American Football: Colin Kaepernicks Kniefall

NFL: Preseason-San Francisco 49ers at San Diego Chargers
NFL: Preseason-San Francisco 49ers at San Diego Chargers(c) USA Today Sports (Orlando Jorge Ramirez)
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Zu Beginn der Footballsaison in den USA sorgt nichts für mehr Furore als der demonstrative Protest des Quarterbacks der San Francisco 49ers gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Wenige Tage vor dem Auftakt der Footballsaison hat sich selbst der Präsident, der oberste Sportfan des Landes mit einem Faible für Basketball und Golf, bei seinem Asien-Trip in die Kontroverse um Colin Kaepernick eingeschaltet. Der Verfassungsrechtler Barack Obama verteidigte den Quarterback – Spielmacher und Hirn – der San Francisco 49ers gegen seine Kritiker und gestand ihm zu, mit seinem Protest ein verfassungsmäßiges Recht auszuüben. „Ich denke, er meint es wirklich ernst. Und wenn nichts anderes dabei herauskommt, so hat er doch die Aufmerksamkeit auf Themen gelenkt, über die wir diskutieren müssen.“

Seit Wochen polarisiert Kaepernick das Land, in dem Sport und die Symbolik des Staates untrennbar miteinander verbunden sind. Das Intonieren der Nationalhymne, gemeinhin mit der rechten Hand am Herz, vor dem Hintergrund der „Stars and Stripes“, des Sternenbanners, der Eid auf die Verfassung, die Überhöhung von Kampf und Spiel – all dies gehört zu den Fixpunkten im patriotischen Ritual vor jeder Sportveranstaltung in den USA. Bei Großereignissen wie dem Super Bowl wird Stars aus Pop oder Oper dann die besondere Ehre zuteil, „das Land der Freien und die Heimat der Tapferen“ – wie es in der Hymne pathetisch heißt – im Tremolo zu beschwören.

Für viele Patrioten beging Colin Kaepernick ein Sakrileg: Aus Protest gegen den Rassismus und die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, für die Orte wie Ferguson oder Baton Rouge programmatisch stehen, blieb der 28-Jährige mit der wuscheligen Afromähne bei einem Testspiel vor Saisonbeginn gegen die Green Bay Packers bei der Hymne demonstrativ sitzen; in der Folge kniete er sich in einem Match beim Ertönen des Star-Spangled-Banner in San Diego nieder – und trat unter Konservativen, insbesondere jedoch bei Polizisten und Militärs, einen Sturm der Entrüstung los.

Manche Fans der 49ers wünschen ihr früheres Idol zum Teufel, und Donald Trump legte ihm nahe, sich gleich ein anderes Land zu suchen. Kaepernick hatte den republikanischen Präsidentschaftskandidaten zuvor als Rassisten bezeichnet, in seiner Kritik an der politischen Klasse aber auch dessen Rivalin Hillary Clinton nicht ausgespart. Dass ein Sportheld zum Streitobjekt im Wahlkampf wird, kommt selbst in den USA sehr selten vor.


Weiße Adoptiveltern. Colin Kaepernick, der Sohn eines Schwarzen und einer Weißen aus Milwaukee in Wisconsin, ist bei weißen Adoptiveltern in Kalifornien aufgewachsen, wo das Multisporttalent als junger Ersatzquarterback die ruhmreichen 49ers aus San Francisco in der Saison 2012/2013 in den Super Bowl führte. Fünfmal hatte das Team die Trophäe zuvor gewonnen, davon viermal in der goldenen Ära der 1980er-Jahre unter dem legendären Quarterback Joe Montana. Vor drei Jahren scheiterte das Team, in dem einst auch O.J. Simpson alias The Juice, der notorische Sonnyboy mit der dunklen Seite, als Running Back gespielt hatte, nur knapp gegen Baltimore. Im Jahr darauf war im Finale der Western Conference gegen die Seattle Seahawks Endstation, ehe im Vorjahr der Absturz folgte, der in der Degradierung Kaepernicks zum Ersatzmann kulminierte.

Es gäbe gewiss reichlich Gesprächsstoff zu Beginn der 51. NFL-Saison, die am Donnerstag mit dem Match Denver Broncos gegen Carolina Panthers – der Neuauflage des Super Bowl vor sieben Monaten – ihren Lauf nahm. Dass die Broncos heuer ohne ihren Starquarterback Peyton Manning auflaufen, der nach dem Super-Bowl-Triumph – seinem zweiten – seine Karriere beendet hat, damit haben sich die Footballfans längst abgefunden; dass Tom Brady, Mannings langjähriger Konkurrent als Quarterback der New England Patriots und Ehemann des brasilianischen Models Gisele Bündchen, wegen Unsportlichkeit für die ersten vier Spiele gesperrt ist, verkraften seine Anhänger.

Das Milliardenunternehmen NFL tritt in eine neue Phase, mit neuen Köpfen und einem Team an einem neuen Standort. Die Rams aus St. Louis sind nach Los Angeles gezogen, womit die südkalifornische Metropole endlich wieder ein erstklassiges Footballteam beheimatet – und sie könnte weitere Mannschaften anlocken. Gewohnheitsgemäß zählen die Patriots, die Green Bay Packers, die Pittsburgh Steelers und die Seattle Seahawks zum Favoritenkreis. Welcher der Außenseiter kann sich indessen als Überraschungsteam profilieren? In Washington hoffen die Fans endlich auf den Durchbruch der Redskins, um dessen Namen – „Rothäute“ – sich eine Debatte entzündet hat, die beinahe politisch so aufgeladen wie jene um Kaepernick ist.

Vor 20 Jahren hat die NFL einen Spieler wegen eines ähnlichen Vergehens für mehrere Spiele gesperrt. Der Boxchampion Muhammad Ali und die beiden 200-Meter-Sprinter Tommie Smith und Juan Carlos, die bei Olympia 1968 auf dem Siegerpodest mit schwarzen Fäusten für Black Power demonstriert hatten, nutzten den Sport als Plattform für politischen Anliegen. Aus Angst, lukrative Werbeverträge aufs Spiel zu setzen, scheuten Superstars wie Basketballer Michael Jordan später den Konflikt mit Politik und Gesellschaft, was sich zuletzt ein wenig änderte. So setzen etwa LeBron James und Serena Williams ihre Star-Power gezielt ein; auch Footballer und Fußballerinnen wie Megan Rapinoe haben sich Kaepernicks Protest angeschlossen.

Fakten

Mit dem Spiel des Titelträgers Denver Broncos gegen Carolina Panthers (21:20) wurde die Saison am Donnerstag eröffnet. Es ist das erste Mal in der 51-jährigen Geschichte der NFL, dass die Spielzeit mit einem Super-Bowl-Rematch begonnen hat.

Insgesamt vier Spiele werden außerhalb der USA ausgetragen. Zweimal wird im Londoner Wembley-Stadion gespielt, (Jaguars – Colts, 2.10., Bengals – Redskins, 30.10.), erstmals in der Rugby-Heimstätte Twickenham (Rams – Giants, 23.10.). Zudem gibt es nach elf Jahren Pause eine Partie in Mexico City (Raiders – Texans, 21.11.).

Die Play-offs starten am 8. und 9. Januar; der Super Bowl 51 wird am 5. Februar in Houston ausgetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2016)

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