Flüchtlinge werden verdächtigt, das Camp Moria auf der Insel angezündet zu haben. 3000 Menschen sind nun obdachlos. Lokale Behörden warnen vor weiterer Eskalation.
Athen. Warnungen vor einer Eskalation gab es genug – viele wussten, dass die Lage auf den mit Flüchtlingen überfüllten griechischen Inseln der Ost-Ägäis explosiv ist. Entlastung aber für Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros gab es nicht. Nun ist es passiert: In der Nacht auf Dienstag hat das Camp Moria auf Lesbos lichterloh gebrannt. Flüchtlinge werden verdächtigt, das Feuer gelegt zu haben. Über die Hälfte der Lagerinfrastruktur soll zerstört worden sein. 3000 Menschen verloren damit ihre Unterkunft.
Zugang zum Dorf Moria oder zur Inselhauptstadt Mytilini wurde den Lagerbewohnern verwehrt. Dem Vernehmen nach will die Regierung in Athen ein Schiff chartern, um die obdachlosen Flüchtlinge provisorisch unterzubringen.
Vergangene Woche waren Zwischenfälle auf Chios gemeldet worden, über das Wochenende spitzte sich dann die Lage auf der Nachbarinsel Lesbos zu. Zunächst gab es am Sonntag einen verbalen Schlagabtausch zwischen Rechtsradikalen und Anarchisten in Mytilini. Am Montag protestierten Einwohner von Moria vor dem Rathaus gegen die Überbelastung ihrer Gemeinde. Rechtsradikale übernahmen das Kommando unter den Demonstranten, der Bürgermeister wurde niedergeschrien, Flüchtlingshelferinnen und Journalisten attackiert.
Rechte schlachten Lage aus
Es ist offensichtlich, dass die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte, die auf der Insel bei den Wahlen im September 2015 an die acht Prozent erhalten hat, die angespannte Lage für ihre Ziele nützt. Die Anliegen der Anrainer freilich sind ernst zu nehmen: 1500 Lagerplätze gibt es theoretisch im Camp von Moria, in dem ankommende Bootsflüchtlinge, so die Theorie, registriert und interniert werden, um im Anschluss daran in die Türkei zurückgeschoben zu werden. Tatsächlich lagerten zuletzt in und um das Zentrum 3000 Flüchtlinge. Viele kampierten im Freien, das Abwassersystem der Gegend war überfordert.
Was genau zu dem Brand geführt hat, ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. Medien zufolge fürchteten manche Lagerbewohner, dass nach den Krawallen vor dem Rathaus Massenabschiebungen in Richtung Türkei drohten. Ein Protestzug formierte sich, der jedoch von der Polizei am Verlassen des Camps gehindert wurde. Daraufhin steckte dem Vernehmen nach eine Gruppe von Demonstranten Teile des Lagers in Brand. Fast 20 Menschen wurden unter anderem wegen des Verdachts auf Brandstiftung festgenommen.
„Gefährliches Klima“
Wie Bürgermeister Spyros Galinos am Dienstag im Radio erklärte, sei eine große Zahl von registrierpflichtigen Flüchtlingen nach wie vor nicht greifbar. Er warnte: „Es drohen noch ernstere Zwischenfälle, die Ereignisse gestern waren nur ein Vorgeschmack dessen, was uns noch bevorsteht, wenn die Inseln nicht sofort entlastet werden.“
Für Galinos geht die Gefahr aber nicht allein von den Flüchtlingen aus: „Es gibt Demonstrationen, die von rechtsextremen Kreisen gesteuert sind, mit denen sich auch Politiker anderer Parteien solidarisieren, um aus diesem Anlass Stimmen für ihre Parteien zu gewinnen. Es hat sich ein gefährliches Klima aufgebaut, das eine Explosion zur Folge haben könnte.“
Hintergrund ist das Abkommen zwischen der EU und der Türkei beziehungsweise dessen lückenhafte Durchführung. Ursprünglich war geplant gewesen, ab 20. März 2016 alle aus der Türkei nach Griechenland übersetzenden Bootsflüchtlinge auf den Inseln festzuhalten und dann in die Türkei zurückzuschieben, Syrer inbegriffen. Die Internierung der Flüchtlinge auf den Inseln wurde zwar Realität. Rückschiebungen finden aber kaum statt, entweder weil die entsprechenden Rückschiebungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind, oder weil die Türkei nicht als sicheres Drittland eingestuft wird. Vorschläge wie jener von Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, Anfang Juni, Flüchtlinge auf Inseln wie Lesbos auch dauerhafter festzuhalten („Die Presse“ berichtete), heizten die Stimmung auf der Insel nur weiter an.
Die Regierung hat den Bürgermeistern der Ost-Ägäisinseln, auf denen sich zurzeit 13.600 Flüchtlinge aufhalten, versprochen, jene Menschen auf das Festland zu transferieren, die Anrecht auf Asyl haben. Doch die Verfahren werden derart langsam durchgeführt, dass das für die Inseln bisher keine Erleichterung gegeben hat. Vor einem massenhaften Transfer auf das Festland schreckt die Regierung auch zurück – das könnte Flüchtlinge in der Türkei veranlassen, wieder die griechische Route zu wählen.
Premier Alexis Tsipras brach indes vor der UN-Vollversammlung in New York die Lanze für legale Wege für Flüchtlinge nach Europa – und für eine gerechte Verteilung der Lasten auf die EU-Staaten. Am Samstag wird er beim Flüchtlingsgipfel in Wien erwartet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)