Leute, die gleichzeitig reden

(c) Clemens Fabry
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Wenn zwei in einer Dreiergruppe sich nicht einig sind, wer spricht, leidet vor allem der Dritte.

Wir brauchen eine Redepolizei. Das hat nichts mit Sprachpolizei zu tun, die einschreitet, wenn jemand Kindern etwas lernen will oder einen Wehmutstropfen aufspürt – die ist natürlich auch sinnvoll und notwendig, aber diesmal geht es um jemanden, der einschreitet, wenn das Reden zu L'art pour l'art verkommt. Das passiert regelmäßig, wenn Menschen nicht auf ihr Gegenüber achten, Hauptsache, sie sagen etwas. Nun ist Logorrhoe schon im Zwiegespräch anstrengend, doch besonders bitter ist eine Dreierkonstellation. Wenn nämlich zwei in der Runde gleichzeitig mit einem Satz beginnen. Nur, dass sie dann nicht, so wie Autofahrer an einer Kreuzung, sich den Vorrang ausmachen. Sondern beide unbeirrt weitersprechen – und dabei den unbeteiligten Dritten anschauen. Der ist dann in der bitteren Situation, dass er nicht zwei Menschen gleichzeitig zuhören kann. So springt er von einem zum anderen, blickt hilflos erst in die eine, dann in die andere Richtung. Doch die beiden kennen keine Gnade, wollen ihre Sätze zu Ende bringen. Verstehe sie jemand oder auch nicht. Erste Schweißtropfen bilden sich, das mit dem Multitasking wird nichts, nur wen schaltet man nun aus? Der, den man ausbremst, ist dann sicher beleidigt. Und wer weiß, vielleicht hätte er ja das Interessantere zum Gespräch beizutragen gehabt.

Kann sich in dieser Situation nicht einfach der Himmel auftun, ein geflügeltes Einhorn nach unten stechen, auf dem ein uniformierter Götterbote sitzt? Der dann den Zeigefinger auf seine Lippen legt und die eben noch sprudelnden Münder der Logorrhoetiker zu einem trockenen O formen lässt. „Kinder“, würde er mit sanfter Stimme sagen, „wenn ihr so durcheinanderquatscht, versteht doch kein Mensch etwas.“ Von einer Strafe würde er absehen, sie nur mit einem „beim nächsten Mal aber . . .“ zurücklassen. Und der eben noch arme Dritte könnte ein Lächeln aufsetzen, einen der beiden anblicken und fragen: „Was wolltest du gerade sagen?“

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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