„Lou“: Die Überfrau, an der Nietzsche scheiterte

Lou
Lou(c) Polyfilm
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Lou Andreas-Salomé lebte gegen alle Konvention, machte Nietzsche rasend, Rilke glücklich, Freud staunen. Ein Film erweckt die erstaunliche Frau zum Leben, quellentreu und doch – vor allem dank „Lou“ Katharina Lorenz – unerhört frisch.

Drei Atheisten anno 1882 in einem Beichtstuhl im Petersdom: Die extravagante erste Begegnung des Philosophen Friedrich mit der jungen Russin Lou erlebt man im Film „Lou Andreas-Salomé“ so wie sie, zum Teil auch im Wortlaut, von den Beteiligten überliefert ist – und dennoch sprüht sie vor Übermut und Überschwang. Nietzsche hat durch seinen Freund Paul Rée viel von dieser freien, an Philosophie interessierten, attraktiven und übermütigen 21-Jährigen gehört, die die von der Gesellschaft festgelegten Grenzen als „Kreidestriche“ abtut. Er giert danach, sie kennenzulernen, und hat auch seinen ersten Satz sorgsam vorbereitet: „Von welchen Sternen sind wir uns hier einander zugefallen?“

Von einem bösen, fand er später zeitweise. Vielleicht hätte er seinen Satz „Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“ – eine Anspielung auf ein Foto mit Lou als Peitsche schwingende Domina, Nietzsche und Rée als vorgespannten Zugpferden – nie geschrieben, wäre er seinem „leibhaftigen Scirocco“ Lou Andreas-Salomé nicht begegnet. Sie wollte mit ihm und Rée in intensiver geistiger „Dreieinigkeit“ zusammenleben, gemeinsam lernen, denken. Der Plan scheiterte, die Männer konnten ihre Gemeinschaft nicht so platonisch empfinden wie sie. Ihre Zurückweisung machte Nietzsche zum geifernden Wüterich.

Leben ohne Gott, ohne Familie

Wer war diese Frau, die als Mädchen schon gegen alle Regeln der glänzenden Sankt Petersburger Gesellschaft verstieß, die die Firmung verweigerte (ohne die man im damaligen Russland nicht einmal einen Pass zur Ausreise bekam), die Reißaus nach Europa nahm, mit dem festen Vorsatz, um ihrer freien geistigen Entwicklung willen nie eine Familie zu gründen, die von der Liebe nichts wissen wollte – bis sie 36-jährig den 21-jährigen Rainer Maria Rilke traf? Wer war diese Vielreisende, Vielschreibende und Psychoanalytikerin der ersten Stunde, die bis zu ihrem Tod 1937 von berühmten Männern bewundert und meist auch geliebt wurde, vom später wieder verstoßenen Rilke, der sie in Gedichten verewigte, über Frank Wedekind bis zu Sigmund Freud, der sie als „klassischen Narzissen“ analysierte? Der erste Spielfilm der deutschen Regisseurin Cordula Kablitz-Post zeigt sie als Frau, die nach Freiheit lechzt und zugleich in den Männern nach ihrem verstorbenen Vater sucht und nach dem verlorenen Gott ihrer Kindheit. Als 18-Jährige sucht sie Ersatz im Unterricht bei einem brillanten protestantischen Geistlichen – der sie aber bald mit einem Heiratsantrag schockiert.

In seiner klugen, einfühlsamen Machart erinnert der Film an Maria Schraders Stefan-Zweig-Verfilmung „Vor der Morgenröte“. Durch Salomés Lebenserinnerungen, ihren Roman „Ruth“, ihre Briefe sowie die Texte ihrer Verehrer weiß man viel über ihr Leben. Der Film bleibt auch im Wortlaut der Dialoge nah an diesen alten Quellen und lässt sie trotzdem erstaunlich frisch wirken. Peter Simonischek ist in einer Minirolle als zärtlicher alter General zu sehen, Petra Morzé gibt die kühle, an der rebellischen Tochter resignierende Mutter. Fabelhaft spielt Nicole Heesters die alte Frau, die einem jungen Germanisten ihr Leben erzählt – und sich von ihm auch die Frage gefallen lassen muss, ob es richtig war, zugunsten ihres Intellekts ihre Gefühle so zu unterdrücken. Das Kraftzentrum des ausgezeichnet besetzten Films ist aber Katharina Lorenz als junge Lou, die im Film verblüffend an ein Foto der „echten“ jungen Lou erinnert. So lebendig lässt sie diese wirken, wie man es vielen heute Lebenden nur wünschen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2016)

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