E-Auto predigen, Diesel verkaufen

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Ein Jahr nach Bekanntwerden von Abgasmanipulationen durch VW in den USA kommt die Aufarbeitung des Dieselskandals erst richtig in Gang.

Wer hat wann was gewusst und es für sich behalten – und warum? So in etwa ließe sich der Bauplan eines beliebigen Untersuchungsausschusses formulieren. Für interessierte Beobachter des Dieselskandals, ausgelöst durch Enthüllungen in den USA, werden die nächsten Wochen und Monate, vielleicht aber auch Jahre, spannend. Denn mehrfach tagen Kommissionen und Ausschüsse, in Brüssel ebenso wie in EU-Mitgliedstaaten, etwa Deutschland. Sie sollen klären, warum man VW und andere Hersteller bei ihren Diesel-Tricksereien so lang gewähren ließ. Schon im Jahr 2010 wurde zum Beispiel die Deutsche Bundesregierung auf Differenzen zwischen den von den Konzernen angegebenen Emissionswerten und dem tatsächlichen Ausstoß von giftigen Stickoxiden auf der Straße hingewiesen.

Die Suchenden nach der Wahrheit haben keine einfache Aufgabe vor sich. So beklagt EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska, dass einzelne Staaten angeforderte Unterlagen nur zögerlich herausrückten. In Deutschland hat der seit Donnerstag tagende Ausschuss mit unvollständigen und als geheim klassifizierten Unterlagen zu kämpfen – und mit geschwärzten Akten.

Wohl Untersuchungsausschussschicksal. Bisheriger Höhepunkt: das Protokoll des Gesprächs eines Regierungsmitglieds mit dem Präsidenten des Deutschen Automobilverbandes, Matthias Wissmann – das Papier ist vollkommen geschwärzt.

Während die juristischen Auseinandersetzungen für den Hersteller in den USA epische Ausmaße annehmen, haben Vorgeplänkel Europa erreicht. Es reicht vom Urteilsspruch eines Gerichts, das einen österreichischen Händler zwingt, ein manipuliertes Auto zurückzunehmen, bis zur Klage Deutscher Bundesländer (bislang: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen) gegen VW nach dem Aktienrecht.
Doch es steht längst nicht mehr Europas größter Autohersteller allein im Zentrum der Aufarbeitung. Bosch, weltweit größter Autozulieferer, führend in der Dieseltechnik und Entwicklungspartner von VW, gerät zunehmend in den Sumpf des Betrugsskandals. Die US-Justiz hat ihre Ermittlungen auf Bosch ausgeweitet. Vor allem aber ist der Dieselmotor selbst ein Synonym für negative Schlagzeilen geworden. Der Umweltmusterschüler, als der er jedenfalls von der Industrie gefeiert wurde, hat sich zum notorischen Sünder gewandelt.

Mit einem immer imposanter werdenden Register, angefangen bei der Weltgesundheitsbehörde WHO, die vor etwa zehn Jahren die Gefährlichkeit von Dieselabgasen in eine Reihe mit chemischen Kampfstoffen wie Senfgas stellte. Nach lästigen Beschwerden über Rußfahnen am Auspuff wurden nach einigem Gezerre Partikelfilter verordnet – mit überaus kreativen Spielarten wie offenen Systemen, die Partikel eine Zeit lang speichern, um sie dann, vor allem im städtischen Betrieb, mit einem Puster ins Freie zu entlassen.

Nicht, dass dem Selbstzünder die schlechte Nachrede bislang groß geschadet hätte. Wer erwartet hat, dass sich die Zulassungsstatistik seit Bekanntwerden des Skandals in einen gesenkten Daumen verwandeln würde, gerät angesichts der aktuellen Zahlen ins Staunen. Die Zulassungen von Diesel-Pkw in Deutschland, Europas größtem Automarkt, sind nur marginal zurückgegangen. Das liegt hauptsächlich daran, dass die größten Abnehmer von Diesel-Pkw Firmenflotten sind, bei denen allein die Wirtschaftlichkeit zählt. Dass der Motor in dieser Disziplin unverändert glänzt, liegt an den politischen Rahmenbedingungen.

