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The Who: Mods oder Rocker? Alle in der Teenage-Wüste!

KONZERT ´THE WHO´ : DALTREY/TOWNSHEND
KONZERT ´THE WHO´ : DALTREY/TOWNSHEND(c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
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Es geht um Stil, gewiss. Aber bei der aktuellen Tournee der großen britischen Band The Who, wohl ihrer letzten, geht es vor allem um die Rührung im Rückblick. So bildeten Songs aus „Quadrophenia“ ein Herzstück des Programms.

„It's all about style“, stand auf dem T-Shirt eines Besuchers. Und auch wenn dieser, mollig, tätowiert, kurzhosig, gar nicht aussah wie ein Mod – der Spruch würde als Motto der Mods durchgehen, jener Jugendbewegung, die besessen von Stil war, vom Äußeren, von der Schale. Die Kids, die im England der Sixties diese Bewegung konstituierten, waren großteils Unterschichtkinder, und sie hatten keine Lust, sich als solche zu fühlen, also trugen sie Anzüge wie die Bosse, nur noch perfekter. Schnell und schlau, adrett und aufstiegswillig, verachteten sie die Nachbarkids, die diesen Stil nicht beherrschten, nicht beherrschen wollten: die Rocker.

The Who waren zu Beginn eine, wenn nicht die Mod-Band: Ihr „The Kids Are Alright“ wurde zur Hymne der Mods, ihr Album „Quadrophenia“ (1972) war ein wehmütiger Abgesang auf diese Bewegung. Wenn Pete Townshend, Chef und Chefideologe der Who, nun, mit 71, bei der wohl letzten Tournee der Band mit brüchiger Stimme „I'm One“, ein zentrales Lied aus „Quadrophenia“, singt, an der Mundharmonika begleitet von seinem Sänger Roger Daltrey, ist das ein Abgesang auf einen Abgesang, doppelt wehmütig. „I should be 16“, sagte Townshend davor in der Stadthalle, aber wer wollte das nicht sein?

„The Kids Are Alright“: Zu müde

Nein, 16 waren die meisten in der Stadthalle gewiss nicht, obwohl das Publikum erstaunlich jung war. Auffälliger war, dass man kaum Mods sah, den einen oder anderen Parka, öfter das blau-weiß-rote Mod Target, aber vor allem Trachten, die viel eher ins Lager der Rocker passen würden als ins Camp der Mods.

Wie geht das? Nun, die Who brachten gegen Ende der höchst modernen Sixties, als der postmoderne Slogan „Anything goes“ gerade noch nicht die Popkultur befallen hatte, ein im Nachhinein ziemlich postmodern anmutendes Crossover zustande. Zwischen Mods und Rockern nämlich. Ihr Frühwerk (bis ca. 1969) fing die manische Unrast der Mods perfekt ein; ihr Album „Who's Next“ (1971), auf dessen Cover die Bandmitglieder recht rockermäßig um einen Stein posieren, auf den sie offenbar gerade ihr Wasser abgeschlagen haben, gilt zu Recht als Meilenstein des Hardrock. Auch durch das kräftige Pathos, das einem echten Mod wohl suspekt wäre.

Bei dieser Tournee der Who dominiert eindeutig der Hardrock. Gewiss, „My Generation“ müssen sie bringen, aber schon „The Kids Are Alright“, das einzige andere frühe Lied im Programm, klang viel zu langsam, zu behäbig, als hätten Mods vergessen, ihre Pillen einzuwerfen. Es begann schon mit dem trägen „Who Are You“: Daltrey (in einem Outfit, für das er in jedem Mod-Café lebenslängliches Lokalverbot ausfassen würde) rang röhrend nach Ausdruck; Townshend versuchte das, was er noch nie gekonnt hat (und auch nicht können muss), nämlich ein Solo zu spielen; auf Videos sah man, auch nicht ganz geschmackssicher, Bilder der verstorbenen Bandmitglieder Keith Moon (†1978) und John Entwistle (†2002) just hinter den Musikern, die jetzt deren Instrumente bedienen . . .
Es konnte nur besser werden, und es wurde besser. Gut, es kamen noch einige schwer erträgliche Nummern, etwa „Join Together“ (das in etwa den Geist von „Live Is Life“ atmet), aber vor allem die Auszüge aus den beiden großen Konzeptalben der Band begeisterten. Der „Tommy“-Block holperte und stolperte zwar beträchtlich, doch das hat er immer schon getan, und wer will beckmesserisch Einsätze kritisieren, wenn es um einen blinden und tauben Buben geht, der zum Flipperkönig und Massenidol wird? Die „Amazing Journey“ besangen Daltrey und Townshend unisono so innig, dass allen das Herz aufging, und die Kombination aus „See Me Feel Me“ (Ich!) und „Listening to You“ (Ihr!) packt immer. Townshend machte die Windmühle; Zak Starkey drosch seine Trommeln, als sei er der Sohn Keith Moons, nicht Ringo Starrs; Pino Palladino spielte den Bass so behände wie weiland John Entwistle und sah fast so teilnahmslos drein wie dieser.

Für alle: „Won't Get Fooled Again“

Daltrey, dieser Kraftmeier der Stimme, traf nicht immer den richtigen Ton, wenn's wirklich darauf ankommt aber schon: Beim finalen „Love!“-Schrei in „Love Reign O'er Me“, auch in „Baba O'Riley“, wenn der Kämpfer, der da auf einen Krieg – oder eine Revolte, das bleibt offen – zurückblickt, erschüttert ruft: „It's a teenage wasteland! They're all wasted!“

Das war das vorletzte Lied. Im letzten wurde abermals marschiert: „Won't Get Fooled Again“, noch eine Abrechnung mit der sogenannten Jugendrevolution. Townshend hat diesen Song mit 26 geschrieben, er ist so pathetisch, wie man schon mit 30 nicht mehr sein kann. Aber er funktioniert in allen Altersgruppen, das spürte man in der Stadthalle, bei Ex-Mods, Ex-Rockern und Ex-Normalos gleichermaßen. Alle wollen sich nicht mehr narren lassen; alle wissen, dass sie weiter genarrt werden; bis zuletzt.

Es wäre nicht Pete Townshend, hätte er nicht in den allgemeinen Rührungstaumel zum Abschied noch einen tiefen Satz geworfen. „Ich war ein kleiner Bub, als ich all das schrieb“, sagte er: „Ihr bejubelt also den kleinen Buben.“ Das taten wir; der alte Townshend trug den Jubel würdig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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