Attacke auf Ungarn: Eine Steilvorlage für Viktor Orbán

Viktor Orbán und Jean Asselborn.
Viktor Orbán und Jean Asselborn.(c) AFP
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Luxemburgs Außenminister, Jean Asselborn, regt den Ausschluss Ungarns aus der EU an. Die Budapester Regierung schießt wütend zurück - und hofft auf Auftrieb für ihr Flüchtlingsreferendum.

Budapest. Es war ein neuer Höhepunkt der Kritik am ungarischen Premier, Viktor Orbán: Man solle Ungarn wegen Orbáns Flüchtlingspolitik notfalls aus der EU werfen, forderte nun der Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, in einem Interview mit der deutschen Zeitung „Die Welt“. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge“, sagte Asselborn. „Hier werden Menschen, die vor dem Krieg fliehen, fast schlimmer behandelt als wilde Tiere.“ Und Asselborn verteidigte seine Forderung in der "Süddeutschen Zeitung". "Es geht nicht gegen ein Volk oder gegen ein Land", sagte Asselborn der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch). Die EU sei in größter Gefahr.

Amtskollege Péter Szijjártó, der Außenminister Ungarns, konterte am Dienstag: Asselborn sei „eine unseriöse Figur“ aus dem „Land der Steueroptimierung“, ein „klassischer Nihilist“, der seit Jahren daran arbeite, die Sicherheit und Kultur Europas zu zerstören. Die ungarische Regierung nahm die Steilvorlage Asselborns dankend an, um Stimmung für ein Referendum über Brüsseler Flüchtlingsquoten am 2. Oktober zu machen. Dieses Vorhaben sah anfangs aus wie einer der genialsten oder – je nach Sichtweise – hinterhältigsten Schachzüge des Premiers. Denn das Referendum schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Umfragen zufolge halten 80Prozent der Ungarn die Flüchtlingskrise für eine große Gefahr, ein Sieg und somit ein innenpolitischer Triumph scheinen gewiss. Orbán würde der EU damit zudem – nach dem Brexit-Referendum in England – einen weiteren empfindlichen Stoß versetzen und die politischen Spielräume für Ungarn auf der europäischen Bühne vergrößern. Er kann dann nämlich sagen: Flüchtlingsquoten sind undemokratisch, weil niemand sie will. Zumindest in Ungarn.

Jobbik für Rücktritt Orbáns

In Ungarn ist die Stimmung zunehmend desinteressiert. So sehr, dass Meinungsforscher András Pulai vom – zugegeben eher links orientierten – Publicus-Institut eine kühne Prognose wagt. Das Referendum, so meint er, werde an zu geringer Beteiligung scheitern. Dabei hat sein eigenes Institut im August eine Mehrheit von 54 Prozent „sicheren Wählern“ gemessen. Dazu kommen mehr als 20 Prozent, die nach eigenem Bekunden „wahrscheinlich“ zur Abstimmung kommen. „Aber historisch wurden solche Teilnahmeabsichten immer zu hoch angesetzt“, meint er. Es gebe eine Art Zwang bei den Menschen, bei Meinungsumfragen zu einer solchen Frage Ja zu sagen. Am Ende seien es dann „zehn bis 15 Prozent weniger“. Insofern prognostiziert Pulai eine Wahlbeteiligung von „40 bis 45 Prozent“. Damit wäre das Referendum ungültig.

Dass da etwas dran sein könnte, ist an der Intensität spürbar, mit der die Regierung derzeit die Propagandatrommel rührt. Flächendeckend und schreierisch heißt es zu den Brüsseler Quotenplänen allenthalben: „Riskieren wir es nicht! Stimmt mit Nein!“ Auch bei der radikal-rechten Jobbik-Partei, die sich neuerdings gemäßigter gibt, scheint man etwas zu wittern. Parteichef Gábor Vona forderte am Montag, Orbán solle zurücktreten, wenn das Referendum scheitere. Denn dann habe der Regierungschef „das Land in eine Schlacht geführt und verloren“. Natürlich sinkt die Chance eines Erfolgs, wenn die Jobbik-Wähler zu Hause bleiben – sie machen einen erheblichen Teil derer aus, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind.

Wie ist es aber möglich, dass 80 Prozent der Wähler zwar keine Flüchtlinge wollen, ihnen aber dennoch das Flüchtlingsreferendum nur ein müdes Gähnen entlockt? Die von der EU einst angedachten Flüchtlingsquoten sind mittlerweile in Brüssel vom Tisch. Es ist nicht durchsetzbar. Das wissen auch die ungarischen Wähler: Das Referendum ist überflüssig, wendet sich gegen eine Gefahr, die nicht mehr existiert. Die Publicus-Daten zeigen, dass dieselben Wähler, die die Flüchtlinge nicht wollen, gleichzeitig meinen, es werde sowieso keine Zwangsansiedlungen geben (68 Prozent). 57 Prozent denken, dass die Regierung eine Angstkampagne in der Flüchtlingsfrage betreibt.

Probleme bei Bildungspolitik

Sollte das Referendum scheitern, kann das innenpolitische Folgen haben. Die Flüchtlingskrise ist mittlerweile der einzige Bereich, in dem die Regierung massive Zustimmung findet. An der innenpolitischen Front – besonders in der Bildungs- und Gesundheitspolitik – befindet sie sich seit gut einem Jahr in der Defensive. Noch scheinen die Zustimmungswerte der Regierung solide (mehr als 40 Prozent würden sie derzeit wieder wählen), aber gewählt wird erst 2018.

AUF EINEN BLICK

Luxemburgs Außenminister,Jean Asselborn, forderte in einem Interview mit der „Welt“ einen Ausschluss Ungarns aus der EU wegen dessen Flüchtlingspolitik: „Wer Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2016)

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