Die wichtigste Wahl? Wie Eltern eine Schule aussuchen

(c) Clemens Fabry
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Am Montag startet für rund 36.000 Taferlklassler erstmals die Schule. "Die Presse am Sonntag" hat vier Familien gefragt, worauf sie bei der schwierigen Wahl der passenden Volksschule geachtet haben. Gespräche über multikulturelle Klassen, christliche Traditionen, Frontalunterricht und Elitenbildung.

Für die Kinder heißt es nur noch einmal schlafen: Dann dürfen die exakt 35.725 Taferlklassler in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland stolz ihre Schultüte in die Hand nehmen und erstmals als Schulanfänger in ihre Klasse spazieren. Eine Woche später werden es ihnen die 48.092 Sechsjährigen im Westen gleich machen. Der erste Schultag ist ein bedeutendes Ereignis für die Kinder. Die weitreichendere Entscheidung haben ihre Eltern aber schon davor getroffen: die Wahl der passende Volksschule.

Auf dem Land ist diese Entscheidung noch immer verhältnismäßig einfach. Meist wird das Kind – wie alle anderen auch – in die örtliche Volksschule geschickt. In Städten und insbesondere in Wien ist das anders. Dort messen die Eltern der Schulwahlfrage eine immer größere Bedeutung bei. Früh, oft bereits vor dem dritten Geburtstag des Kindes, begeben sie sich auf die Suche nach einer Volksschule. Ist das einmal entschieden, wird meist auch noch nach der passende Klassenlehrerin gesucht. Die Eltern recherchieren online, befragen Absolventen und pilgern zu den Tagen der offenen Tür. Denn die Volksschule in der Stadt ist schon lang keine Einheitsschule mehr. Das vielfältige Angebot macht es nicht immer einfach: Soll es eine öffentliche oder lieber eine Privatschule sein? Eine Halbtags- oder Ganztagsschule? Montessori oder Drill? „Diese Fragen nehmen nicht alle Eltern gleich wichtig“, sagt Bildungspsychologin Christine Spiel.

Vor allem gebildete Eltern setzen sich mit der Schulwahlfrage intensiver auseinander. Für sie ist die Wahl der Volksschule längst zu einer Art ersten Weichenstellung für die Bildungslaufbahn des Kindes geworden. „Das ist mit ein Grund, weshalb die Bildungsschere weiter aufgeht“, sagt Spiel und plädiert für Gelassenheit: „Das Gute ist ja, dass es nicht die einzig richtige Schule für ein Kind gibt.“ Der „Presse am Sonntag“ haben vier Familien erzählt, wie sie die Schule für ihr Kind gewählt haben.

Übermotiviertes Personal und solide Bodenhaftung

Robin Lumsden (39) kann die Entscheidung, dass seine Tochter Olivia in die Campusschule Donaufeld in Floridsdorf gehen wird, genau begründen: Zu 30 Prozent habe es damit zu tun, dass es sich um eine Campusschule handle, also um einen Standort mit mehreren Schulen und viel Raum für Bewegung. Zu 20 Prozent liege es am ganztägigen Unterricht. Für die übrigen 50 Prozent habe die Direktorin gesorgt.

„Nach dem Vortrag der Direktorin wussten wir, gruselige Lehrer passen nicht zu dieser Schule“, sagt Lumsden. Der erste Eindruck, den er und seine Frau bereits bei der Schulsuche für ihren älteren Sohn, Lukas (acht Jahre alt), gewonnen haben, hätte sich in den vergangenen Jahren bestätigt. „Die Lehrer arbeiten viel – auch in den Ferien. Sie sind geradezu übermotiviert“, sagt der Rechtsanwalt und Generalkonsul von Jamaika. Die Motivation zeige sich deutlich in der pädagogischen Arbeit. Sie sei offen und innovativ. Das war Lumsden wichtig, denn er ist kein Fan von Frontalunterricht. „Permanenter Frontalunterricht führt zwingend zu permanenter Langeweile“, ist er überzeugt. In Olivias neuer Schule gibt es viel Projektunterricht. „Hier haben die Lehrer verstanden, dass es nicht nur um die auditive Wahrnehmung geht.“

