EU-Gipfel in Bratislava als Signal gegen das Chaos

EU-Ratspräsident Donald Tusk in Bratislava
EU-Ratspräsident Donald Tusk in BratislavaReuters
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Unter Ausschluss Großbritanniens wird über die Zukunft der EU nachgedacht. Ziel: Schadensbegrenzung.

Brüssel. Maastricht, Lissabon, Nizza, Rom – manchen Städten wurde im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die Ehre zuteil, in die Geschichte der europäischen Integration einzugehen. Zu diesem erlauchten Kreis zählt seit dem heutigen Freitag auch Bratislava. Bei der informellen Tagung der 27 Staats- und Regierungschefs der Union in der slowakischen Hauptstadt soll der Bratislava-Prozess eingeleitet werden, dessen Ziel die Erneuerung der EU sei, hieß es in Brüssel im Vorfeld des Gipfeltreffens.

Am Anfang dieses Prozesses steht die Zahl 27: Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU hat die Europapolitik durcheinandergewirbelt. Beim heutigen Gipfel – dem ersten derartigen Treffen unter Ausschluss des Noch-Mitglieds Großbritannien – wollen die europäischen Entscheidungsträger Schadensbegrenzung üben und die unmittelbare Zukunft planen. Paradoxerweise wird der Auslöser der jüngsten europäischen Krise nicht im Mittelpunkt der Gespräche stehen. Über die britische Causa werde erst dann konkret beraten, wenn London formell seinen Austrittsantrag gestellt hat, sagte ein ranghoher EU-Beamter.

Worüber wird also gesprochen werden, wenn nicht über die Briten? Eine Marschrichtung gab bereits Ratspräsident Donald Tusk in seiner Einladung nach Bratislava vor. „Die Bürger Europas wollen wissen, ob die politischen Eliten imstande sind, die Kontrolle über die Ereignisse wiederzuerlangen“, schreibt Tusk in dem fünfseitigen Brief an die Staats- und Regierungschefs. Sein Fazit: Vertrauensbildende Maßnahmen sind das Gebot der Stunde. „Wir müssen den Bürgern beweisen, dass wir imstande sind, chaotische Zustände wie im Jahr 2015 zu verhindern.“ Damit spielt der Ratspräsident auf die teilweise unkontrollierten Migrationsströme im Herbst des Vorjahrs an.

In welche Richtung die Reise gehen soll, deutete auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union an. Zu seinen Prioritäten zählen die Sicherung der bulgarischen Außengrenze (sie soll ab Herbst durch EU-Grenzschützer verstärkt werden) sowie die Einführung eines Online-Registers für Reisende nach Europa. Handlungsfähigkeit demonstrieren will die EU auch auf dem Gebiet der Verteidigung: Zur Diskussion in Bratislava steht ein von Deutschland und Frankreich verfasstes Papier, das unter anderem die Schaffung eines permanenten militärischen Kommandos, Kooperation bei Satellitenaufklärung, Logistik und Forschung und Entwicklung anregt.

Deutsch-französisches Treffen

Apropos Deutschland/Frankreich: Dem Gipfeltreffen in Bratislava ging eine Vielzahl bi- und multilateraler Treffen voraus. Am gestrigen Donnerstag klärten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande ihre Positionen ab. Dass EU-Mitglieder Themen aufs Tapet bringen werden, die ihnen als essenziell erscheinen, wird sich nicht vermeiden lassen. Bundeskanzler Christian Kern kündigte bereits an, über die Türkei sprechen zu wollen. Der griechische Premier, Alexis Tsipras, wiederum organisierte im Vorfeld des Gipfels ein Treffen der südeuropäischen Mitgliedstaaten, um seiner Forderung nach einem Ende der Sparpolitik Nachdruck zu verleihen. Das Treffen in Bratislava dürfte nur der erste von mehreren informellen Gipfeln sein. In Brüssel wird bereits über ein Treffen in Malta Anfang 2017 spekuliert. Maltas Hauptstadt, Valletta, wird also auch die Chance erhalten, in die Geschichte der Europapolitik einzugehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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