Kern: EU braucht "grundsätzliche Überholung"

APA/BKA/ANDY WENZEL
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Die Europapolitik sei vom "Kampf um kleine Fortschritte" geprägt, sagt der Bundeskanzler. Er geht auf Distanz zu den Visegrad-Staaten und hat Verständnis für den Unmut des italienischen Premiers Renzi.

Die EU braucht nach Ansicht von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) eine "grundsätzliche Überholung ihrer Institutionen und Entscheidungsmechanismen". Diese sei angesichts unterschiedlicher Meinungen über die Zukunft der EU und derzeit zu lösender konkreter Probleme in Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik schwer zu erreichen. So sei die Europapolitik geprägt vom "Kampf um Fortschritte, um kleine".

Einen Tag nach dem EU-Gipfel in Bratislava räumte Kern am Samstag im ORF-Radio Ö1 ein, dass es in der Frage der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten keine Fortschritte gegeben hat. "Da wird man weiter Druck machen müssen", sagte der Kanzler in Richtung Visegrad-Gruppe (V4) und ging auf Distanz zu Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, die auf dem Gipfel in Bratislava ihren Konzeptvorschlag für die Zukunft der Europäischen Union vorgelegt hatten. Darin fordern sie unter anderem mehr Mitspracherechte für die nationalen Parlamente und stemmen sich gegen eine verpflichtende Flüchtlingsquote. "Die Einschätzungen der Visegrad-Staaten teile ich nicht", sagte Kern in der Reihe "Im Journal zu Gast" des Ö1-Mittagsjournals.

Einen "großen Fortschritt" nannte der Bundeskanzler dagegen den Gipfelbeschluss zur Entsendung von 200 zusätzlichen Frontex-Kräften sowie 50 Lastwägen nach Bulgarien zum verstärkten Schutz der EU-Außengrenze mit der Türkei: "Wir müssen wissen, wer nach Europa kommt." Es sei zwar ein europäischer Binnenmarkt geschaffen worden, es sei aber verabsäumt worden, die Außengrenzen ausreichend zu schützen, nannte Kern in diesem Zusammenhang ein Beispiel für "Versäumnisse aus der Vergangenheit", welche die EU nun einholten und überholungsbedürftig machten.

Verständnis für Renzi 

Verständnis zeigte Kern für seinen Amts- und Parteikollegen Matteo Renzi aus Italien, das sich wirtschaftspolitisch und in Sachen Flüchtlingsströme besonders herausgefordert sieht. Renzi hatte sich unzufrieden mit den Ergebnissen von Bratislava gezeigt und trat danach nicht mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Francois Hollande gemeinsam auf. Kern sagte, er habe die Einschätzungen Renzis "sehr geteilt". Es dürfe nicht nur um Prozesse zur Lösung von Problemen gehen, sondern Lösungen müssten klar vorangetrieben werden. Zugleich begrüßte er aber das breite Einvernehmen auf dem Gipfel, den EU-Investitionsfonds (EFSI) auf 500 Mrd. Euro zu erhöhen und bis 2022 sogar auf mehr als 600 Mrd. Euro zu verdoppeln als Einsicht, dass "die bisherige Politik nicht aus der Krise führt".

>> Kern auf Ö1 "Im Journal zu Gast"

(APA)

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