Fische, Gips und Seifenblasen: Alchimie bei der Ars Electronica

 Hier dient der Maler als Pinsel: Der in Belgrad geborene Künstler Dragan Ilić lässt sich in der Performance „Roboaction(s)“ an einem Roboter namens Kuka fixieren, der ihn über die Leinwand bewegt.
Hier dient der Maler als Pinsel: Der in Belgrad geborene Künstler Dragan Ilić lässt sich in der Performance „Roboaction(s)“ an einem Roboter namens Kuka fixieren, der ihn über die Leinwand bewegt.(c) Ars Electronica
  • Drucken

„Radical Atoms“ sollen zwischen Daten und Materie vermitteln, meint Hiroshi Ishii. So vage diese Grundthese ist, das Linzer Festival findet heuer auf mannigfaltige Weise zurück zum Angreifbaren. Und den Geist in den Maschinen.

Steine und Sand, Wasser und leere Plastikflaschen: Über die spiralförmigen Rutschen, mit denen die Linzer Post einst Pakete – und mit ihnen wohl oft Freude und/oder Information – sortiert hatte, rollte und plätscherte rohe, sinnlose Materie, begleitet von ebenso sinnlosem Dröhnen. „Mene, mene, tekel, upharsin“ hieß die von FM Einheit, bekannt als Schlagwerker der Einstürzenden Neubauten, arrangierte Performance, und auch, wenn man kein Menetekel daraus lesen konnte, die Köpfe der Ars Electronica haben wohlweislich den alten FM Einheit, den Hephaistos des Post-Punk-Olymps, für die Eröffnung verpflichtet.

Denn beim traditionsreichen Linzer Festival erinnert man heuer wieder einmal daran, dass der Mensch nicht von Daten allein lebt. „Radical Atoms“ lautet das Motto, das Hiroshi Ishii vom MIT Media Lab, Organisator der gleichnamigen Ausstellung im Ars Electronica Center, beim Symposion mit großem Pathos erklärte: Hier seien die „frozen atoms“, dort die unberührbaren, aber flexiblen Pixel. Dazwischen sieht Ishii ein drittes Material: Die „radical atoms“ sollen zwischen Information und Materie vermitteln.

„Die Zukunft endet nie“

Mit Atomen, wie heutige Physiker und Chemiker sie beschreiben, haben diese Entitäten offenbar nur indirekt zu tun: Ishii scheint sich eher Bauklötzchen oder Billardkugeln vorzustellen. Höchst robuste, haptische Gebilde, nicht angekränkelt durch Unschärfe oder ähnliche Quantenphänomene. Er will sie jedenfalls „tanzen“ lassen, und damit meint er keine wilde Brown'sche Bewegung, sondern geordnete, kontrollierte Tänze im Dienste der Kunst und Wissenschaft. Und natürlich der Zukunft, denn „The future is never ending“, wie er sagt, und „True vision is everlasting“.

Na dann – auf in die Welt der „alchimists of our time“, denn so lautet der Untertitel des Festivals, das sich zum zweiten Mal in der riesigen Post City abspielt, dem ehemaligen Logistikzentrum der Linzer Post, dem ein kurzes künstlerisches Zweitleben beschieden ist, bevor es abgerissen wird. Sagten wir Leben? Ja, bewusst, denn in vielen der Arbeiten verschwimmt die Grenze zwischen Anorganischem und Organischem. So spielt ein „Chemobrionic Garden“ mit dem Effekt, der schon Thomas Manns „Doktor Faustus“ verstörte: dass Wasserglas verblüffend lebendig aussehende Strukturen hervorbringt. Im einst als Schutzbunker errichteten, schön unheimlichen Keller sieht man die „Anatomy of Frozen Genesis“: Fotos von in Eis aufbewahrten toten Armen, die aufeinander zeigen, als wollten sie die von Michelangelo gezeigte Schöpfung radikal negieren. Sich selbst als Pinsel verwendet Drago Ilić in „Roboaction(s)“: Er lässt sich an eine malende Apparatur schnallen und über die Leinwand bewegen, man denkt schaudernd an Kafkas „In der Strafkolonie“.

