Wie der 11. September die USA bis heute prägt

Ein neues Symbol: Wo bis 9/11 das World Trade Center stand, erhebt sich heute das One World Trade Center.
Ein neues Symbol: Wo bis 9/11 das World Trade Center stand, erhebt sich heute das One World Trade Center.(c) AFP
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15 Jahre nach den Anschlägen in New York, Washington und Pennsylvania sind die USA so sicher wie kaum zuvor. Doch die Angst im Volk vor neuem Terror ist momentan so groß, wie sie es seit damals nicht mehr war.

Washington. „If you see something, say something“: kein U-Bahnsteig, kein Einkaufszentrum, kein Bahnhof, keine Flughafenhalle in den USA, wo man nicht von einer sonoren Stimme aus dem Lautsprecher und von zahllosen Plakaten dazu angespornt wird, seine nähere Umgebung mit Argwohn zu betrachten. Was nach dem terroristischen Massenmord an 2977 Menschen in den Morgenstunden des 11. September 2001 von den New Yorker Verkehrsbetrieben als griffiger Slogan für bürgerliche Wachsamkeit formuliert wurde, ist eineinhalb Jahrzehnte später so etwas wie das inoffizielle Motto der Vereinigten Staaten geworden.

Denn 9/11 nimmt heute in der kollektiven Wahrnehmung der Amerikaner einen ungebrochen zentralen Platz ein. 91 Prozent können sich heute laut Umfrage des Pew Research Center noch genau daran erinnern, wo sie waren, als zwei von al-Qaida-Terroristen gesteuerte Flugzeuge die Türme des World Trade Centers in New York zerstörten, ein weiteres eine Fassade des Pentagon außerhalb von Washington zertrümmerte und ein viertes auf einem Feld in Pennsylvania zerschellte. Hätten beherzte Passagiere die Jihadisten nicht überwältigt, wären entweder das Weiße Haus oder die Gebäude des Kongresses auf Capitol Hill von diesem Flug 93 zerstört worden.

„Zum ersten Mal verwundbar“

Jeder sechste Amerikaner denkt zumindest einmal wöchentlich an 9/11, ergab eine weitere Meinungsumfrage im Auftrag von CNN. Jeder fünfte US-Bürger hat Ground Zero, den Standort des World Trade Centers nahe der Wall Street in Manhattan, bereits besucht.

Viel ist seit diesem schwarzen Dienstag vor 15 Jahren darüber geschrieben und geredet worden, dass Amerikas Charakter sich grundlegend geändert habe. Aus dem unbekümmerten Volk sei eine ängstliche Nation geworden. „Das Gefühl war da, dass unser Heimatland zum ersten Mal wirklich verwundbar ist“, sagte Präsident Barack Obama zum Reporter Steven Brill im Rahmen dessen 21-seitiger Analyse in der aktuellen Ausgabe des Magazins „The Atlantic“.

Diese Verunsicherung ist zwischenzeitlich gesunken. Doch sie hat unter dem Einfluss der Terroranschläge des Islamischen Staates in Paris und Brüssel sowie islamistisch motivierter Massenmorde in amerikanischen Orten wie San Bernardino oder Orlando wieder zugenommen. Heute finden laut der eingangs erwähnten Pew-Umfrage 40 Prozent der Amerikaner, dass die Fähigkeit von Terroristen, einen großen Anschlag in den USA zu verüben, größer sei als am 11. September 2001. Das sind fast doppelt so viele wie unmittelbar nach 9/11, es ist ein Rekordwert. Noch nie seither hatten so viele Amerikaner Angst davor, dass Terroristen erneut massenhaft morden könnten. Besonders besorgt sind republikanische Wähler: 58 Prozent von ihnen fürchten, dass ein terroristischer Großanschlag heute leichter verübt werden könnte als damals.

Teuer erkaufte Sicherheit

Diese Angst ist nicht rational. Die Vereinigten Staaten hätten nach 9/11 rund eine Billion Dollar (888 Milliarden Euro) für den Kampf gegen islamistische Terroristen, radikalisierte Einzeltäter, „schmutzige“ radioaktive Bomben und ähnliche Bedrohungen investiert, gibt Brill in „The Atlantic“ zu bedenken.

Die USA sind dadurch ein wesentlich sichereres Land geworden. Laut Datenbank der New America Foundation, eines politischen Forschungsinstituts in Washington, töteten Jihadisten seit 9/11 auf US-Boden 94 Menschen. Jeder dieser Tode ist tragisch. Doch selbst die beiden jüngsten islamistischen Terroranschläge in San Bernardino und Orlando, bei denen 63 Menschen starben, waren keine Massenmorde vom apokalyptischen Ausmaß der Flugzeuganschläge. Und sie hätten mit einem strengeren Waffenrecht vermutlich verhindert werden können.

Wer ist Edward Snowden?

Doch der vom Islamischen Staat neu entfachte weltweite Terrorismus hat Amerikas kollektive Wahrnehmung der Bedrohungen wieder so ausgerichtet, wie sie sich nach 9/11 auf dem Höhepunkt des „Kriegs gegen den Terror“ darstellte. 49 Prozent der Amerikaner sagen heute wie im Jahr 2004, dass die Antiterrormaßnahmen nicht weit genug gehen, um das Land zu schützen. Nur 33 Prozent finden, die Bürgerrechte würden durch die erweiterten Befugnisse der Sicherheitsbehörden eingeschränkt (2004 meinten das 29 Prozent).

Der einzige Moment, in dem die Amerikaner in diesen regelmäßigen Pew-Umfragen ihre bürgerlichen Freiheiten höher bewerteten als ihre Sicherheit, war nach den NSA-Datenenthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013. Von ihm redet heute in den USA fast niemand mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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