Deutschland sucht neue Koalition

Verstimmte Großkoalitionäre in Berlin: Angela Merkel, Sigmar Gabriel (l.) und Horst Seehofer haben sich derzeit nicht viel zu sagen. Und wenn doch, dann nichts Nettes.
Verstimmte Großkoalitionäre in Berlin: Angela Merkel, Sigmar Gabriel (l.) und Horst Seehofer haben sich derzeit nicht viel zu sagen. Und wenn doch, dann nichts Nettes. (c) APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Angela Merkel hat ihre Fühler längst zu den Grünen ausgestreckt. Die SPD spekuliert auf Rot-Rot-Grün - und auch die CSU hätte nichts gegen ein solches Bündnis. Wenn auch aus einem anderen Grund.

Berlin. Angela Merkel, Horst Seehofer, Sigmar Gabriel. Am Sonntag wollten die Spitzen von CDU, CSU und SPD bei einem Treffen im Kanzleramt Einigkeit demonstrieren und die Große Koalition nach den jüngsten Querelen um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin wieder handlungsfähig erscheinen lassen. Mit den guten Vorsätzen war es allerdings nicht weit her, sie hielten nur bis Dienstag.

Dieses Mal war es Merkel, die den Koalitionsfrieden störte. In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ richtete sie zunächst der Schwesterpartei in Bayern aus, dass sie für eine Obergrenze nicht zur Verfügung steht. Und dann warf sie dem Berliner Bürgermeister, Michael Müller, vor, sich in der Asylpolitik aus der Verantwortung zu stehlen. Dessen Partei, die SPD, war nicht gerade erfreut. Denn in Berlin wird am Sonntag gewählt.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl befindet sich die Große Koalition in einem fragilen Zustand. Ihre Tage scheinen gezählt. Die Union hat sich über Merkels „Wir schaffen das“ zerstritten. Und die SPD versucht sich auf Kosten der geschwächten Kanzlerin zu profilieren.

Kurz sah die CSU in der SPD eine Verbündete, nachdem Gabriel das Wort Obergrenze in den Mund genommen hatte. Allerdings gibt es Unterschiede in der Definition. „Uns geht es um eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa und nicht um eine feste Obergrenze für Schutzsuchende in Deutschland“, stellte SPD-Vizechef Ralf Stegner am Sonntagabend bei „Anne Will“ klar. Das ist etwas anderes, als Seehofer unter Obergrenze versteht. Es blieb der Eindruck: Alle gegen Merkel. Und jeder gegen jeden.

Die gespaltenen Grünen

Längst haben alle Beteiligten begonnen, für die Zeit nach der Großen Koalition zu planen. Merkel etwa flirtet mit den Grünen. Ende August war Winfried Kretschmann, Chef der Kiwi-Koalition in Baden-Württemberg, bei ihr zu Gast. Er gilt als Kandidat für das Bundespräsidentenamt (gewählt wird im Februar) und als Verbinder zur Union. Einige Tage nach dem Treffen sprach sich Kretschmann, ein marktfreundlicher Grüner, dann für Schwarz-Grün im Bund aus. „Es geht darum, Freiheit und Individualismus zu erhalten und zugleich dem wachsenden Bedürfnis nach Sicherheit gerecht zu werden“, argumentierte er im „Spiegel“.

Im Gegensatz zu Gabriel und Seehofer wird Merkel von den Grünen derzeit verschont – von der Türkei-Frage einmal abgesehen. Man rechnet der Kanzlerin die Flüchtlingspolitik hoch an. Außerdem gibt es neben Baden-Württemberg auch in Hessen einen schwarz-grünen Feldversuch, der beide Seiten im Hinblick auf eine mögliche Verbindung im Bund zuversichtlich stimmt.

Am linken Flügel der Grünen sind die Bedenken zuletzt jedoch wieder gewachsen. Nicht wegen Merkel, sondern wegen der CSU. „Reine rechtspopulistische Stimmungsmache gegen alles Fremde“, nannte Grünen-Chefin Simone Peter ein Papier, in dem sich Seehofers Partei für eine scharfe, „christlich-abendländisch“ orientierte Einwanderungspolitik inklusive Burkaverbot ausspricht. Offenbar wolle die CSU die bayrische AfD werden. Und eine solche Union empfehle sich „ganz und gar nicht als Partnerin für grüne Politik“.

Die linken Grünen forcieren eher Rot-Rot-Grün, also eine Koalition mit der SPD und der Linkspartei. Gabriel ist dem natürlich nicht abgeneigt – es würde seine Kanzlerchancen drastisch erhöhen. Und auch die CSU hätte dem Vernehmen nichts gegen ein linkes Bündnis, da ihr eigentliches Ziel nicht die Bundestagswahl 2017 ist, sondern die bayrische Landtagswahl 2018. Und gegen eine rot-rot-grüne Bundesregierung ließe sich die absolute Mehrheit leichter verteidigen.

Kein Zweierbündnis mehr in Berlin

In Berlin jedenfalls ist das Ende der Großen Koalition bereits besiegelt. Nicht nur, weil anhaltender Streit beide Seiten zermürbt hat. Sondern, weil man nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus am Sonntag keine gemeinsame Mehrheit mehr haben wird. In den Umfragen kam die SPD um Bürgermeister Michael Müller zuletzt auf 21 bis 24 Prozent, die CDU konstant auf 19. Dahinter liegen die Grünen mit 15 bis 16 Prozent, gefolgt von der Linkspartei und der AfD mit jeweils 14 bis 15 und der FDP mit fünf Prozent.

Nicht nur Rot-Schwarz – überhaupt kein Zweierbündnis hätte demnach eine Mehrheit. Müller wird seine Wunschkoalition mit den Grünen also um eine dritte Partei erweitern müssen. Und da er mit der rechtspopulistischen AfD nicht will und mit der CDU nicht mehr kann, bleibt nur noch die Linkspartei übrig. Rot-Rot-Grün gibt es bereits in Thüringen, aber dort stellt die Linkspartei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten.

Und auch in Mecklenburg-Vorpommern könnte die Große Koalition demnächst Geschichte sein. Die SPD, die bei der Landtagswahl vor einer Woche Stimmen verloren, aber Platz eins verteidigt hat, verhandelt derzeit zweigleisig, mit der CDU und der Linkspartei. „Es gibt für uns keinerlei Festlegung“, sagte Ministerpräsident Erwin Sellering. Open end also. Er kennt beide Partner gut. In den vergangenen zehn Jahren hat die SPD mit der Union regiert, davor mit der Linkspartei.

Rot-Rot wäre eine deutsche Rarität. Man findet sie derzeit nur noch in Brandenburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2016)

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