Zackenbarsch mit Politgespür

Kritiker werfen José Manuel Barroso vor, ein Karrierist ohne politische Visionen zu sein. Die Befürworter des Kommissionschefs sehen gerade darin seine Stärke.

Wien/Brüssel.Welcher Politiker kann schon so einen bunten ideologischen Werdegang vorweisen: Angefangen hat José Manuel Barrosos politische Karriere als überzeugter Maoist während der Diktatur in Portugal. Später bekehrte ihn offenbar doch Adam Smith: Marktliberalismus und Wettbewerb standen ganz oben auf seiner Agenda – vor allem als der Portugiese 2004 sein Amt als Kommissionspräsident antrat. Und jetzt, in seiner zweiten Lebenshälfte, erwärmt sich der 53-Jährige plötzlich wieder fürs Soziale. Seine Lieblingsschlagwörter ganz kurz vor der Wiederwahl zum Kommissionschef: „Soziale Marktwirtschaft, Nachhaltigkeit, Ökologie – und: Solidarität!“

Nein, Inflexibilität kann man dem Konservativen wahrlich nicht vorwerfen. Ganz im Gegenteil: Als politisches Chamäleon wird er oft beschimpft – ein „Zackenbarsch“ sei er, heißt es auch bei ihm daheim. Der Fisch passt die Farbe an den Hintergrund an. Opportunismus und Mangel an Visionen sind auch die Hauptkritikpunkte an seiner Amtszeit als Chef der obersten EU-Behörde. Barroso sei vor allem, was mächtig ist, eingeknickt: Bei den großen EU-Staaten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien – habe er sich angebiedert, um seine Position zu sichern. Der Pkw- und der Energielobby sei er entgegengekommen, um keine Probleme zu haben.

„Mr. Compromise“

Kurz: Der Posten in der Kommission sei ihm wichtiger gewesen als die Inhalte. Tatsächlich hat Barroso jetzt einfach allen, die für seine Wiederwahl relevant waren, etwas versprochen. Neue Kommissionsposten sind ebenso darunter wie eine Prise mehr Soziales und Ökologisches. Fast jeder in Brüssel rümpfte die Nase über den langen, offensiven Wahlkampf des Portugiesen. Die heftigsten politischen und medialen Prügel seiner EU-Karriere musste er aber wegen seiner zögerlichen Haltung zu Beginn der Finanzkrise einstecken.

Aber – in seiner Schwäche liege seine Stärke, meinen seine Befürworter. Denn ein starker Mann an der Spitze der EU-Kommission hätte heute gar keine Chance, sich bei den egozentrischen Nationalstaaten durchzusetzen. Ein den Konsens suchender „Mr. Compromise“, wie der Konservative in Brüssel bespöttelt wird, hingegen schon.

Und gut kann der Vater von drei Söhnen offenbar wirklich mit fast jedem. Sympathisch und äußerst redselig gibt er sich, im Zentrum des Weltgeschehens zu stehen macht ihm sichtlich Spaß. Englisch, Französisch und Spanisch spricht er fließend.

Politische Erfahrung und diplomatisches Geschick gehören zu den größten Stärken des kleingewachsenen Karrieristen: 35 Jahre lang macht er schon Politik. Nach seiner „revolutionären Phase“ wechselte er 1980 zu den Liberalkonservativen in Portugal, dann ging es steil nach oben: Mit 36 Jahren war er der jüngste Außenminister Europas, 2002 wurde er Premier. Damals empfing der Ex-Maoist übrigens stolz den damaligen US-Präsidenten George W. Bush sowie seine spanischen und britischen Kollegen, José Maria Aznar und Tony Blair, auf den Azoren. Vorbereitet wurde der Irak-Krieg. In Richtung USA wehte damals der politische Wind. Heute, freilich, bereut Barroso alles: Er sei „falsch informiert“ worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2009)

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