Wifo-Chef Badelt: „Keine Tabus bei Steuerdiskussion“

Seit Anfang September ist Christoph Badelt Chef des Wifo. Zuvor war der 65-jährige Ökonom 13 Jahre lang Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien.
Seit Anfang September ist Christoph Badelt Chef des Wifo. Zuvor war der 65-jährige Ökonom 13 Jahre lang Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der neue Wifo-Chef Christoph Badelt über das Steuersystem, sinnvolle Mehrausgaben und Ceta.

Die Presse: Ihr Vorgänger, Karl Aiginger, plädiert seit Jahren für eine Entlastung des Faktors Arbeit und im Gegenzug für eine stärkere Belastung von Energie. Bundeskanzler Kern hat nun angekündigt, diesen Vorschlag aufgreifen zu wollen. Eine gute Idee?

Christoph Badelt: Von der Richtung her ist das eine gute Idee. Darüber sind sich alle einig. Man muss aber natürlich im Detail schauen, welche Effekte man womit erzielen kann und welche Nebenwirkungen es gibt. In Summe soll die Steuerbelastung ja nicht steigen, sondern fallen.


Welches Ausmaß wäre sinnvoll?

Beim Faktor Arbeit ist jede Entlastung sinnvoll. Wobei man sich hier nicht nur die Steuern, sondern vor allem auch die Sozialbeiträge ansehen muss. Bei den Energieabgaben muss man zwei Problematiken bedenken: Einerseits gibt es energieintensive Betriebe, beispielsweise in der Stahl- oder Papierbranche, deren Wettbewerbsfähigkeit man nicht gefährden darf. Und andererseits gibt es den Tanktourismus, weshalb zum Beispiel höhere Steuern auf Diesel sogar zu fallenden Einnahmen führen könnten.


Autofahren würde aber jedenfalls teurer werden?

Jede sinnvolle Steuerreform wird die fossile Energie genauer unter die Lupe nehmen müssen. Sei es bei den direkten Steuern oder den impliziten Subventionen wie dem Pendlerpauschale.


Kanzler Kern hat auch eine andere Steuer als mögliche Gegenfinanzierung in den Mund genommen – die Wertschöpfungsabgabe. Wie stehen Sie dazu?

Die Diskussion über die Wertschöpfungsabgabe leidet unter Zuspitzung und Verkürzung. Wir haben das Problem, dass der Faktor Arbeit zu hoch belastet ist. Und wir haben das Problem, die sozialen Systeme langfristig zu finanzieren. Man wird hier also etwas tun müssen. Die Antwort wird aber nicht nur in einer stärkeren Belastung des Faktors Kapital liegen können. Sondern man muss sich auch überlegen, warum etwa Familienleistungen über Dienstgeberabgaben finanziert werden. Das würde besser ins Steuersystem passen. Außerdem löst die Politik Widerstände aus, wenn sie den Eindruck erweckt, dass sie sich überhaupt keine Gedanken über mehr Effizienz im Umgang mit Steuermitteln macht.


Was heißt das nun konkret für die Wertschöpfungsabgabe?

Man soll auch darüber diskutieren, allerdings im Kontext einer großen Steuerreform, in der es auch um ganz andere Verschiebungen geht und die vor allem mit einer realen steuerlichen Entlastung einhergeht. Bei einer ehrlichen Diskussion soll es keine Tabus geben. Was nicht geht, ist, alles andere gleich zu lassen und nur eine zusätzliche Abgabe einzuführen.


Trifft das auch auf eine Vermögenssteuer zu?

Die Frage, ob bestehende Vermögen aus der Substanz heraus besteuert werden sollen, ist keine ökonomische, sondern eine politisch-normative. Derzeit werden bei uns eigentlich meist die Zuflüsse von Einkommen besteuert. Insofern ist es also konsequent, dass es auch beim Vermögen nur so gemacht wird – wie es ja etwa in Form der Kapitalertragssteuer geschieht. Und die Erbschaftssteuer wurde ja bereits de facto durch die Grunderwerbssteuer eingeführt.


Um die Steuerzahler real zu entlasten, sind Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben notwendig. Wo sollte es diese geben?

Man muss hierbei sicherlich in die Strukturen gehen – etwa den Föderalismus. Hier geht es aber nicht um die föderale Struktur an sich, sondern um die oft unklare Aufgabenverteilung, die Parallelen schafft, und die mangelnde Konsistenz zwischen Entscheider und Zahler. Das wäre ein großer Bereich. Ein zweiter wären die Förderungen. Aber hier muss man sich alles individuell ansehen und nicht mit dem Rasenmäher kürzen. Grundsätzlich liegen die Ideen seit Jahren auf dem Tisch. Das weiß auch jeder Politiker. Ich werde hier jetzt keine großen Neuigkeiten sagen können. Es geht also darum, ob das politische System in der Lage ist, trotz Partikularinteressen einen Erfolg zu erzielen. Gleichzeitig bin ich aber überzeugt, dass es in manchen Bereichen sogar mehr öffentliche Ausgaben braucht.


Welche wären das?

Etwa der Bildungsbereich . . .


. . . Österreich gibt im OECD-Vergleich aber bereits sehr viel pro Schüler aus.

Es gibt natürlich auch in der Bildung Ineffizienzen. Wenn man hier Reformen setzt – etwa eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen mit ausgeprägter innerer Differenzierung, die Spitzenbegabungen massiv fördert und Kinder mit Schwächen individuell unterstützt – dann würde das unter dem Strich zwar mehr kosten, aber auch eine höhere Qualität bringen. Ich verstehe, dass jemand vehement das Gymnasium verteidigt, wenn es berechtigte Sorgen vor einer Nivellierung nach unten gibt.


Wo sonst braucht es mehr Geld?

Etwa bei der Integration von Flüchtlingen. Hier sollte man heute viel mehr Geld in die Hand nehmen – etwa für Deutschkurse und Ausbildung. Sonst wird das auf lange Sicht wesentlich teurer werden.

Sollte man für diese zusätzlichen Ausgaben auch ein höheres Budgetdefizit in Kauf nehmen?

Das hielte ich für gefährlich. Denn man stelle sich einfach die derzeitige Staatsverschuldung bei einem anderen Zinsniveau vor. Eigentlich wäre jetzt auch der richtige Zeitpunkt, um die Stabilität der öffentlichen Finanzen weiter zu erhöhen.


Ein anderes Thema, das jüngst für Diskussionen sorgte, war das Freihandelsabkommen Ceta. Wie sehr brauchen wir solche Abkommen?

Die Kritiker argumentieren, dass es sich wirtschaftlich nicht sehr stark auswirken werde. Blickt man nur auf das Wachstum, dann stimmt diese Analyse. Eine ökonomische Bewertung muss aber umfassender sein. So geht es etwa darum, wer langfristig die Regeln im Welthandel bestimmt. Und hier ist die Gefahr, dass irgendwann die Amerikaner mit den Chinesen die Standards setzen. In Österreich würden vor allem Mittelständler profitieren.


Warum?

Großkonzerne haben viel geringere Probleme, sich auf unterschiedliche Standards einzustellen, etwa Anwälte in den USA zu beschäftigen. Für Mittelständler brächte eine Vereinheitlichung gute Chancen für neue Exporte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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