Muße für die Suche. Die Volksschulsuche hat bei Familie Lumsden eineinhalb Jahre gedauert. Die Eltern besuchten fünf Schulen. Vorab haben sie sich auf Homepages, in Onlineforen und bei Absolventen informiert. Ein Aufwand, der, wie Lumsden weiß, nicht von allen Eltern betrieben wird: „Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob jemand die Möglichkeit und Muße hat, sich für die Schulwahl zu interessieren. Da gibt es leider einen Zusammenhang zwischen Bildungsschicht und Schulauswahl.“ Die Eltern an der Campusschule Donaufeld seien jedenfalls sehr engagiert. Das fordere auch die Schule ein.

In eine Privatschule wollte Lumsden seine Tochter aber bewusst nicht schicken. „Von Elitebildung im Volksschulalter halte ich nichts. Ich schätze die solide Bodenhaftung.“ Außerdem sei das öffentliche Schulsystem „nicht so schlecht, wie man es redet“.

Bei der Familie Lumsden läuft bereits die nächste Schulsuche – jene nach einem Gymnasium für den achtjährigen Sohn. Das sei „eine wichtige strategische Entscheidung“. Wobei es Lumsden für „gesellschaftlich fahrlässig“ hält, dass die Richtungsentscheidung zwischen Neuer Mittelschule und Gymnasium schon in diesem jungen Alter getroffen werden muss.

Christliche Werte, Leistung und "ein System, das ich kenne"

Eine Schule soll Werte vermitteln. Das war Gregor Theiser wichtig, als die Suche nach einer geeigneten Institution begann. Sein Sohn Maximillian sollte mit christlichen Werten, Festen und Riten aufwachsen. Dass die katholische Privatschule am Judenplatz den Glauben lebe, aber nicht indoktriniere, gefällt Theiser gut. „Es sind auch Andersgläubige an der Schule, das mag ich“, sagt er. Erst vor drei Jahren zog die Familie von Hongkong nach Wien. „Meine Frau ist Chinesin. Auch deshalb ist es mir wichtig, dass die Schule die österreichische Kultur vermittelt“, sagt Theiser. Zwar wäre auch eine internationale Schule infrage gekommen, aber die Eltern waren sich schnell einig, dass die Schule im ersten Wiener Gemeindebezirk die richtige sei – auch, weil dort die deutsche Sprache eine größere Rolle spiele und die Kinder mit ihrer Mutter ohnehin Chinesisch sprechen. Schließlich sahen sich die Eltern nur diese Schule an und waren überzeugt. Maximillian ist nun schon ihr drittes Kind, das dort startet.

450 Euro pro Kind, pro Monat. „Die Schule ist pädagogisch top“, erzählt der 39-jährige Rohstoffhändler. „Es gibt viel Zuspruch, die Lehrer und die Direktorin nehmen sich Zeit für die Kinder.“ Die Kosten von rund 450 Euro monatlich seien angemessen: Immerhin seien die Mahlzeiten und die Nachmittagsbetreuung für fünf Tage inbegriffen. Nachmittags könnten die Kinder zwischen vielen Aktivitäten wählen, sogar Fechtkurse gebe es.

Leistung ist wesentlich. Bei der Schulsuche vertreten die meisten Eltern ähnliche Standpunkte, wenn es um gewisse Kriterien geht. Zu hitzigen Diskussionen führt aber stets die Frage, wie sehr die Leistung bei Volksschülern im Mittelpunkt stehen soll. Die katholische Schule am Judenplatz hat in dieser Frage ein klares Profil: Das Ziel sei, den Kindern eine Ausbildung auf hohem Niveau zukommen zu lassen. Erleichtert wird das durch die Aufnahmeprüfung. „Wahrscheinlich ist es schwierig, aufgenommen zu werden“, vermutet Maximillians Vater. Die Kinder müssen bei dem Vorstellungsgespräch etwa eine Geschichte nacherzählen und kleine Rechnungen machen. Dadurch gebe es kaum Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen. Die Frage, die in Wien viele Eltern beschäftigt – wie viele Kinder mit Migrationshintergrund eine Schule besuchen –, sei aber in seiner Familie kein Thema gewesen. Generell sei die Elternschaft in der Schule eher international.

