"Es gibt auf dieser Welt zu viele, die nichts zu verlieren haben"

Symbolbild
Symbolbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Roland Koch. Der frühere CDU-Politiker sprach über Populismus, Ängste und darüber, dass Krisen am besten mit Wohlstand bekämpft werden.

„Befinden wir uns in einer Zeitenwende?“ Diese Frage stand Mittwochfrüh im Mittelpunkt des vom Managementclub veranstalteten Europafrühstücks im Böglerhof. Und mit dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch habe man einen Experten, der „auf all diese Fragen eine Antwort weiß“, sagte Gustav Dressler, Vorstand der 3 Banken-Generali Investment GmbH. Er werde sich bemühen, „diesen Irrtum weiter aufrechtzuerhalten“, erwiderte der frühere CDU-Politiker schlagfertig. Ein paar interessante Denkanstöße lieferte er dann auch.

Etwa wenn er davor warnt, die „Isolation als Schutzschild vor der Unsicherheit“ zu wählen. Protektionismus und Abschottung sei kein Zukunftsmodell. „Die Politiker haben es allerdings verabsäumt, dem Wähler das Warum zu erklären.“ Für Koch ist klar, dass „Demokratie den Zug zur Mitte brauche“. Die gemäßigten Parteien müssen lernen, die richtigen und verständlichen „Antworten im Kompromiss“ zu geben, ansonsten werden sich die „kompromisslosen Lösungen“ der Populisten durchsetzen.

Aber warum steigt neben dem Wohlstand auch die Unzufriedenheit? Roland Koch: „Die Informationssysteme erzeugen Ungeduld.“ Es gebe mittlerweile keine Zeit für Nachhaltigkeit. Der Anspruch auf Geschwindigkeit sei so hoch, dass die Regierungen diesen nicht mehr erfüllen werden. Deshalb seien die Politiker in den Augen vieler „Idioten“, die nichts umsetzen. „Wohlstand, Demokratie, Sozialsysteme, Rechtssystem, all das verdanken wir offensichtlich Idioten“, formuliert es Koch betont zynisch.
Man sieht: Obwohl Koch seit sechs Jahren in der Privatwirtschaft tätig ist, CEO beim Baukonzern Bilfinger Berger war, heute im Aufsichtsrat von UBS und Vodafone Deutschland sitzt, schlägt sein Herz nach wie vor für die Politik und für Politiker.

Auch für Angela Merkel? „Wir sind seit vielen Jahren befreundet, wir haben davor aber auch lange miteinander gerauft“, erzählt er, der einst im CDU-internen Machtkampf um die Kanzlerschaft unterlegen ist. Eine kleine Spitze gegen seine große Kontrahentin kann er sich dann doch nicht verkneifen. War Merkels „Wir schaffen das!“ zur Flüchtlingspolitik richtig? Koch betont zwar, dass Deutschlands Rolle in der Krisenbewältigung „unterbewertet“ werde, dass sehr viele Fortschritte – etwa in Libyen – zu wenig Anerkennung finden. Merkel mache handwerklich gute Arbeit, auf ihre emotionale Kompetenz angesprochen, meint Koch: „Nicht jeder hat überall die gleichen Stärken.“

„Wie es uns in Zukunft gehen wird, wird nicht von den Flüchtlingen abhängen“, betont Koch. Der beste Wege, Krisen und Krieg zu verhindern, sei Wohlstand zu schaffen. „Es gibt auf dieser Welt zu viele Menschen, die nichts zu verlieren haben.“ Je schneller die Mehrheit der Menschen Wohlstand erlangt, desto besser werde es uns allen gehen. Dass sich etwa Deutschland als Exportweltmeister generiert, sei „ein Witz auf Rädern“. Natürlich müsste China Exportweltmeister sein, „das bringt auch Wohlstand bei uns“.

Keine Angst vor Digitalisierung

Dass es im Zuge der digitalen Revolution weniger Arbeitsplätze geben wird, glaubt Koch nicht. Während Arbeitsplätze in der Industrie wegfallen, werden in der sozialen Dienstleistung viele Jobs geschaffen werden. „Wir wollen 120 Jahre alt werden, wir brauchen künftig weniger Autos, dafür mehr Tabletten und mehr Leute, die unsere Rollstühle schieben.“

Aufhorchen ließ der frühere CDU-Minister mit seinem Bekenntnis zu einer Wertschöpfungsabgabe, wie sie von SPÖ-Kanzler Christian Kern gefordert wird. Koch teilt die Meinung vieler Skeptiker nicht, dass durch die sogenannte Maschinensteuer Innovation verhindert wird.

Wie es sein kann, dass Österreich von Deutschland wirtschaftlich derart abgehängt werde? Er habe hier in Österreich nicht den Eindruck, dass es uns viel schlechter gehe, mein Koch. Was die eigenen Erfolge und Leistungen angeht, dürfte Österreich offenbar „sehr viel Wert auf Vertraulichkeit legen“. (gh)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Julia Hobsbawm
Home

Hobsbawm: "Netzwerk-Events sind schrecklich"

Julia Hobsbawm ist Professorin für Netzwerken in London. Trotzdem fühlt sie sich oft unwohl bei der Gesprächsanbahnung mit Unbekannten – doch das, meint sie, sei ganz normal.
Andrew Keen
Home

Jetzt beginnt die „Math Men“-Ära

Internetkritiker Andrew Keen hält nichts davon, wenn Länder das Silicon Valley kopieren. Programmieren werde bald so selbstverständlich sein wie Geschirr abwaschen.
Home

Generation Z will keine Verantwortung übernehmen

"Zwischen Pippi Langstrumpf und Nine to Five". "Die Presse", JTI und Suchocki Executive Search diskutierten über die Arbeitnehmer der Zukunft.
Eva Zeglovits
Home

Wie Angst das Wahlverhalten ändert

Sozialwissenschaftlerin Eva Zeglovits spricht über Furcht, die das (Wahl-)Verhalten beeinflussen kann. Und die Mobilisationskraft der Hoffnung.
Home

Rewe rettet junge Hähne und bittet zu Tisch

Viel Prominenz folgte der Einladung von Rewe-Chef Hensel auf die Bischoferalm.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.