US-Raketenabwehr bleibt auf der Agenda

Obamas Verzicht auf den Raketenschutzschild in Polen und Tschechien bedeutet kein Aus für ein Waffensystem.

Nein, überraschend kam es wirklich nicht, als die US-Regierung am Donnerstag den Stopp ihrer Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Mittelosteuropa verkündete. Denn Barack Obama war nie ein Fan dieses Raketentschutzschilds, den sein Vorgänger George W. Bush so forciert hatte. Schon im Wahlkampf hatte er verkündet, ein derartiges System müsse erstens kosteneffektiv sein und zweitens auch technisch funktionieren. Beides war schon damals nicht der Fall und ist es auch heute nicht.

Obwohl zuletzt etliche Abschusstests erfolgreich waren, liefen diese Versuche doch nie unter realen Gefechtsbedingungen ab. Dabei ist es keine Frage, dass es US-Raketentechnikern gelingen wird, ein einigermaßen gut funktionierendes Abwehrsystem zu entwickeln. Aber das ist eben auch ein Frage des Geldes – und eine ausgereifte Raketenabwehr ist teuer, sündteuer.

Allein im heurigen US-Verteidigungsbudget waren für die Raketenabwehr neun Milliarden Dollar veranschlagt. Amerikanische Denkfabriken rechneten vor, dass das Pentagon in den nächsten vier Jahren über 13 Milliarden Dollar einsparen kann, wenn keine weiteren Abfangraketen aufgestellt werden. „Das ist ein ziemlich gewichtiges Argument in Zeiten der Rezession“, schrieb die „Presse“ im Dezember 2008.

Zunächst aber fokussieren die meisten Beobachter weniger auf die finanziellen als vielmehr auf die außenpolitischen Aspekte dieser Entscheidung. Aspekt 1: Iran. Die Bush-Regierung hat immer argumentiert, man brauche die geplanten zehn Abfangraketen in Polen und die Radarstation in Tschechien, um mögliche Raketenangriffe aus „Schurkenstaaten“, insbesondere aus dem Iran, abzuwehren. Vielleicht schaffen es die iranischen Techniker (mit nordkoreanischer Hilfe) ja tatsächlich, Raketen zu bauen, die ganz Europa erreichen können. Selbst wenn: Ist der Iran so leichtsinnig, dass er Europa oder US-Einrichtungen in Europa mit Raketen angreifen würde? Ganz offensichtlich wird von der Obama-Regierung die tatsächliche Bedrohung durch Raketen aus dem Iran nüchterner gesehen.

Aspekt 2: Russland. Die russische Elite hat von Anfang an mit allen möglichen nachvollziehbaren und kuriosen Argumenten gegen das geplante US-System vor seiner Haustür protestiert und agitiert. Entsprechend triumphieren jetzt russische Hardliner wie etwa der notorisch antiwestliche Nato-Botschafter Dmitrij Rogosin: Es sei der Widerstand Moskaus gewesen, der Obama von den Raketenabwehrplänen in Mittelosteuropa abgebracht habe. Das hätten sie wohl gern, die russischen Großmachtchauvinisten.

Zwar ist es Obama ernst damit, die Beziehungen zu Russland zu entkrampfen, der geplante Raketenschutzschild stellte dabei einen ständigen Stolperstein für ein verbessertes Verhältnis dar. Aber es ist ja nicht so, dass die USA auf eine Raketenabwehr verzichteten. Das sollte vielleicht auch irgendein militärischer Berater dem gemeinsam mit den russischen Nationalisten laut jubelnden österreichischen Verteidigungsminister Darabos klarmachen.

Wie Obama gestern erklärte, werden die USA ihre Raketenabfangsysteme zunächst verstärkt auf Schiffen stationieren. Ihre militärischen Planungen für die Zukunft beziehen auch weiterhin landgestützte Abfangraketen ein. Und diese könnten auch in Polen und Tschechien stationiert werden. Vermutlich wird das aber nicht mehr im Rahmen bilateraler Verträge mit Prag und Warschau fixiert werden.

Vieles weist darauf hin, dass die USA künftig eine das ganze Nato-Territorium abdeckende Raketenabwehr gemeinsam mit allen Allianzpartnern realisieren wollen. Ja, vielleicht könnten die Nato und Russland sogar eines Tages gemeinsam eine Raketenabwehr realisieren, wenn in Moskau einmal Leute mit einer kooperativen und nicht einer konfrontativen Haltung das Sagen haben.

Bleiben viele enttäuschte Polen und auch Tschechen, die sich durch die gestrige Entscheidung Obamas vor den Kopf gestoßen fühlen. Sie haben sich durch das Raketenabwehrsystem eine besonders enge Bindung zu und Schutz durch Amerika erhofft. Aber wie Obama gestern sagte, sind die westlichen Schutzgarantien für Polen und Tschechien durch den Verzicht auf die Raketenabwehr in keiner Weise schwächer geworden. Die Mittelosteuropäer fühlen sich von der Obama-Regierung bislang schwer vernachlässigt, nachdem sie von Bush so gehätschelt worden sind. Mit erhöhter Aufmerksamkeit, diplomatischem und psychologischem Geschick sollte es Obama aber gelingen, diese treuen Amerika-Freunde zurückzugewinnen.

Thema: Obamas Raketenabwehrpläne Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2009)

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