Keine verhaltensauffälligen Schüler. Ein Vorteil bei der Schulwahl sei gewesen, dass die Familie in der Nähe wohnt. Die Entscheidung für eine Privatschule fiel aber nicht, weil die Eltern den öffentlichen Schulen generell misstrauten. Damit hätten sie sich gar nicht wirklich auseinandergesetzt, erzählt der Vater. „Ich wollte die Kinder nicht in ein System geben, das ich selbst nicht kenne. Ich selbst war auch in einer katholischen Privatschule.“ Durch die größeren Kinder wisse er auch, dass die anderen Eltern generell sehr angenehm seien. Man würde gut kommunizieren, wenn es etwa einen Konflikt gebe. Aber das würde kaum passieren, weil an der Schule eigentlich keine verhaltensauffälligen Kinder seien.

Freie Nachmittage und unbedingt ein Herr Lehrer

Ganztagsschulen sind im Trend – aber so gar nicht nach dem Geschmack von Daria (41) und Thomas Hejze (46). Die beiden haben für ihre Tochter, Katharina, bewusst eine Halbtagsschule, die täglich spätestens um 13 Uhr endet, gewählt. Den Nachmittag soll Katharina nämlich lieber mit ihren Omas oder ihrer Mutter verbringen. „Eine Halbtagsschule im Umkreis zu finden ist gar nicht mehr so einfach. Unsere ist mittlerweile schon eine der wenigen“, sagt Daria Hejze.

Mit „unserer“ Schule meint Hejze die Volksschule Prandaugasse im 22. Wiener Gemeindebezirk. Katharina wird diese klassische öffentliche Volksschule, also quasi die Schule ums Eck, ab morgen, Montag, besuchen. Für die Sechsjährige selbst war die Schulwahl einfach: „Da, wo mein Bruder hingeht, da gehe ich auch hin“, stand für sie fest. Für ihre Eltern war das kein Automatismus – auch wenn die Suche nach der richtigen Volksschule beim dritten Kind natürlich einfacher, ja fast Routine, gewesen sei. „Beim ersten Kind ist die Schulsuche etwas ganz Aufregendes. Da überlegt man sich 100.000 Sachen“, sagt Daria Hejze, die selbst als Chemielehrerin an einer berufsbildenden Privatschule unterrichtet. Beim dritten Kind hätten sie und ihr Mann, ein Chemieingenieur, aber schon ganz genau gewusst, was sie wollen: nämlich vor allem eine passende Lehrperson für ihre Tochter. Das ist in Katharinas Fall keine Lehrerin, sondern ein „Herr Lehrer“. „Männer unterrichten anders als Frauen, sie sind in gewissen Bereichen dynamischer und risikofreudiger. Sie neigen dazu, forscher zu fordern.“ Das gefällt den Hejzes. Außerdem werde Katharina in ihrer Schullaufbahn ohnehin „noch genug Lehrerinnen haben“.

Auf eine bestimmte pädagogische Richtung hat sich Hejze nicht festgelegt: „Es ist nicht wichtig, ob ein Lehrer frontal unterrichtet oder sich Montessori verschreibt. Hauptsache, die Lehrperson steht dahinter.“ Alles andere würden Kinder schnell durchschauen.

„Elitetouch muss nicht sein.“ Obwohl Daria Hejze selbst in einer Privatschule unterrichtet, hat sie bei ihren Kindern auf das öffentliche Schulwesen vertraut. „Die öffentlichen Schulen haben meine Erwartungen einfach besser erfüllt.“ Eine stadtbekannte Eliteschule sei sowieso nicht infrage gekommen. „Der Elitetouch muss nicht sein.“ Außerdem sei so etwas auch eine finanzielle Frage. „Wenn du das einem Kind bietest, dann solltest du es auch den anderen ermöglichen. Das muss man sich erst einmal leisten können“, sagt Hejze.

