Dann wählen wir eben!

HINTERGRUNDGESPR�CH ZU SCHADHAFTEN WAHLKARTEN
HINTERGRUNDGESPR�CH ZU SCHADHAFTEN WAHLKARTEN(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Wenn es SPÖ und ÖVP nur noch darum geht, dem jeweils anderen zu schaden und sich Positionen zu sichern, sollten wir ein Koalitionsende befürworten.

Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Demokratie mit kritischen Medien und einem freien öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender. Dann würden Sie folgenden Text nicht lesen: „Bis in die frühen Morgenstunden verhandelten die beiden Regierungsparteien über die neuen ORF-Direktoren.“ (Erfolglos übrigens.) In Österreich war das in fast allen digitalen Medien Donnerstagfrüh zu lesen. Nur zur Verdeutlichung: Es geht hier um Journalismus und Information. Zwei Parteien feilschen öffentlich über die Zusammensetzung der Führung von Hunderten Journalisten und Gestaltern des TV- und Radioprogramms. Auch wenn wir uns an diese typisch österreichischen Zustände schon gewöhnt zu haben scheinen: Dieser ungenierte parteipolitische Eingriff ist in dieser neuen, wohl unfreiwilligen Offenheit unerträglich.

Da in den vergangenen Tagen so viel von Bananenrepublik die Rede war: Über nicht funktionstüchtige Kuverts und die Abhaltung von Wahlen zu stolpern mag schwer dilettantisch und peinlich sein, einen öffentlichen politischen Kuhhandel über Parteikandidaten für die vielleicht wichtigsten Medienjobs des Landes zu betreiben, passt hingegen ins viel strapazierte Bild eines zutiefst morschen Landes. Die verhandelnden Herrschaften helfen auch mit, das offensichtliche Ziel der politischen Lemminge zu erreichen: Heinz-Christian Strache ins Kanzleramt zu hieven. Dieser profitiert bei jeder derartigen Meldung von der Wählergunst.

Trotz dieser Binsenweisheit scheinen sich SPÖ und ÖVP nach den Auseinandersetzungen um den ORF in Wien und dem heftigen Schlagabtausch um den Sparkurs in der Europäischen Union zwischen ÖVP-Ministern und Kanzler Christian Kern mit Neuwahlen anzufreunden. Dabei ist ein Phänomen oder Automatismus zu beobachten, der viel über die tiefe gegenseitige Abneigung vieler Funktionäre und mancher Regierungsmitglieder sagt: Im festen Glauben, dass der jeweils andere Partner ohnehin in Neuwahlen gehen will, schenkt man ihm keinen Erfolg und unternimmt alles, seine Ausgangsposition für den Wahlkampf zu verschlechtern. Was nun noch fehlt, ist das inhaltliche Ausstiegsszenario: Nicht einmal ÖVP-Klubzyniker Reinhold Lopatka würde es wagen, Neuwahlen wegen eines ORF-Direktors vom Zaun zu brechen. Das alles bestimmende Thema Sicherheit und Flüchtlinge wird nicht taugen, die SPÖ folgte fast allen ÖVP-Forderungen – nicht aus Überzeugung, sondern genau aus diesem Kalkül: An dieser Sollbruchstelle könnte der künftige ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz die Regierung beenden und hätte gute Karten für den Wahlkampf.

Dass beide Herren, Kurz wie Kern, bereits im Wahlkampfmodus laufen, war in den vergangenen Tagen und Wochen schön zu beobachten: In der Abgrenzung zur Türkei lieferten sie sich ein Match, wer schneller die diplomatischen Beziehungen gefährdet. Christian Kern verlagerte seine Energie danach in die Wirtschaftspolitik für die Massen. Während Deutschlands Sigmar Gabriel das Ceta-Abkommen mit Kanada weiter befürwortet, aber nachverhandeln will, folgte Kern den Umfragen, lehnt Ceta ab, will aber dennoch auch nachverhandeln. Es folgte ein Gastkommentar als Bundeskanzler – nicht als SPÖ-Chef – in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in dem er eine rigide Sparpolitik in Europa ortet, die endlich gelockert werden sollte. Der Vorteil dieser Forderung: Es gibt keine solch harte Sparpolitik in Europa, die noch in Spurenelementen vorhandene Budgetdisziplin wurde weiter gelockert – selbst von Deutschland. Kern hat sich also durchgesetzt: Die Forderungen wurden erfüllt.

Aber – und das ist ein wichtiger Punkt: Wenn Kern diese seine Positionierung links der alten SPÖ ernst meint, ist das eine klare Profilschärfung. Die ÖVP, die mit Werner Amon einmal mehr auf Uraltfunktionäre und den entsprechenden Anti-Esprit setzt, sollte dem Beispiel folgen und wenigstens versuchen, zu jener Wirtschaftspartei zu werden, von der sie früher zumindest in Sonntagsreden gesprochen hat. Mit Bauern, Beamten und einem Dutzend niederösterreichischer ÖAAB-Funktionäre gewinnt auch ein Sebastian Kurz keine Nationalratswahl. Am Donnerstag hat es nicht einmal für einen kleinen ORF-Direktor gereicht.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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