Trinkreif: „Schmerzbefreit trinken“

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Bloß keine falsche Ehrfurcht, meinen die Weinhändler Trinkreif. Über Wiener Kellerfunde, Sammlerwitwen und Stemmeisen.

Geköpft wird ja nicht jeden Freitag. Es reicht schon ein einzelner Durchschnittsdienstag zwischendurch. Und wenn man keinen Säbel für Champagner zu Hause hat, nimmt man eben einen Korkenzieher zur Hand und sich eine Flasche reifen Weins zur Brust. Es kann und soll nämlich ruhig irgendein Tag sein, an dem man spontan eine Flasche gereiften und etwas kostspieligeren Weins öffnet – so sieht das zumindest der Weinhändler Clemens Riedl, der sich in dieser Hinsicht als „schmerzbefreiten Trinker“ bezeichnet. Mit seiner Beherztheit hilft Riedl vielen auf die Sprünge, die bisher nicht zu seiner Zielgruppe gehörten. Nämlich all jenen, die vor einem alten Bordeaux oder auch einem Wachauer Riesling aus den 1990er-Jahren stets zu viel Ehrfurcht hatten, um die Flasche letztendlich tatsächlich zu entkorken. Wer aber immer auf „den idealen Zeitpunkt“ wartet, riskiert, dass der Wein womöglich in einem Anflug von Altersstarrsinn keine Lust mehr hat, getrunken zu werden, wenn es dereinst, etwa zur Matura des Ungeborenen, so weit ist. Seinen Geschäftspartner Markus Inzinger hat Clemens Riedl erst dazu bringen müssen, reife Weine nicht nur zu lagern, sondern auch zu trinken. Er habe eine Riesenliste an Wahnsinnsjahrgängen gehabt, „aber die Weine eigentlich alle nicht gekannt“, sagt Inzinger über sein früheres Trinkverhalten.

Kellerräumungen. Riedl und Inzinger, im Hauptberuf in anderen Gefielden unterwegs, feiern mit ihrem Weinhandel Trinkreif dieser Tage das Ein-Jahr-Jubiläum. Ihre Firma hat damit deutlich weniger Jahre auf dem Buckel als die hauptsächlich gereiften Weine, die in ihrem Wiener Keller liegen und die sie aus unterschiedlichsten Quellen beziehen. Etwa von Witwen verblichener Weinsammler, die die zwei Herren von Trinkreif kontaktieren und eine gewissenhafte Kellerräumung beantragen. „Witwen sind besser als Kinder“, sagt Riedl. „Witwen wollen in erster Linie, dass es den gehätschelten Weinen weiterhin gut geht, Kinder wollen vor allem möglichst viel Geld dafür.“ Warum verkaufen Menschen Weine wieder? „Geldmangel ist bei Weitem nicht der häufigste Grund“, erzählt Markus Inzinger. „Platzmangel schon öfter.“ Und Clemens Riedl meint: „Oft sind es die Frauen, die ihren Männern verbieten, neue Weine zu kaufen, weil kein Platz mehr ist.“

Wer mit alten Weinen handelt, sollte ein paar beliebte Tricks kennen – nicht, um sie an-, sondern um sie abzuwenden. „Ein Herr hatte mehr als ein Jahrzehnt lang alle Bordeaux Premier Crus subskribiert gehabt (in Zwölferkisten, Anm.) und in einem perfekten Keller gelagert. Wir haben dann gefragt, ob er ein Stemmeisen hat. Er hat fast zu weinen angefangen und gemeint, er dachte, eine verschlossene Kiste sei mehr wert“, erzählt Riedl. „Stimmt schon, aber wir müssen ja wissen, ob wirklich Wein drin ist, und zwar der richtige.“ Der Sammler selbst war nicht verdächtig – er hatte die Kiste jahrelang nicht geöffnet –, wohl aber jemand in der Lieferungskette.

Mit ihrem Weinhandel – aktuell 7000 Flaschen von 2000 Weinen, der älteste von 1934 – haben Trinkreif eine Nische besetzt. Winzer wollen ihre Weine schon aus logistischen Gründen meist eher bald loswerden, und die wenigsten Restaurants haben die Lagerkapazitäten und das Kapital für eine große Jahrgangstiefe. Trinkreif kaufen ihre gereiften Weine vor allem von privaten Sammlern – „da haben wir natürlich schon einige kuriose Situationen erlebt“ –, haben das Reifenlassen somit ausgelagert und die Weine „trinkreif“ parat. Und wie gelagert wurde, sehen sich Markus Inzinger und Clemens Riedl genau an, achten auf den Kontext der Flaschen. „Wir kennen so gut wie jeden Herkunftskeller“, sagt Inzinger. „Am besten ist es für uns, wenn wir sehen, in einem Keller ist seit Ewigkeiten nichts bewegt worden“, ergänzt Riedl. Heißt: gern Staub und Spinnweben. „Dann ist die Flaschenqualität ziemlich sicher hoch. Wenn uns aber jemand eine einzelne Flasche anbietet, die hochpoliert ist, könnte es sein, dass die seit zehn Jahren im Wohnzimmer gestanden ist, die Sonne täglich draufgeschienen hat und die Putzfrau sie jede Woche abgestaubt hat.“

Gut versteckt. In den Kellern jener Menschen, die den Weinhändlern Flaschen verkaufen wollen, erleben Riedl und Inzinger wie erwähnt so einiges. Etwa Geheimtüren hinter Regalen, durch die es in weitere und wiederum weitere Kellerräume geht, gut versteckt vor der Ehefrau oder Spionen, man weiß es nicht. Oder eine riesige Korkenziehersammlung. Und natürlich manch positive Überraschung. Ein Herr, Neffe eines betagten Sammlers, hatte den beiden offenbar nur Fotos von Regalfächern geschickt, zu denen er sich nicht hätte bücken müssen. Die eigentlichen Schätze fand Clemens Riedl dann in Bodennähe, vom Neffen kommentiert mit „Da unten ist nur das alte Zeug, das der Onkel so geschenkt bekommen hat“: „Also angeblicher Dreck wie Vega Sicilia aus den 1980er-Jahren.“

Ein Knackpunkt sei in den Ankaufverhandlungen (es geht schließlich mitunter um Weine mit drei Nullen im Preis) stets die Frage, ob Trinkreif bloß Händler oder auch Liebhaber sind. „Die Leute haben ja viel investiert, nicht nur Geld, trennen sich also ungern von den Weinen. Die wollen natürlich, dass die Flaschen in gute Hände kommen, dass die Sammlung geschätzt wird und dass nicht jemand damit nur ein schnelles Geschäft machen will“, sagt Riedl. Was beiden wichtig ist: Trinkreif sieht sich nicht als Teil des Markts von Wein als Wertanlage. Sie wollen, dass Weine getrunken werden. Was vor allem Clemens Riedls Trinkgewohnheiten, Stichwort Durchschnittsdienstag, schon erahnen ließen.

Tipp

Trinkreif. Markus Inzinger und Clemens Riedl verkaufen gereifte Weine, derzeit ab Jahrgang 1934. Die Liste kann man auf trinkreif.at anfordern.

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