Aufgabe, innerhalb einer streng komponierten Form zu arbeiten: „Ich hatte eine Konstellation von drei Positionen und einem Chor im Kopf. Es ging darum, alles, was geht, aus dieser Konstellation herauszuholen.“ Die Geschichte handelt vom Stillstand einer (Dorf-)Gemeinschaft, die nicht vom Fleck kommt. Es geht um die Frage, was wer sagen kann und darf und wer die Macht über Geschichte hat. Im Jänner wird mit „diese mauer fasst sich selbst zusammen, und der stern hat gesprochen, der stern hat auch was gesagt“ ein zweiter Text von Svolikova auf die Bühne kommen. Diesmal im Schauspielhaus Wien, das sie zu einem Workshop zum Thema Europa geladen hat.

Für Svolikova war dies ein Anlass, sich erneut mit Sprache, Macht und dem Verhältnis von Einheit und Vielheit zu befassen. „Ich komme von einer abstrakten Denkweise her. Wie Sachen funktionieren, das interessiert mich“, erzählt die Absolventin der philosophischen Fakultät, die auch an der Akademie der Bildenden Künste studiert und in ihren Skulpturen und Zeichnungen eine abstrakte, allerdings stark sinnlich-materielle Herangehensweise zeigt. In dem neuen Stück gehören zu den sprechenden Figuren etwa eine Mauer und bezifferte Figuren ohne Namen. Diese unterhalten sich zu Beginn darüber, dass sie wegen einer Ausschreibung vor Ort seien. „Viele Leute haben das so gelesen, dass es um die Generation, die sich ständig bewerben muss und ausgesiebt wird, geht“, sagt die Autorin. Das kennt sie als Künstlerin selbst nur zu gut.

Kollektiv arbeiten. Die eigene Generation mitzureflektieren, das spielt auch bei der in Südtirol aufgewachsenen und in Wien lebenden Anna Gschnitzer, die an der Universität für angewandte Kunst das Sprachkunststudium absolviert hat, häufig eine Rolle. Vor fünf Jahren arbeitete sie sich mit ihrem Theaterkollektiv bureau am Begriff des Generationenkonflikts ab und gewann damit den Nachwuchswettbewerb im Wiener Theater Drachengasse. „Outperform Yourself – Treten Sie Sich Ein“ ist der Titel der siegreichen Produktion, der sofort in den Mittelpunkt stellt, was wohl viele junge Menschen im Berufsleben heute beschäftigt: die ständige Performance und Verbesserung des eigenen privaten Selbst, das sich kaum mehr vom Arbeitsselbst trennen lässt.

Miroslava Svolikova. Ihr erstes Stück, „Die Hockenden“, wird noch im Vestibül der Burg gegeben. Im Jänner 2017 kommt ihr zweites Stück ins Schauspielhaus.
Miroslava Svolikova. Ihr erstes Stück, „Die Hockenden“, wird noch im Vestibül der Burg gegeben. Im Jänner 2017 kommt ihr zweites Stück ins Schauspielhaus.(c) Christine Pichler

Auch in ihrem viel beachteten, grotesk-lustigen Stück „Ponys: Eine Aufladung“, das vor ein paar Jahren durch die deutschsprachige Theaterlandschaft gezogen ist, geht es um Optimierung, Flexibilität, Innovation und andere Schlagwörter des kognitiven Start-up-Kapitalismus, in dem man sich nur mehr von Projekt zu Projekt hanteln kann. Es scheint fast eine Gegenstrategie zur Ellbogengesellschaft zu sein, sich als Autorin vor allem in Kollektiven zu engagieren. „Meistens mache ich mit anderen, also Schauspielern, Tänzern und Regisseuren, gemeinsam die Stückentwicklungen“, erzählt Gschnitzer. „Ich bringe Textmaterial zu den Proben mit, und dann probieren wir herum.“ Klar sei, dass das nicht ohne Konflikte laufen könne, aber das finde sie interessant, meint die Autorin. Eine weitere Folge der Arbeit im Kollektiv ist, dass Gschnitzer bislang kaum bei klassischen Stellen, etwa Stückemärkten oder Dramapreisen, eingereicht hat.