Dieselkraftstoff ist in der EU weniger hoch besteuert als Benzin, und Instrumente wie Österreichs Normverbrauchsabgabe sind wirkungsvolle Multiplikatoren, die die Endpreise für Autos mit Benzinmotor in die Höhe schnellen lassen. Dabei kostet ein heutiger Dieselmotor in der Fertigung über den Daumen gepeilt das Doppelte eines Benzinmotors. Mit der gemütlich nagelnden Apparatur des Rudolf Diesel haben solche Hightech-Aggregate mit bis zu gewaltigen 2000 bar Einspritzdruck kaum mehr gemein als das Prinzip der Selbstzündung.

Umweltminister Andrä Rupprechter ließ mit der Forderung nach einem Entfall zumindest der Steuerprivilegien aufhorchen – doch das Papier, auf dem der entschlossene Vorstoß steht, wirkt schon jetzt, nach wenigen Wochen, wie falbes Laub in einer herbstlichen Kastanienallee.

Der europäische Dieselboom geht auf ein gesellschaftliches Agreement zurück, das 1997 nach Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls in Europa zustande kam. Die Autoindustrie verpflichtete sich zu einem Anteil an der CO2-Ersparnis, die EU-Spitzen in Kyoto gesagt hatten – nur die Mittel dafür bestimmte sie selbst. Die Wahl fiel wenig überraschend auf den Dieselmotor, eine Technik, in der man bereits weltweit führend war. Dieser Weg blieb der japanischen Industrie verwehrt, der Diesel war zu jener Zeit gesellschaftlich geächtet im Land, in Großstädten wie Tokio für Pkw sogar verboten. Die Japaner legten als Ergebnis mit dem Hybridantrieb den Grundstein für die Elektrifizierung des Antriebsstrangs.

Elektrisch, das ist jüngst auch das Zauberwort der Autobranche. Kaum ein großer Hersteller, der noch keine Offensive auf dem Gebiet angekündigt hat, am lautesten von allen: VW. Drei Mio. Elektroautos will der Konzern ab 2025 verkaufen – pro Jahr.

Eine Ansage, die vehemente Befürworter der lokal emissionsfreien Technologie entzücken müsste. Wie Eckhard Helmers, Professor an der Hochschule Trier, einer der wortstärksten Kritiker des Dieselbooms.
„Ich glaube nichts von alldem“, erklärt er freilich im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Die Hersteller würden sich mit dem Elektroauto nur eine Kannibalisierung einhandeln, denn die Wertschöpfung der Technologie finde derzeit außerhalb statt. „VW und BMW etwa bauen zwar E-Motoren selbst, die Batterien werden aber teuer in Südkorea und Japan zugekauft.“ Damit wäre absehbar kein Geld zu verdienen, anders als mit dem Dieselmotor. „Das können sie nicht wollen.“

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssten grundlegend erneuert werden, doch auch daran glaubt der Umweltspezialist nicht: „Das funktioniert in den USA, in Japan, aber nicht in Europa.“ Selbst wenn der politische Wille vorhanden wäre – einzelne Länder würden mit ihrem Veto nationale Autoproduktionen schützen.
So wären auch heute schon Gesetze zur Luftreinhaltung vorhanden, nicht aber der Wille, sie einzuhalten. „Zu guter Letzt kommt die Industrie und verspricht einmal mehr den Clean Diesel. Und die Menschen glauben das.“

Dass VW allein an den Rädchen drehte, um Schadstoffwerte im Abgas zu schönen, daran glaubt auch Ernst Pucher nicht. Der Professor vom Institut für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der TU Wien misst mit selbst entwickelter Gerätschaft seit vielen Jahren die tatsächlichen Abgase. Und dabei wären schon weitaus größere Sünder als VW ausgemacht worden.

Pucher geht es aber auch um den Bestand von 100 Mio. gebrauchten Dieselfahrzeugen in Europa – mit keiner oder ungenügender Abgasreinigung und alternden Filtern. „Das Ziel wäre es, den Stand zu halten, wie er für diese Autos gedacht war.“ Während alles an der Nachprüfung hängt, ist das zuständige Prüfverfahren allerdings „ein knappes Vierteljahrhundert“ alt.

Doch zweifellos steigt der Druck auf den Dieselmotor, „und damit auch der Kostendruck“, so Pucher. „Wenn er einigermaßen so sauber wie der Benzinmotor werden soll, wird es nochmals teurer.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

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