Die Gründe des TTIP-Schwenks

A demonstrator holds a sign during a protest against TTIP in Brussels
A demonstrator holds a sign during a protest against TTIP in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Österreich stellt sich an die Spitze jener Länder, die gegen den Pakt zwischen EU und USA opponieren. Nun könnte auch das bereits ausverhandelte Abkommen mit Kanada gekippt werden.

Wien. Der Schwenk der österreichischen Regierungsspitze beim Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP) irritiert sowohl andere EU-Länder als auch die USA. Nachdem sich Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner für einen Verhandlungsstopp beziehungsweise für einen Neustart ausgesprochen hatten, zeigte sich US-Botschafterin Alexa Wesner auf Anfrage der „Presse“ verwundert. „Die Verhandlungsteams der USA und der EU kommen gut voran.“ Auch die EU-Kommission sieht keinen Anlass, die Verhandlungen zu stoppen. Kern sieht indessen auch Schwächen beim ausverhandelten EU-Vertrag mit Kanada (Ceta) und fordert Änderungen.

1 Weshalb lehnt Österreichs Koalition den Pakt mit den USA ab?

Hauptgrund ist die Stimmungslage. In keinem anderen EU-Land ist laut Eurobarometerumfrage die Ablehnung so groß. Über 70 Prozent lehnen TTIP ab. Überraschend war er dann doch, der öffentliche Schwenk von Vizekanzler Mitterlehner, den er zuerst in der „Presse“ vollzogen hat. Intern meinte der ÖVP-Bundeschef dem Vernehmen nach schon vor Monaten, seine Partei werde wegen der Stimmung im Land die Zustimmung zu TTIP nicht durchhalten. Noch Ende 2014 hatte Mitterlehner auf TTIP-Kritik des damaligen Bundeskanzlers, Werner Faymann, gekontert, dies sei populistisch: „Da spielen wir nicht mit.“ Aus dem ÖVP-Regierungsteam ließ Außenminister Sebastian Kurz ausrichten, den Kurs mitzutragen. In Wirtschaftsbund und Industriellenvereinigung ist man mäßig begeistert. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl trägt die Partteilinie insoweit mit, als auch er sagt, die Verhandlungen sollten nach den US-Wahlen neu aufgenommen werden. Mitterlehner will nach diesem Datum einen kompletten Neustart. Der Industrielle und frühere ÖVP-Chef Josef Taus meint auf „Presse“-Anfrage, solche Themen seien nie reine Wirtschaftsthemen losgelöst von der Politik. Das Problem sei, dass Europa nicht mit einer Stimme spreche.

2 Welche heiklen Punkte sind im Handelsabkommen mit den USA enthalten?

Ein umstrittener Punkt ist der Investorenschutz. Er sieht für international agierende Unternehmen die Möglichkeit vor, bei Konflikten mit ihrem Gastland private Schiedsgerichte anzurufen. Solche Klauseln sind in vielen der bisher von der EU-Kommission abgeschlossenen Abkommen mit Drittstaaten enthalten, doch sie waren für Länder gedacht, in denen das Rechtssystem nicht einwandfrei funktioniert. Diese Schiedsgerichte agierten bisher nicht transparent. Über Klagen versuchten bereits Großkonzerne, auf Gesetze des Gastlands Einfluss zu nehmen. Umstritten ist auch die geplante regulatorische Zusammenarbeit mit den USA. Über sie sollen neue Standards und Gesetze vorab gegenseitig abgestimmt werden. Dies könnte zu einer Einflussnahme von außen auch auf die nationale Gesetzgebung führen. Umstritten ist zudem ein weiterer Punkt: Die USA drängen auf eine rasche Öffnung des europäischen Agrarmarkts. Ihre industrielle Landwirtschaft hätte in vielen Sektoren Preisvorteile gegenüber der klein strukturierten, qualitativ höheren Agrarproduktion in Ländern wie Österreich.

3 Wer unterstützt noch TTIP in der EU, wer nicht mehr?

Das Abkommen wird von einer Mehrheit der EU-Staaten, darunter allen osteuropäischen Mitgliedsländern, unterstützt. Nochmitglied Großbritannien war stets einer der vehementesten Befürworter von TTIP. Aber auch die skandinavischen Länder stellen sich hinter das Projekt. Widerstand gibt es nicht nur in Österreich, sondern auch in der mitregierenden SPD in Deutschland sowie durch die französischen Sozialisten unter Staatspräsident François Hollande. Auch die griechische Regierung unter Alexis Tsipras hat sich gegen TTIP ausgesprochen.

4 Welche Unterschiede gibt es zwischen TTIP und Ceta?

Das Abkommen mit Kanada gilt zwar als Blaupause für den Vertrag mit den USA und wird deshalb von TTIP-Gegnern abgelehnt. Der große Unterschied aber ist, dass Ceta bereits ausverhandelt ist – und TTIP noch nicht. Niemand kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen, wie das Verhandlungsergebnis zwischen der EU-Kommission und den USA aussehen wird. In den Verhandlungen mit Kanada konnte die EU-Seite immerhin mehrere Zugeständnisse erwirken. So müssen etwa die hier ebenfalls vorgesehenen Schiedsgerichtsverfahren öffentlich und völlig transparent abgehalten werden. Kanada darf ausdrücklich kein hormonbehandeltes Rindfleisch in die EU liefern. Neue Gesetze in sensiblen Bereichen wie Umwelt, Gesundheit oder Sicherheit dürfen von der Zusammenarbeit nicht beeinflusst werden. Sensible öffentliche Dienste wie etwa die Wasserversorgung sind durch Ceta nicht betroffen.

5 Hat Ceta überhaupt noch Chancen, umgesetzt zu werden?

Das Handelsabkommen mit Kanada wird im Gegensatz zu TTIP von fast allen EU-Regierungen unterstützt. Nachverhandlungen, wie sie Bundeskanzler Christian Kern zuletzt gefordert hat, sind die Ausnahme. Allerdings muss das Abkommen noch von allen 28 Parlamenten ratifiziert werden. Hier ist noch Widerstand zu erwarten. Ein Versuch der EU-Kommission, das Abkommen lediglich durch den Rat der EU und durch das Europäische Parlament abzusegnen, ist am Widerstand mehrerer Regierungen – unter anderem der deutschen – gescheitert.

6 Was steht für die gemeinsame EU-Handelspolitik auf dem Spiel?

Die EU-Kommission ist für die Verhandlung aller Handelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten zuständig. Das zählt zu ihrer Kernkompetenz. Nach TTIP und Ceta sollten eigentlich weitere Handelsabkommen unter anderem mit China und mehreren asiatischen Staaten folgen. Scheitern die Verträge mit den USA und Kanada, wäre die Reputation der EU-Kommission als Verhandlungspartner beschädigt, künftige Abkommen würden erschwert. Letztlich geht es aber um ein globales Wettrennen: Bringt sich Europa nicht ausreichend rasch ein, besteht die Gefahr, dass die USA und andere Industrienationen die Standards im internationalen Handel festlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2016)

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