Dass Gruppenarbeit nicht immer funktionieren muss, hat sie mit dem Schaupieler Niko Eleftheriadis im Text „Not So Happy Together“ verarbeitet, den die beiden als Performance in Stuttgart gezeigt haben. In dem quasi­ironischen Dialog erörtern sie, was sie gemacht hätten, wenn sie eine Förderung, die ihnen verwehrt wurde, doch bekommen hätten. Für ihren neuesten Text, der in fulminantem Sprachkonvolut von Selbstmord, Nazi-Vergangenheit und absurden Landschaften erzählt, ist Gschnitzer allerdings doch eher die einsame Schreibtischtäterin. Nur der Schreibworkshop bei Jörg Albrecht am Schauspielhaus Wien, der, wie sie betont, „ohne Wettbewerbsdruck abläuft“, fungiert als Resonanzraum.

Vom kollektiven Theatermachen und von Performanceformaten kommt auch Thomas Köck. Der gebürtige Oberösterreicher, der in Berlin und Wien lebt, war in der Kompagnie der experimentellen Wiener Theatermacherin Claudia Bosse aktiv und hat schon während seiner Studien der Philosophie und des szenischen Schreibens Performances, Audioinstallationen und derlei Weiteres entwickelt. Als Teenager war er Mitglied in Bands und nennt Musik, allem voran ­deutschen Diskurspop von Bands wie Tocotronic, als Ursprung für sein Interesse an Text. Seine Tätigkeiten an verschiedenen Kunstbaustellen und die Frage danach, wie Text sich zu Raum und Musik verhält, haben vor ein paar Jahren zum Schreiben für den Bühnenraum geführt. Von der Szene wird er geliebt und mit Preisen und Stipendien bedacht, seit er 2014 den Osnabrücker Dramatikerpreis für „jenseits von fukuyama“ gewonnen hat. Das Stück erzählt von einem Glücksforschungsunternehmen, das durch das Sammeln von Daten die Kontrolle der Bevölkerung anstrebt. Es sind auch bei Köck die großen Gesellschaftsthemen, die er verarbeitet, aber er sagt dazu nur: „Gibt’s andere?“

„From nine to five“. Wenn eine Idee gereift ist, schreibt er schnell, meint der 30-Jährige. „Die vermeintliche Geschwindigkeit kommt aus der Kontinuität. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und sehe mich beim Schreiben halt auch als Arbeiter. Produktion from nine to five.“ Der Output gibt ihm recht, denn innerhalb weniger Wochen waren in diesem Frühjahr gleich mehrere Premieren von seinen Stücken zu sehen.

Im Wiener Volkstheater lief damals „Isabelle H. (geopfert wird immer)“ an, das auf harte, aber genauso absurde und überdreht-witzige Weise von der Situation Flüchtender erzählt – geschrieben zu einer Zeit, als das Thema noch nicht so präsent wie in der jüngeren Vergangenheit war. Für das Stück erhielt Köck 2014 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis. Eine der Hauptpersonen, eine geflüchtete Frau, nennt sich Isabelle Huppert. „Na ja, sie ist eine tolle Schauspielerin“, meint Köck auf die Frage nach dem Warum trocken. Überhaupt macht er gern erfrischend unverfrorene Anspielungen auf Protagonisten aus Film und Theorie.

Der zweite Teil seiner sogenannten Klimatrilogie läuft im November im Landestheater Linz an. Titel: „paradies hungern“. Dass man dabei gleich an Ulrich Seidls „Paradies“-Filmtrilogie denkt, ist natürlich gewollt. Aber es gehe auch darum, dass das Paradies die große Verheißung sei, die weder für die Mittelschicht noch für Flüchtende stattfinde, erklärt der Autor: „Deshalb dachte ich, man könnte verschiedene Themen, die für mich zusammenhängen, in einer Trilogie bündeln.“

Zum Abschluss bleibt eine Frage: Kann Theater ein utopischer Ort sein? Ja, sind sich alle der drei Autoren einig. Auch wenn das nicht bedeutet, dass es konkrete Antworten liefern muss. Kunst hat ja das Potenzial, reale Dinge auf nicht reale Weise zu verhandeln und dadurch aufzubrechen.

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