ORF: Der österreichische Patient

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Eine Grundsatzdebatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist zu führen. Die neuralgischen Punkte: Quotenverlust, Finanzmisere, Entscheidungsschwächen.

WIEN. Noch ist der Marode nicht tot, aber es besteht Grund zur Sorge. Österreichs öffentlich-rechtlichem Rundfunk geht es schlecht. Mit 34 Prozent Marktanteil war der Juli für den ORF der schwächste Sendemonat aller Zeiten. An einzelnen Tagen sahen sogar mehr Menschen Sat1 als ORF1. Sollte der Quotenverlust so weitergehen, wäre der ORF in einer Legitimationskrise. Je näher man der 30-Prozent-Marke rückt, desto empfindlicher reagiert der Werbemarkt: Im ersten Halbjahr 2009 lagen die Werbeumsätze um 12,7 Mio. Euro unter Plan.

Der Spareffekt der bis Ende 2010 geplanten 440 Stellenstreichungen wird sich hingegen erst mittelfristig einstellen. Nach einem Minus von 80 Mio. Euro 2008 wird der ORF daher auch heuer Verluste schreiben: bis zu 50 Mio. Euro, schlimmstenfalls mehr.

An Therapievorschlägen mangelt es nicht: Der ORF fordert mehr öffentliches Geld bei gleichbleibenden Werbemöglichkeiten, und zwar die Refundierung jener 60 Mio. Euro pro Jahr, die ihm durch Gebührenbefreiungen verloren gehen. Just darüber wird jetzt diskutiert. Die ÖVP wünscht sich den werbefreien Hauptabend, kann sich eine Crash-Diät vorstellen und zitiert Ex-ORF-General Gerhard Zeiler (heute Chef der RTL-Group), wonach ein neuer ORF auch mit nur 1500 Jobs auskommen könnte. Das lässt sich allerdings erst verifizieren, wenn Auftrag und Umfang eines neuen ORF klar definiert sind.

Die SPÖ hatte zunächst die Transplantation erwogen: Bundeskanzler Werner Faymann wollte im Frühjahr ORF-General Alexander Wrabetz durch Chefredakteur Karl Amon ersetzen – woraufhin das Unternehmen wegen Entscheidungsunfähigkeit ins Koma fiel. Die Operation scheiterte. Mittlerweile gibt es ein SP-Bekenntnis zu Wrabetz – und zur 60-Millionen-Refundierung.

Auch in Brüssel ist der ORF in Behandlung. In einem Beihilfeverfahren prüft die EU-Kommission, ob es gerechtfertigt sei, den ORF über die Zwangsgebühren der Zuschauer und noch zusätzlich über Werbung zu finanzieren.

EU-Diagnose im Oktober

Die EU-Diagnose wird für Oktober erwartet. Tenor: Das Finanzierungssystem des ORF wird nicht grundsätzlich infrage gestellt, allerdings werden von der EU Auflagen verschrieben. Die Einhaltung des Programmauftrags muss kontrolliert werden. Neue Angebote muss der ORF einem Public-Value-Test unterziehen: Entspricht etwa die Umwandlung von TW1/Sport Plus in einen Kultur- und Informationskanal dem Qualitätsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders? Dieser Test betrifft auch das Online-Engagement des ORF – hier ist mit Beschränkungen zu rechnen, z.B. keine Partner- oder Tauschbörsen.

Nach der Entscheidung Brüssels wird sich die Regierung daranmachen, am ORF-Gesetz zu operieren, unter Einbeziehung der EU-Vorgaben muss sich die Koalition auf eine Novellierung des Gesetzes einigen. Am besten bis 19. Dezember, denn bis dahin muss auch die (von der EU vorgegebene) „Mediendiensterichtlinie“ umgesetzt sein. Die sieht für den ORF strengere Beschränkungen beim Product-Placement vor.

Nach der ORF-Enquete, die heute im Parlament in Wien stattfindet, soll weiterverhandelt werden. Insider erwarten jedoch, dass die Koalition nur eine Gesetzesnovelle in homöopathischen Dosen umsetzt – die zwar die Forderungen der EU erfüllt, nicht aber eine langfristige Absicherung des ORF zuwege bringt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2009)

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