Kommunikation von Schwärmen

Unter den praktizierenden Wissenschaftlern, die sich zwei Etagen höher präsentieren, ist Joe Davies, dem man gern glauben möchte, dass er unter dem Titel „Astrobiological Horticulture“ wirklich uralte Archaebakterien wiederbelebt, und, weniger schrullig, Thomas Schmickl vom Institut für Zoologie der Uni Graz. Er forscht über Schwärme von Tieren und die Gruppenentscheidungen, die sie treffen, meist über eine existenzielle Frage: Wohin gehen bzw. schwimmen bzw. fliegen wir? Konkret untersucht er Bienen und Zebrafische, beiden setzt er einen Roboter (der natürlich nicht ausschaut wie ein Roboter) ins Gehege, der die Entscheidung beeinflusst oder gar steuert. Die beiden Roboter werden elektronisch verbunden, und man untersucht, ob so der Bienenschwarm mit dem Fischschwarm kommunizieren kann, natürlich ohne dass eines der Individuen (Atome?) die leiseste Ahnung davon hat.

Wesentlich bei solchen Untersuchungen ist immer, ob und wie sich ein Gleichgewicht einstellt. Zu diesem Thema zeigt die deutsche Gruppe Quadrature die in ihrer Schlichtheit geniale Arbeit „Masses“: Zwei Steine liegen auf einer kreisförmigen Platte, die nur im Mittelpunkt fixiert ist, also in alle Richtungen kippen kann und das auch beständig tut. Die Maschine ist offensichtlich darauf programmiert, mittels Feedbacks nach Balance zu streben.

Es gelingt nicht, die Platte kommt und kommt nicht zur Ruhe; und man ertappt sich dabei, in der Apparatur einen ständig frustrierten Willen zu orten und geradezu Mitleid mit ihr zu spüren. So mächtig ist unser Wunsch, auch dort Geist und Leben zu sehen, wo sie nicht sind.

Am besten auch in unserer Kleidung. Deren Material soll ja, wie man uns heute schon im Sportgeschäft erklärt, nicht nur wasserabweisend, sondern auch intelligent sein. In dieser Richtung sieht man auch in der Post City einiges, nicht nur der „Kinematics Dress“ schaut sehr nach selbstbewusstem Plastik à la Fifties aus. Daneben werken diverse 3-D-Drucker vor sich hin, ein riesiges Gerät produziert ebensolche Torsi der Laokoon-Gruppe, es staubt und riecht . . .

Nach Gips? Wie riecht denn Gips? Wie riecht Mehl? Und warum muss das Biogebäck so arg teuer sein? Solche zutiefst materiellen Fragen stellt man sich, bevor man über die Installation „Recycling Yantra“ stolpert: ein aus Elektronikschrott gebildetes tantrisches Symbol, das „remover of desire“ bedeuten und dazu beitragen soll, uns aus „den Zwängen der Konsumkultur zu befreien“. Ein paar Meter weiter liest man: „1000 Würmer fressen täglich den Biomüll einer Person.“

Verwandlungen überall. Auch in Thom Kublis Installation „Black Hole Horizon“, die zwar nichts mit Schwarzen Löchern zu tun hat, aber effizient apokalyptisches Röhren aus Nebelhörnern in Seifenblasen verwandelt, Klang in (höchst unbeständige) Form. Ebenfalls im tiefsten Keller verspricht „Aquaphoneia“ die „Transmutation von Stimme in Materie“: Man spricht in einen Schalltrichter, Kabel führen zu Apparaturen wie aus dem organisch-chemischen Praktikum, diese zerlegen, so liest man, „Wörter in Phoneme, in Phonoteilchen, und in die unsichtbaren Quanten der Stille.“ So soll es sein.

Die Ars Electronica dauert bis 12. September. Am Samstag findet am Donauufer beim Brucknerhaus die Klangwolke statt (Thema heuer: „Fluss des Wissens“), davor, ab 19.45 Uhr, fliegen die Drohnen („Spaxels“) der Ars Electronica durch den Donaupark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.