Dass in der öffentlichen Volksschule in Wien Schüler aus den unterschiedlichsten Ländern und sozialen Milieus aufeinandertreffen, stört Hejze nicht. „Ich habe bei meinem älteren Sohn, dessen Schule sich in einer Gegend mit vielen Sozialbauten befand, nicht den Eindruck gehabt, dass er gelitten hätte.“ Im Gegenteil: „In einer multikulturellen Gesellschaft ist es kein Nachteil, die Erfahrung gemacht zu haben.“ Außerdem sei in solchen Schulen vieles entspannter: „Hier gibt es den Druck, bestimmtes Spielzeug oder Gewand zu besitzen, glücklicherweise nicht.“

Eigenes Lerntempo, Bio-Essen und kein Druck

Einfach hat sich Familie Gehl die Entscheidung nicht gemacht: Um die richtige Schule für Felix zu finden, führten seine Eltern viele Gespräche mit anderen Eltern, Lehrern und Direktoren. Und wählten schließlich, was am Beginn der Suche eigentlich keine Option war: eine Waldorfschule. Genauer gesagt die Waldorfschule Wien-West in Hietzing, die bis zur internationalen Matura führt. „Die Entscheidung ist gewachsen“, erzählt Verena Gehl. „Die Schule hat uns einfach positiv überrascht, sie ist ganz anders als die Regelschulen.“

Dabei wollen die Gehls keinesfalls schlecht über Lehrer und Direktoren an öffentlichen Schulen reden. Diese seien häufig sehr engagiert, würden aber zu oft durch die engen Strukturen gebremst: „Das System macht es den Lehrern schwer, individuell auf die Kinder einzugehen, das haben sie uns selbst gesagt. Da so viele Kinder in einer Klasse sind, müssen sie auf Konformität achten“, erzählt Richard Gehl. Das sei bei der Waldorfschule ganz anders. Hier dürfe jedes Kind so sein, wie es ist, jedes sein eigenes Lerntempo haben. Es gebe viel individuelle Betreuung und wenn nötig auch Einzelkurse.

Kein Fleisch. „Wir hatten selbst diese Vorurteile, dass man seinen Namen tanzen muss und so weiter. Aber so ist es nicht“, erzählt die Mutter, die selbst eine Regelschule besuchte und anschließend Betriebswirtschaft studierte. Das Konzept der Eurythmie und des bewegten Lernens erprobten die Eltern selbst – das sei durchaus herausfordernd gewesen. Die Schule habe einen großen Park und liege nahe dem Lainzer Tiergarten: „Für Buben wie unseren, die sich viel bewegen wollen, ist das schön.“ Vor allem ist Felix' Eltern wichtig, dass mit Spaß gelernt wird und die Gemeinschaft eine große Rolle spielt, denn Felix sei ein Einzelkind. Die Eltern könnten jederzeit zum Essen in die Schulkantine kommen und mitessen. Dort wird jeden Tag frisch gekocht: bio und ausschließlich vegetarisch.

Mit Noten an sich hätten sie kein Problem, aber dass es stattdessen an der Waldorfschule einen detaillierten Bericht über die Stärken und Schwächen der Kinder gebe, finden die Gehls besser. Monatlich wird die Familie rund 480 Euro Elternbeitrag zahlen. Für weniger betuchte Eltern gibt es Vergünstigungen. „Uns gefällt der ausgleichende soziale Gedanke, weil wir keine Eliteschule wollen“, sagt der 41-jährige Vater, der in führender Position bei einem internationalen Konzern arbeitet. Dass der Staat die Lehrerkosten nicht trägt, findet er aber empörend.

In Zahlen

35.725

Taferlklassler

starten am Montag in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ihre Schullaufbahn.

48.092

Schulanfänger
gibt es eine Woche später in den übrigen Bundesländern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

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