Bundesbank sieht keine politische Union in Europa

Bundesbankchef Jens Weidmann
Bundesbankchef Jens Weidmann(c) Bloomberg (Tomohiro Ohsumi)
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Die EZB müsse sich aus der Rolle der Krisenfeuerwehr zurückziehen, sagt Bundesbankchef Jens Weidmann.

Wien. Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, tritt in einem seiner seltenen Interviews auf die Bremse: „Die EZB kann nicht alle Probleme lösen“, sagte der 48-Jährige im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“, „La Stampa“, „Le Monde“ und „Guardian“. In praktisch jeder Antwort hagelt es Absagen vom wahrscheinlich mächtigsten Notenbanker der Eurozone.

So sieht Weidmann keinen Sinn in einer weiteren Lockerung der Geldpolitik, keine Chance für eine fortschreitende politische Integration in Europa und keinen Zweck in groß angelegten öffentlichen Investitionsprogrammen in Deutschland oder anderswo.

Insolvenzordnung für Staaten?

Sogar die Macht der Europäischen Zentralbank EZB will Weidmann wieder beschneiden. Die Bankenaufsicht müsse langfristig von der EZB getrennt werden, damit es nicht zu Zielkonflikten komme. „Das erfordert aber eine Änderung der EU-Verträge, was derzeit nicht realistisch ist.“ Aus demselben Grund sieht der Chef der Deutschen Bundesbank die Zukunft Europas auch nicht in einer politischen Union.

„Das würde voraussetzen, dass die Staaten Souveränitätsrechte auf die europäische Ebene übertragen, insbesondere das Königsrecht des Parlaments: die Budgethoheit. Ich sehe zurzeit aber nicht die Bereitschaft, diesen Schritt zu gehen. Im Gegenteil, die eigenen Handlungsspielräume wurden zuletzt eher stärker betont. Die nationalen Regierungen und Parlamente wollen sich von Brüssel nicht dreinreden lassen.“ Weil eine politische Union so nicht mehrheitsfähig sei, müsse stattdessen die Verantwortung der EU-Mitgliedsländer gestärkt werden. Mittelfristig wäre auch eine Insolvenzordnung für Staaten vorstellbar, so Weidmann. In jedem Fall müsse die Währungsunion eine Stabilitätsunion bleiben. Hier klingt Weidmann wie seine frühere Chefin, Angela Merkel. Stabilitätsunion ist Bundesdeutsch für: „Keine Transferunion!“

„Problematische Nähe“

Zur Geldpolitik sagte Weidmann: „Auf keinen Fall dürfen die Zinsen länger so niedrig bleiben, als es mit Blick auf die Preisstabilität unbedingt erforderlich ist.“ Im selben Atemzug erklärt er politischen Forderungen nach einem groß angelegten Investitionsprogramm in Deutschland oder anderswo in Europa eine Absage.

„In Europa gibt es doch nicht zu wenige, sondern zu viele Schulden. Und die Niedrigzinsen schwächen die Haushaltsdisziplin weiter. Die Schuldenberge können spätestens dann zum Problem werden, wenn die Zinsen wieder steigen. Denn dann sind sie möglicherweise nicht mehr tragfähig“, so Weidmann. Auch zur schwarzen Null in Deutschland hätten die niedrigen Zinsen beigetragen, so der Bundesbankchef.

Die Vorstellung, Deutschland könne durch ein öffentliches Investitionsprogramm die Konjunktur in Europa anschieben, bezeichnet Weidmann als naiv.

In dieselbe Kerbe schlägt auch Weidmanns Selbstkritik: Die Notenbanken dürften nicht mehr als Krisenfeuerwehr missbraucht werden für Probleme, die man eigentlich politisch lösen müsste. „Die Finanzkrise und das Zögern der Politik haben uns in diese neue Rolle gedrängt, und wir haben es zugelassen. Im Ergebnis greifen wir immer tiefer in Einzelmärkte ein und haben heute eine problematische Nähe zur Finanzpolitik. Das Eurosystem ist zum größten Gläubiger der Eurostaaten geworden.“

Für die Staatsanleihen in der Bilanz der EZB würden die Finanzminister sogar noch Geld zurückbekommen – über den Notenbankgewinn. Dies könne den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik zusätzlich erschweren, so Weidmann. (jil)

AUF EINEN BLICK

Jens Weidmann (48) ist seit 2011 Präsident der Deutschen Bundesbank. Weidmann wurde in Solingen (Nordrhein-Westfalen) geboren und hat unter anderem in Paris und Bonn studiert. Ab 2006 war er Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weidmann gilt im EZB-Rat als größter „Falke“. Er hat die lockere Geldpolitik der EZB in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert, sie letztlich aber mitgetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2016)

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