Guttmann: „In den USA gab es eine politische Revolution!“

 Linksruck in den USA? Möglich: „Es kommt die Abschaffung der Arbeit, wie wir sie kennen. Viele Leute haben es aufgegeben, Arbeit zu suchen“, sagt Martin Guttmann, hier im Semperdepot. Der Künstler leitet die Fotoklasse an der Wiener Akademie der bildenden Künste.
Linksruck in den USA? Möglich: „Es kommt die Abschaffung der Arbeit, wie wir sie kennen. Viele Leute haben es aufgegeben, Arbeit zu suchen“, sagt Martin Guttmann, hier im Semperdepot. Der Künstler leitet die Fotoklasse an der Wiener Akademie der bildenden Künste. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Martin Guttmann vom irisch-israelischen Künstlerduo Clegg & Guttmann über die Ausstellung „Biedermeier reanimated“ in Wien und die Wahlen in Amerika. Immer mehr US-Demokraten nennen sich Sozialisten, so Guttmann.

Die Presse: Sie leben seit zehn Jahren in Europa, haben aber auch enge Beziehungen zu den USA, speziell zu New York, wo Sie studiert haben. Wie schätzen Sie die US-Politik ein, wer gewinnt die Wahl?

Martin Guttmann: Fast sicher Hillary Clinton. Aber sie bekommt keine Schonfrist. Die Republikaner gönnen ihr keine Atempause.


Immerhin wäre sie die erste Frau an der Spitze der Vereinigten Staaten.

Das spielt keine große Rolle. Sie ist eine Repräsentantin des Establishments und ihren Geldgebern verpflichtet, und das sind viele. Sie kann am System nichts ändern.


Donald Trump vielleicht?

Seit 1968 war es keine Option, gegen das Establishment zu sein. Die Leute waren Republikaner oder Demokraten, links oder rechts. Jetzt ist es eine Option, dagegen zu sein. Trump ist gegen das Establishment.


Als reicher Mann ist er doch Teil davon.

Trump steht als Entrepreneur für sich selbst. Er sagt, das politische System sei korrupt. Die großen Firmen beherrschen die Außenpolitik, sie schaffen nur mehr Jobs in China, sie haben zu viel Einfluss. Trump ist auch gegen die Wall Street. Kleine Leute seien verloren, sagt er. Trumps stärkste Unterstützer sind weiße Männer ohne bessere Bildung, die das Gefühl haben, keiner schere sich um sie.


Vielleicht ist das wahr, allerdings schert sich um Afroamerikaner wohl auch keiner.

Kann sein. Trump ist ein Zeichen dafür geworden, ob Leute Bildung genossen haben oder nicht. Er ist ein starker sozialer Spaltpilz. In guter Gesellschaft kann man nicht sagen, dass man für Trump ist.


Wen würden Sie wählen?

Ich hätte Bernie Sanders gewählt. Er ist der 1968er schlechthin, das war er immer.


Was ist so toll an 1968?

Es war eine große Veränderung in der Gesellschaft. Wussten Sie, dass heute über 60 Prozent der Leute, die die Demokraten unterstützen, sich Sozialisten nennen? Das ist eine große politische Revolution. Das hat es seit den 1930er-Jahren nicht mehr gegeben.


Es gibt sehr viele arme Leute in den USA, andererseits hat sich die Wirtschaft offenbar von der Finanzkrise erholt.

Ist das so? Vielleicht. Dass sich so viele Leute zu Sozialismus und Nationalismus bekennen, ist jedenfalls ungewöhnlich. Nationalismus ist nicht typisch für Amerika. Aber: Die Arbeitslosenrate gibt eben nicht die ganze Wahrheit wieder. Sie gibt Auskunft über jene, die Arbeit suchen. Aber viele suchen keine Arbeit mehr, sie haben aufgegeben.


Woran liegt das?

Wir hatten die Computer- und die Handy-Revolution. Nun kommt tatsächlich die Abschaffung der Arbeit, wie wir sie kennen.


Glauben Sie an Revolutionen?

Ich habe an Revolutionen geglaubt, seit dem Arabischen Frühling bin ich skeptisch.


„Biedermeier reanimated“ heißt die Ausstellung von Ihnen und Ihrem Partner Michael Clegg im Wiener Geymüllerschlössel, einer Dependance bzw. Expositur des Museums für angewandte Kunst (MAK). Was bedeutet Biedermeier für Sie?

Ich betrachtete das Biedermeier von einem modernistischen Standpunkt. Ich dachte, das sind Möbel etc. Inzwischen habe ich Interviews mit den Biedermeier-Experten des MAK geführt – und jetzt sehe ich Biedermeier als eine Revolution der Mittelklasse. Ich kenne mich auch besser mit Biedermeier aus, aber es gibt mehr Fragen als Antworten. So verstehe ich die Abgrenzung zwischen Biedermeier und Romantik nicht. Warum ist Beethoven Wiener Klassik oder Wegbereiter der Romantik und Schubert Biedermeier?


Konnte Ihnen das erklärt werden?

Nicht wirklich. Mir scheint, Biedermeier ist ein synthetischer Begriff für eine Person der Mittelklasse, die daheim sitzt und sich nicht um die Welt kümmert. Wenige Leute möchten als Biedermeier-Typen bezeichnet werden. Biedermeier sind immer die anderen. Als kunsthistorische Kategorie möchte ich diesen Begriff nicht allzu ernst nehmen.


Biedermeier hat auch etwas damit zu tun, dass Leute mit Handwerk oder mit Fabriken viel Geld verdient haben. Damit haben sie sich einen neuen Lifestyle zugelegt, dabei eiferten sie dem Adel nach.

Ja. Und: Biedermeier ist der Beginn von Konsum. Die Produktion wurde teilweise billiger durch Mechanisierung und Automatisierung. Leute der Mittelklasse konnten sich modische Kleider und schöne Möbel leisten. Baumwolle wurde durch Maschinen billiger, daher konnte man aufwendige Toiletten günstiger herstellen. Was die Bürger mit dem Adel teilten, war, dass der repräsentative Teil der Wohnung teuer, der private Teil gemütlicher ausgestattet wurde.


Was bedeutet denn das Biedermeier für Amerikaner?

Ich glaube, jeder der ein bisschen Bescheid weiß über europäische Geschichte, kennt den Begriff. Man weiß vom Wiener Kongress 1815 und von Metternichs Polizeistaat. Interessanterweise gab es damals auch eine Renaissance des Mittelalters, die Leute kleideten sich im Mittelalterstil.


Was zeigen Sie in Ihrer Ausstellung?

Wir machen eine Art von Tableaux vivants. Wir kombinieren Exponate aus dem MAK im Geymüllerschlössel, inszenieren, beleuchten sie und bringen dazu die Interviews mit den Experten des Museums in Kurzfassung, damit ein vielschichtiges Bild dieser Zeit entsteht, die sich meiner Ansicht nach nicht auf Möbel oder Malerei reduzieren lässt und auch chronologisch nicht eng auf die Periode 1815 bis 1848 beschränkt werden sollte.

ZUR PERSON

Martin Guttmann. Geboren 1957 in Jerusalem. Studierte mit dem gleichaltrigen Michael Clegg aus Dublin ab 1978 bei Konzeptkünstler Joseph Kosuth an der School of Visual Arts in New York. Seit 1980 bilden die zwei das auf Installationen spezialisierte Duo Clegg & Guttmann, sie stellten auf der Documenta und der Biennale von Venedig aus, u. a. mit David Hockney, Gottfried Helnwein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)


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