Kein Sitzenbleiben mehr: ÖVP lehnt "Schnellschuss" ab

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Schmied(c) APA (HERBERT P. OCZERET)
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Ministerin Schmieds Plan stößt auf Skepsis. AHS-Gewerkschafterin Scholik kritisiert einmal mehr die Vorgangsweise der Ministerin. Sie beklagt, dass Schmied vor Gesprächen "zuerst an die Öffentlichkeit" gegangen sei.

WIEN. „Ein populistischer Schnellschuss“: ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon machte am Sonntag im Gespräch mit der „Presse“ kein Hehl daraus, dass er vom jüngsten Vorstoß von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) wenig begeistert ist. Die Schulministerin eckt unmittelbar vor dem Beginn der zweitägigen Regierungsklausur am Montag in Salzburg mit ihrem Plan, das Wiederholen von Klassen noch in dieser Legislaturperiode abzuschaffen, erneut mit einem Reformvorhaben beim Koalitionspartner an.

„Wir sind es langsam leid, dass wir permanent zu so populistischen Ausflügen Stellung beziehen sollen“, beklagte Amon. „Zu sagen, wir schaffen das Repetieren ab, ist zu einfach“, betonte er. Die ÖVP sei bereit, sich „konstruktiv“ einzubringen. Im Regierungspakt sei eine „Reduktion“ der Klassenwiederholungen vorgesehen. Aber die Unterrichtsministerin müsse ein Gesamtkonzept für eine Schulreform auf den Tisch legen.

„Haben gewichtigere Probleme“

Auch der Zweite Nationalratspräsident und Chef der Beamtengewerkschaft, Fritz Neugebauer (ÖVP), reagierte in der ORF-Sendung „Hohes Haus“ mit deutlichen Vorbehalten auf Schmieds Vorstoß: „Wir haben wahrlich gewichtigere Probleme im Schulwesen.“

Schmied hatte in der „ZiB 1“ am Samstag angekündigt, sie wolle noch in dieser Legislaturperiode eine Lösung, um das Sitzenbleiben abzuschaffen. Dieses sei nicht nur pädagogisch fragwürdig, sondern auch „wahnsinnig teuer“, argumentierte sie. Eine Arbeitsgruppe in ihrem Ressort soll nun Vorschläge ausarbeiten. Die Arbeiterkammer hatte zuletzt die Kosten auf 900 Millionen Euro geschätzt. Allein heuer müssen rund 36.000 Schüler eine Klasse wiederholen.

Skeptisch bezüglich einer völligen Abschaffung des Sitzenbleibens äußert sich auch die Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, Eva Scholik. „Die Diskussion ist mir einfach zu einseitig“, meinte sie im „Presse“-Gespräch. In manchen Fällen sei das Wiederholen einer Klasse für einen Schüler „sinnvoll“. Bei der ganzen Debatte müsse der Schüler im Mittelpunkt stehen, „nicht wirtschaftliche Fragen“.

„Bewährtes Frühwarnsystem“

Sie verweist darauf, dass Pädagogen schon jetzt zu vermeiden versuchten, dass Schüler eine Klasse wiederholen müssen, indem man Förderangebote mache. Allerdings seien die finanziellen Möglichkeiten dafür begrenzt. Außerdem komme verstärkt das „Frühwarnsystem“ zum Einsatz, wenn schlechte Noten drohen. „Dieses Frühwarnsystem hat sich im AHS-Bereich bewährt“, bilanziert Scholik.

Grundsätzlich kritisiert die AHS-Gewerkschafterin einmal mehr die Vorgangsweise der Ministerin. Sie beklagt, dass Schmied auch mit den Plänen zur Abschaffung des Sitzenbleibens vor Gesprächen „zuerst an die Öffentlichkeit“ gegangen sei.

Die Regierungsklausur wird nun mit Argusaugen verfolgt. Die Lehrervertreter sind kampfbereit. Und vielleicht noch um eine Spur verärgerter als von Februar bis April dieses Jahres, als Schmied die Unterrichtsverpflichtung erhöhen wollte. Damals haben die Lehrergewerkschafter die beiden zusätzlichen Stunden nicht nur mit Streikaktionen, sondern auch durch ein „Solidarpaket“ abgewendet. Man verzichtete auf verschiedene Zulagen, es gibt nun mehr kostenlose Supplierstunden. Insgesamt 180 Millionen Euro kann das Unterrichtsressort damit einsparen. Jahr für Jahr. Scholik: „Wir konnten damals nicht ahnen, dass uns dieses Thema ein halbes Jahr später wieder aufgetischt wird.“

In der Vorwoche erklärte Bundeskanzler Werner Faymann, es sei ein Fehler gewesen, dass er bei den zusätzlichen Unterrichtsstunden Schmied nicht gegen die Lehrer unterstützt habe. Die Ministerin selbst hat bereits im August einen neuen Anlauf zur Verlängerung der Unterrichtszeit angekündigt und sich auf ein gemeinsames Papier der Regierung berufen. Im Gegenzug soll ein neues Dienst- und Besoldungsrecht den Junglehrern – bei gleichbleibender Lebensverdienstsumme – höhere Anfangsgehälter bescheren.

„Ministerin redet nicht mit uns“

Scholik will hier nicht mitmachen, auch wenn der Zusatzunterricht nicht die Lehrer im alten Gehaltsschema treffen sollte. Denn letztendlich wäre es eine Arbeitsausweitung für die Jungen – und das trotz des Solidarpakets vom Frühjahr. Jürgen Rainer, ÖGB-Sprecher der BMHS-Lehrer, weist darauf hin, dass das angebliche Regierungspapier unter Verschluss gehalten wird. Schmied veröffentliche nur ausgewählte Passagen.

Die Lehrervertreter werfen Schmied vor allem vor, dass sie mit ihren Plänen stets an die Öffentlichkeit gehe, aber nicht das direkte Gespräch suche. Seit der letzten Verhandlungsrunde im April habe es keinen Termin gegeben. Rainer sucht seit Schmieds Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren um ein Informationsgespräch an, um die Vorschläge seiner Lehrerschaft zur Weiterentwicklung des Schulwesens zu erläutern. „Aber sie redet nicht mit uns.“

Scholik vermutet sogar System dahinter. So habe die Ministerin die neuesten OECD-Daten als „Vorspiel zu den Verhandlungen zum Dienstrecht“ präsentiert. Und dann noch deutlicher: „Man bemüht die Studie, um Dinge in den Raum zu stellen und den Lehrern die Schneid abzukaufen.“ Die OECD-Zahlen, nach denen die Lehrerleistung von 1995 bis 2007 gesunken sei, seien nämlich absolut falsch.

Vielmehr wurden bestimmte Lehrerstunden – so die Klassenvorstandsstunde und die Kustodiate – aus dem Stundenkanon herausgenommen; diese werden nun mit geringfügigen Zulagen honoriert. Scholik: „Das war ein Trick.“ Damit sinke die Unterrichtsleistung, obwohl die Lehrer mehr arbeiten müssen. Meinung, Seite 27

AUF EINEN BLICK

Schulreform. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) will als Teil der Schulreformpläne noch in dieser Legislaturperiode das Sitzenbleiben abschaffen. Der Koalitionspartner ÖVP und die AHS-Lehrergewerkschaft äußern bezüglich einer raschen Umsetzung jedoch Skepsis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2009)

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