Arabien und die Türkenbelagerung 1683

Allegorie.In einem neulateinischen Roman werden die Ereignisse des 17. Jahrhunderts rund um das Haus Habsburg in die arabisch-indische Welt versetzt. Die Latinistin Isabella Walser holt einen vergessenen Roman ans Tageslicht.

Austriana und Aurindus, die Königin und der König von Arabien, werden von Altomira von Babylonien und König Torvan von Indien belagert, sie werden aus ihrer Hauptstadt vertrieben und müssen diese zurückerobern. Diese skurril anmutende Erzählung aus dem Jahr 1687 war den seinerzeitigen Lesern des im Neulatein geschriebenen Romans durchaus verständlich, handelte es sich doch um eine Allegorie des Kampfes der Habsburger gegen die Osmanen und Franzosen sowie um die Befreiung Wiens nach der zweiten Türkenbelagerung.

Die 28-jährige Tirolerin Isabella Walser hat den neulateinischen Habsburger-Roman des 17. Jahrhunderts übersetzt und mit einer allegorischen Zuordnung aller Namen und Abläufe versehen. Walser leitet im Innsbrucker Ludwig-Boltzmann-Institut für Neulateinische Studien den Forschungsschwerpunkt für die Literatur dieser Zeit (1400 bis etwa 1850). „95 Prozent aller erhaltenen lateinischen Textzeugnisse fallen in die neulateinische Zeit“, sagt Walser, „das ist der größte unerforschte Bereich in der europäischen Literatur.

Eine Liebesgeschichte

Der von ihr edierte Roman „Austriana regina Arabiae“ des bayrischen Rechtsgelehrten Anton Wilhelm Ertl war als Liebesgeschichte gestaltet und richtete sich eher an ein (lateinkundiges) weibliches Publikum. Austriana heiratet König Aurindus von Arabien, dies will wiederum die Babylonierin Altomira, die es auf Aurindus abgesehen hat, nicht hinnehmen. Altomira verbündet sich mit dem indischen König Torvan, sie erobern die arabische Hauptstadt Nanambis, werden aber schließlich im Kampf von Austriana und Aurindus besiegt.

Zahlreiche Hinweise eröffnen die allegorischen Zuordnungen. Austriana steht für das Haus Habsburg (Austriana ist recht kriegerisch und männlich gezeichnet), Aurindus für die Stände des Deutschen Reiches, sagt Isabella Walser, mit Indien ist das osmanische Reich gemeint, mit Babylonien das Frankreich Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV.

Bei der Rückeroberung der Hauptstadt helfen Truppen aus Äthiopien – hier ist der Bezug zum polnischen Heer gegeben. In einem Punkt weicht der Autor Ertl von den drei Jahre zurückliegenden Ereignissen von 1683 ab: Bei der Entsatzschlacht zogen Aurindus und Austriana, also Leopold I., an der Spitze ihres Heeres in die befreite Stadt. Hier hat der Autor den Triumph des Polenkönigs Jan Sobieski, der den Oberbefehl innehatte, ausgeblendet und die Ehre des Befreiers dem Habsburger übertragen. Die Entsatzschlacht fand übrigens auf dem vor der Stadt gelegenen Berg Mons Sosis statt – ein direkter Hinweis auf den Sauberg, wie der Kahlenberg bis ins 17. Jahrhundert genannt wurde (Sau = lat. Sus).

Die erste Übersetzung des Romans ins Deutsche datiert aus dem Jahr 1723. „Das war eine relativ inadäquate Übersetzung, der Bezug zu Habsburg wurde einfach weggelassen“, sagt die Latinistin Walser. Aus dem Jahr 1763 liegt eine handschriftliche Übersetzung ins Ungarische vor, die nie gedruckt wurde. 1808 folgte eine zweite Übertragung ins Ungarische, in der ein aktueller politischer Kontext zu den napoleonischen Kriegen enthalten ist.

Das nun vorliegende Buch „Anton Wilhelm Ertl: Austriana regina Arabiae“ im Verlag Walter de Gruyter von Isabella Walser ist die erst vierte Übersetzung, die zweite ins Deutsche. Es sei, wie Walser sagt, eine exakte Wiedergabe, aber nicht Wort für Wort, „sondern zielsprachenorientiert, sodass der Roman flüssig zu lesen ist“. Das Eingeständnis der Latinistin: „Das ist ein bisserl eine Gratwanderung.“

LEXIKON

Latein. Das Klassische Latein ist die Sprache der Römer und wird bis etwa 400 angesetzt. Dann folgt das Mittellatein, das vor allem in den Klöstern gepflegt wurde und auch abwertend als Küchenlatein bezeichnet wird. Von 1400 bis 1850 spricht man von Neulatein, dann das (kaum verwendete) Recentissima Latein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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