Denn sie wussten nicht, was sie da tun . . .

Eine Mischung aus Unwissen, Ignoranz und Naivität der Regierenden dürften die Ursache der aktuellen Migrationskrise in Europa sein.

Historiker künftiger Generationen werden vor einer interessanten Frage stehen: Warum haben es die Regierungen Deutschlands und Österreichs am ersten Wochenende im September 2015 zugelassen, dass Zehntausende Personen aus der arabisch-islamischen Welt, aus Asien und Afrika unkontrolliert und illegal einreisen konnten? Und: Wieso durften dann weit über eine Million nachkommen, zukünftige „Familienzusammenführungen“ gar nicht einberechnet?

Warum hat damals keiner der Verantwortlichen, von Frau Merkel abwärts, die Gefahren und Probleme berücksichtigt, die es zwangsläufig mit sich bringt, wenn man Hunderttausende junge Männer aus gewaltaffinen, frauenfeindlichen und antisemitischen Gesellschaften zu uns bittet? Eine ebenso banale wie vermutlich zutreffende Antwort hat jüngst die Feministin Alice Schwarzer formuliert: „Ich glaube, sie(Merkel, Anm.) war zu Beginn über diesen Flüchtlingsstrom ehrlich entsetzt und hat sich daran erinnert, dass sie eine Christin und ein guter Mensch ist. Das ist sympathisch. Es war aber auch naiv, wie wir inzwischen wissen.“

Vermutlich hat sich weder Merkel noch Faymann den Kopf darüber zerbrochen, wen sie da in ihre jeweiligen Länder gelassen haben. Vermutlich war mangels Erfahrung oder Sachwissen keinem der Entscheidungsbefugten klar, was sie da eigentlich anrichteten. Sie dürften wirklich naiv gehandelt haben. Ein Fall von Torheit der Regierenden. Das ist nur leider die untauglichste und letztlich gefährlichste Art und Weise des Regierens, wie sich dann ja auch spätestens in der Kölner Silvesternacht und der Zeit seither gezeigt hat.

Was (eine) Ursache dieser Naivität ist, hat der Schriftsteller Thomas Kapielski trefflich beschrieben mit der „Einfalt der Deutschen und des Westens insgesamt, zu mutmaßen, alle Welt sei so ungezwungen und lustig wie sie gerade selbst.“ Wenig charmant, aber um so präziser ortet er dabei eine „Mischung aus Dämlichkeit und Anmaßung“. Genau das ist das Problem. In der Komfortzone des europäischen Wohlfahrtsstaats ist über die Jahrzehnte die Vorstellung gewachsen, die Menschen unterschiedlicher Ethnien, Kulturen oder Religionen seien nicht nur gleichwertig, sondern auch gleich in ihren Wertevorstellungen, Lebenszielen und Prioritäten.

Es ist dies eine wirklich herzige Annahme, die nur leider schlicht und ergreifend falsch ist. Sie negiert, dass die Menschen in der islamisch-arabischen Welt zum Beispiel über Frauen, Juden oder Schwule eben völlig anders denken als die Mehrheit der Europäer. Und zwar nicht etwa die Extremisten, sondern durchaus auch Mohammed Normalverbraucher. Wer, und sei es aus Gründen der Naivität, diese Zusammenhänge ignoriert, kann so nur zu einer Migrationspolitik kommen, die im Desaster endet.

Gerade in Deutschland und Österreich dürfte diese Naivität auch der Geschichte dieser Täterländer des Holocaust geschuldet sein. Dass an der Rampe von Auschwitz „Selektion“ betrieben worden ist, macht es uns heute vermutlich nicht eben leichter, die Unterschiedlichkeit unterschiedlicher Ethnien, religiöser Gruppen oder Kulturen zu benennen, gerade da, wo es sich um nicht wünschenswerte Charakteristika handelt. Und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Dazu kommt, vor allem unter den politischen und medialen Eliten in Merkel-Land, „eine feindselige Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft und ihrer politischen Ordnung, bei gleichzeitiger Glorifizierung alles Fremden,“ wie der Psychiater Alexander Meschnig auf achgut.de diagnostiziert hat: „Der Selbsthass und die eigene Bußfertigkeit, die in der Abwertung des Eigenen eine Tugend erblickt, sind so tief in den kulturellen Traditionen unserer protestantisch geprägten Schuldkultur verwurzelt, dass etwa jegliche Kritik an der selbstzerstörerischen Asylpolitik als moralisches Versagen und herzlose Haltung erscheint. Europa, der geografische und politische Raum, in dem die Menschenrechte erfunden wurden, wird so wahrscheinlich an der strikten Einhaltung seiner humanistischen Grundsätze zugrunde gehen.“ Derzeit gibt es nicht allzu viel Grund, das anders zu sehen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2016)

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